Das Evangelium nach Markus
literarisches Sammelwerk der mündlich überlieferten Jesusgeschichten
von Mag. Klaus Einspieler
Markus hatte als erster die Idee, die überwiegend mündlich überlieferten Jesusgeschichten zu sammeln, zu einem literarischen Werk zu formen und als Evangelium zu begreifen. Seine Schrift richtet sich vorrangig an Menschen, die bereits Christen geworden sind. Dabei dürfte schon von Beginn an die Verkündigung im Gottesdienst in den Blick genommen worden sein.
Zum Verfasser des Markusevangeliums
In der Überschrift des Evangeliums fehlte zunächst die Angabe des Autors. Papias von Hierapolis nennt um 120-130 als erster Markus, den Dolmetscher des Petrus, als Verfasser. Er geht von einem Erinnerungswerk aus, das auf der Predigt des Petrus beruht. Der Name Markus ist im NT zwar belegt, wer der Verfasser des Evangeliums jedoch wirklich war, ist mit letzter Sicherheit nicht mehr zu klären. Jedenfalls verschaffte die schon früh überlieferte Nähe zu Petrus dem Werk schon bald sehr hohes Ansehen.
Abfassungszeit und –ort:
Eine Analyse von Mk 13 lässt eine zeitliche Nähe zum jüdischen Krieg (66-70 nach Chr.) erahnen. Am ehesten kommt die Zeit unmittelbar nach dem Fall der Stadt Jerusalem im Jahre 70 in Frage.
Aufgrund der Nähe zu Petrus hat schon Clemens von Alexandrien (+ 215) Rom als Abfassungsort genannt. Dies ist jedoch aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich, weil Markus auf etliche Traditionen zurückgreift, die eine Nähe zu Palästina vermuten lassen. Die Gemeinde des Markus ist judenchristlich und heidenchristlich geprägt. Das Evangelium ist nämlich einerseits an Fragen des jüdischen Gesetzes interessiert, muss aber andererseits jüdische Sitten und Gebräuche erklären. Am ehesten waren diese Voraussetzungen im syrischen Raum gegeben.
Quellen:
Dass Markus Quellen benutzt hat, ist heute unumstritten. Folgende Vorlagen werden ins Gespräch gebracht:
- Eine Sammlung von Streitgesprächen (Mk 2,1-3,6)
- Die Gleichnisse in Mk 4 (ohne Mk 4,11f)
- Die Sprüche (Mk 10,1-12.17-27.35-45)
- Teile der Passion (Mk 14-16)
- Vermutlich eine Sammlung von Wundergeschichten (Mk 4,35ff)
- Vermutlich Teile der Apokalypse in Mk 13
Theologie:
Markus schafft in seinem Evangelium eine Synthese zwischen der Hoheit Jesu (Sohn Gottes) und dem Leidenden. Beide Aspekte gehören zu einer ganzheitlichen Sicht Jesu. Die Abfolge von Mk 8,27-30 (das Messiasbekenntnis des Petrus) und Mk 8,31-33 (die erste Ankündigung des Leidens und der Auferstehung) macht deutlich, dass die Wunder ohne das Leiden und das Leiden ohne die Wunder nicht zu verstehen sind. Dabei kommt dem Leiden durch die mehrmalige Ankündigung und die umfangreiche Passionserzählung so großes Gewicht zu, das man das Evangelium sogar als Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung bezeichnet hat.
Im Vordergrund steht das Bekenntnis zu Jesus als Sohn Gottes. Es wird in den Perikopen von der Taufe (Mk 1,11) und der Verklärung (Mk 9,7) zwei Mal in Form einer Gottesrede eingeführt. Das Bekenntnis des heidnischen Hauptmanns unter dem Kreuz ist schließlich als Einladung an die Heiden zu verstehen, sich diesem anzuschließen. Als Sohn Gottes ist Jesus Träger des Geistes Gottes und Überwinder der Dämonen. Mit dem Messiastitel ist Markus sehr vorsichtig umgegangen. Auf das Messiasbekenntnis des Petrus folgt nämlich sogleich das Gebot, darüber zu schweigen. Damit wird deutlich, dass die Messianität Jesu erst im Leiden vollständig offenbar wird.
Das Wirken Jesu wird begleitet von Schweigegeboten und dem Unverständnis der Jünger. Das Geheimnishafte fällt erst mit dem Tod und der Auferstehung Jesu weg. In diesem Licht will auch der irdische Jesus verstanden werden. Der Verkündiger ist schließlich zum Verkündigten geworden. Jesus und das Reich Gottes stehen in engem Zusammenhang. Das Wort vom Reich Gottes kann letztlich nur jener erfassen, der weiß, wer Jesus ist.
Die Jünger Jesu erscheinen bei Markus einerseits unverständig, ängstlich und schwach, andererseits sind sie von Jesus gerufen und erwählt. Der christliche Leser soll sich so in ihnen wieder finden. Wie die Jünger, so versteht auch er manches nicht. Das Evangelium will somit als Einführung in die Nachfolge, das heißt bei Markus Dienst und Kreuzesnachfolge, verstanden werden:
Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst,
nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach (Mk 8,34).
Unter den Aposteln sticht Petrus besonders hervor. Er ist mit seinem Bruder Andreas der Erstberufene und damit auch Erstgenannte. Am Schluss des Evangeliums wird er als einziger der Jünger namentlich genannt und beauftragt, nach Galiläa zu gehen, um dem Auferstandenen zu begegnen. Mit der Auferstehung Jesu erfolgt auch die Bevollmächtigung der Jünger, das Evangelium allen Geschöpfen zu verkünden. Der Schluss des Evangeliums bleibt in seiner ursprünglichen Fassung (Ende des Evangeliums in Mk 16,8) offen – die Begegnung mit dem Auferstandenen ereignet sich somit im Glauben des Lesers.