Verdichtetes Leben

Gedanken zur Feier von Ritualen in der Familie

von Mag. Klaus Einspieler

 (© Foto: Foto: fotomax)
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In den vergangenen Jahren ist die Sehnsucht nach dem Ritual wieder deutlich stärker geworden. Das lässt sich nicht zuletzt durch die Fülle von Literatur, die zu diesem Thema entstanden ist, nachweisen. Zukunftsforscher sprechen zudem von einem Megatrend Religion, der die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts prägen wird. Dabei ist freilich zu fragen, was landläufig den Begriffen »Ritual« und »Religion« zugeordnet wird.

Ritual und Magie
Eriksson legt seiner Entwicklungspsychologie die Annahme zugrunde, dass sich die religiöse Entwicklung des Menschen in sechs Stufen vollzieht. Die ersten Stufen sind geprägt von einem magischen Verständnis der Religion. Dem dient auch das Ritual. Demnach bekommen zum Beispiel gesegnete Gegenstände eine Qualität, die sie zuvor nicht hatten. Sie schützen, gleich einem Amulett, vor Unheil und Bösem. Das Ritual soll die Gottheit gnädig stimmen. Für seine Frömmigkeit erwartet man sich die Zuwendung Gottes: do ut des – ich gebe, um von dir zu bekommen.
Ohne Zweifel ist diese entwicklungsgeschichtlich gesehen frühe Form von Religiosität, die meines Erachtens das religiöse Grundgefühl vieler Menschen der Gegenwart (auch der Esoterik) prägt, nicht prinzipiell unchristlich. Selbst in der Bibel finden sich deutliche Spuren davon. Das Johannesevangelium bekennt: »Das Wort ist Fleisch geworden« (Joh 1,14). Gott hat demnach durch die Menschwerdung seines Sohnes das religiöse Bewusstsein des Menschen in all seinen Ausprägungen geheiligt. Dennoch ist klar, dass in der Bibel der Weg von einer natürlichen Religiosität, die im Menschen grundgelegt ist, zu einem personalen, man könnte sagen partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Gott und Mensch führt. Dies ergibt sich jedoch nicht von selbst – es ist Ausdruck einer hohen religiösen Kultur und die Frucht lebenslangen Bemühens.

Rituale christlich gedeutet
Christlich verstandene Rituale müssen dialogfähig sein. Ihre Messlatte ist das Feiern der Kirche im Rhythmus der Zeit. Sie lassen sich von der Liturgie der Kirche inspirieren oder führen zu ihr hin. Zur rituellen Handlung tritt das deutende Wort - das Gebet oder Lied - hinzu. Es ist der worthafte Ausdruck dessen, was im Zeichen ohne Worte zur Sprache gekommen ist. So gesehen werden Rituale nicht gefeiert, um die Gottheit gnädig zu stimmen und ein Gefühl »religiöser wellness« hervorzurufen. Sie sind vielmehr Antwort auf die heilbringende Zuwendung Gottes, die unserem Tun zuvorkommt.

Beispiel: Der Adventkranz
Der Adventkranz ist ein gelungenes Beispiel christlichen Brauchtums im Kreis der Familie. Der heller werdende Schein der Kerzen greift ein Motiv des Propheten Jesaja auf, der davon spricht, dass Gottes Heil bis an die Enden der Erde reicht (Jes 49,6). Wenn die Kerzen zudem in den Farben des Advents gehalten sind, also violett, die dritte Kerze rosa, wird die Verbindung zur Liturgie noch deutlicher. Kinder (und Erwachsene) beginnen zu fragen, warum diese Farben, warum die rosafarbene Kerze gerade am dritten Adventsonntag entzündet wird etc. Damit beginnt von sich aus ein Gespräch über ein zentrales Thema des Advents, die Vorfreude in all ihren Facetten, die in dieser Kerze zeichenhaft zum Ausdruck kommt.
Freilich erschöpft sich das Ritual im Advent nicht im Entzünden der Kerzen am Adventkranz. Es fordert uns heraus, uns zu besinnen, zu singen und zu beten. Hier ist der Platz, Familientraditionen zu kultivieren und durch Lieder und Texte eine unverwechselbare Atmosphäre des Advents schaffen.

Wunsch: Ein Ritual für die Fastenzeit
Leider fehlt für die Zeit der Vorbereitung auf Ostern, das höchste Fest des Kirchenjahres, ein derart einprägsames Ritual wie das Gebet beim Adventkranz. Daher möchte ich im Schlussteil des Artikels zu einer Spurensuche einladen und einige Eckpunkte fixieren.

  • Gesucht wird ein Zeichen, das den vierzig Tagen vor dem Osterfest eine Struktur gibt. Ein Lichtsymbol ist dafür nicht geeignet, weil es in der Gestalt der Osterkerze der Osterzeit vorbehalten sein soll.
  • Der erste, zweite und sechste Fastensonntag sind jedes Jahr von den Motiven der Versuchung, Verklärung, dem Einzug in Jerusalem und der Passion Jesu geprägt.
  • Der vierte Fastensonntag bringt wie der dritte Adventsonntag die Vorfreude auf das bevorstehende Fest zum Ausdruck.
  • Am fünften Fastensonntag werden in der Kirche die Kreuze verhüllt. In der Liturgie steht von nun an nicht mehr das Motiv der Umkehr und Buße, sondern das Gedächtnis des Leidens Christi im Vordergrund.
  • Der Brauch, durch Fastentücher den Blick auf das Schöne zu verdecken, könnte ebenfalls aufgegriffen werden.
  • Zudem waren und sind die vierzig Tage vor Ostern auch eine Zeit der Vorbereitung auf die Taufe.
  • Trotz der Fülle an Motiven muss das Zeichen schlicht und einprägsam sein.


Also Mut zur Beschränkung auf das Wesentliche!