Die Gemeinschaft der Heiligen
Gedanken zum Fest Allerheiligen des Theologen und Trauerseelsorgers Johannes Staudacher
Alles Leben ist Chemie. Oder Biologie. Wer hier „Ja“ sagt, braucht nicht weiter zu lesen. Er hat keine Chance, die „Gemeinschaft der Heiligen“ zu verstehen. Ursprünglich bezeichnet diese ein gemeinsames Teilhaben an den „heiligen Dingen“, die Gott den Menschen schenkt. Also an Gottes Gnade, die wirksam wird in uns und unter uns. „Alles Leben ist Chemie?“ Ich für meinen Teil möchte lieber einen Satz von Georges Bernanos hinstellen: „Alles ist Gnade!“ Er ist der Dichter der „Gemeinschaft der Heiligen“, der Verflochtenheit des Menschen ins Menschenganze. Er hat diesen Satz von der kleinen hl. Therese gelernt und als erlösende Erkenntnis seinem „Landpfarrer“ in den Mund gelegt.
Sind wir eher „Einzelne“ – oder doch eher von der Gemeinschaft Getragene?
Wie ist das bei uns: Haben wir uns die wichtigen Dinge erarbeitet? Oder haben wir sie eher empfangen? Aus uns heraus entwickelt? Oder von anderen gelernt? Sind wir eher „Einzelne“ – oder doch eher von der Gemeinschaft Getragene? Sicher spielt beides im Leben eine Rolle. Aber das Reif-Werden als Mensch schließt nach meiner Beobachtung ein, zu erkennen: es wurde uns mehr geschenkt, als wir aus eigener Leistung erreicht hätten. Auf der Ebene dessen, was Christen „Gnade“ nennen, hat das eine tiefe Bedeutung. Es findet seinen Ausdruck im Glauben an die „Gemeinschaft der Heiligen“. (Und es gilt auch im Negativen: wir sind hinein verstrickt in ein gemeinsames Menschheitsschicksal. Ausgedrückt in der Erzählung von Adam und Eva.) Im Gegenbild zu diesem Verhängnis steht die
„Gemeinschaft der Heiligen“ für einen Zusammenhang der Gnade, der gemeinsamen Berufung zu neuem Leben.
„Das Wort, das du brauchst, kannst du dir nicht selber sagen.“
„Das Wort, das du brauchst, kannst du dir nicht selber sagen.“ Und es geht dabei nicht nur um „Worte“. Die Kraft, die du brauchst, muss von anderen auf dich übergehen. Die Sicht, die du brauchst, muss dir jemand eröffnen… Hier liegt Lebensweisheit. Der Mensch ist wahrscheinlich doch viel mehr ein Wesen, das aus der Gemeinschaft heraus lebt, als es eine individualistische Sicht wahr haben möchte.
Ich mag eine exemplarische Geschichte aus dem Drama „Der seidene Schuh“ von Paul Claudel. Als Proeza, die weibliche Hauptperson, spürt, dass sie aus eigenem fähig ist, zu scheitern, da lässt sie einen ihrer Schuhe bei einer Marienstatue zurück mit der Bitte: Wenn ich in die Irre gehe, „dann sei es mit einem hinkenden Fuß!“ Der Einzelne neigt dazu, sich selbst etwas vorzumachen. Da ist es gut, sich dem anderen zu öffnen. Hier gerade der einen anderen, die ihren Weg ganz und gar im Licht Gottes gegangen ist. Proeza vertraut sich hier nicht nur der „Fürbitte“ Marias an, sie „hinterlegt“ gewissermaßen sich selbst. Gegen die eigene Anfälligkeit für Selbsttäuschung und Lüge stellt sie sich hinein in die „Gemeinschaft der Heiligen“.
„Du kannst für dich selbst mehr tun, als alle Heiligen und Engel zusammen!“
Jetzt aber auch anders herum, denn alles hat zwei Seiten (zumindest). In einem Text des hl. Kajetan ist mir vor Jahren ein korrigierender Gedanke begegnet. „Du kannst für dich selbst mehr tun, als alle Heiligen und Engel zusammen!“ Er zeigt, dass es in der Zugehörigkeit zur „Gemeinschaft der Heiligen“ nicht um Faulheit geht. Nicht um ein Zurückkehren in ein unmündiges, unfähiges Klein-Sein. Nicht um die Ablehnung der Verantwortung für sich selbst und für sein Leben. Das Eingebunden-Sein in die Gemeinschaft ist kein Widerspruch zum verantwortlichen Stehen-in-sich-selbst. Im Leben gehören beide zusammen und manchmal wird mehr das eine gefragt sein, manchmal mehr das andere. Vom hl. Pfarrer von Ars gibt es dazu eine köstliche Geschichte. Ein junger Mann kam zu ihm mit der Bitte, ihm Reliquien eines Heiligen zu besorgen. Seine Antwort lautete: „Mach dir deine eigenen!“ Nämlich aus dem eigenen Leben und dem eigenen Körper. „Werde selber heilig und arbeite daran!“ Das war die Rückgabe der Verantwortung an diesen jungen Menschen.
Die Heiligenverehrung mit Großherzigkeit anschauen
Das II. Vatikanische Konzil (Über die Kirche) hat dies als wichtigstes Thema der Heiligenverehrung genannt: es geht um die „Stärke unserer tätigen Liebe“. Für diese sollen das Beispiel und die Fürbitte der Heiligen Hilfe sein. Es ist dort ebenso von Missbräuchen und Übertreibungen die Rede, aber auch davon, dass wir die Heiligenverehrung mit Großherzigkeit anschauen sollen. So mancher Widerspruch gegen Formen der Frömmigkeit entspringt nicht so sehr einer tiefen Theologie, sondern einer tiefen Humorlosigkeit und fehlenden Weisheit. Mir hat es zum Beispiel gut getan, in Medugorje zu sehen, wie sehr das ganze Geschehen auf Christus und auf die gute Tradition der Kirche hin orientiert ist. Und über manche Einzelheiten habe ich nicht einmal nachgedacht.
Eine Volksfrömmigkeit mit persönlichen Beziehungen zu Gott, zu Jesus Christus, zu Maria oder zu den Heiligen
Zum Weiterdenken: Papst Franziskus sieht in der Volksfrömmigkeit eine heilsame Kraft gegen eine weltliche Spiritualität, in der „das Subjekt letztlich in der Immanenz … seiner Gefühle eingeschlossen bleibt.“ In dieser geht es schließlich nicht mehr um Christus, „sondern um das persönliche Wohlergehen“. Die besonderen Formen der Volksfrömmigkeit aber schließen „eine persönliche Beziehung nicht etwa zu harmonisierenden Energien, sondern zu Gott, zu Jesus Christus, zu Maria oder zu einem Heiligen ein. Sie besitzen Leiblichkeit, haben Gesichter“ und sind dadurch geeignet, Beziehung und schließlich den Einsatz für die Armen zu fördern. (Evangelii gaudium, 90-94).