So klingt Glaube
Die Bibel als Inspirationsquelle für Kirchenmusiker – ein Beitrag von Elisabeth Birnbaum, Direktorin des Katholischen Bibelwerks in Österreich
Die Bibel ist ein Grundstein europäischer Musiktradition. Biblische Erzählungen oder biblische Gesänge, biblische Motive oder biblische Personen, sie alle sind Inspiration für Kompositionen von alters her bis heute. Da biblische Texte das Grundgerüst für liturgische Texte bildeten, ist es nicht verwunderlich, dass die Bibel auch liturgische Gesänge inspiriert. Die Texte der Messteile „Gloria“ (Lukas 2,14) , „Sanctus“ (Jesaja 6,3), „Benedictus“ (Psalm 118,26) und „Agnus Dei“ (Johannes 1,29) stammen aus der Bibel. Daneben sind manche Hymnen und Lieder der Bibel fester Bestandteil von Gottesdiensten. Beispielhaft sei nur das Magnificat erwähnt. Die Liste von Psalmvertonungen ist endlos, ebenso wie die von Vertonungen des alttestamentlichen Hoheliedes, das früh schon auf Christus und seine Kirche bezogen wurde und daher Eingang in den Gottesdienst fand.
Neuzusammenstellungen und Kompositionsvorlagen
Andere Bibeltexte wurden neu zusammengestellt, ergänzt und erweitert und zu beliebten Kompositionsvorlagen. Marienantiphone und -hymnen wie „Ave maris stella“ oder „Tota pulchra es“ sind dafür Beispiele. Das bekannteste Werk ist das „Ave Maria“, das aus Bibeltexten (Lk 1,28.42) und einer ergänzenden Bitte um Beistand in der Todesstunde besteht und in den Vertonungen von Bach/Gounod oder Schubert bei kaum einer Hochzeit fehlen darf.
Das biblische Oratorium
Neben der im engeren Sinne „Kirchenmusik“ genannten Bereiche war es jahrhundertelang vor allem ein Genre, in dem biblische Stoffe musikalisch bearbeitet wurden: das „Oratorium“. Es hat bereits seinem Namen nach mit Gebet zu tun, genauer gesagt mit einem Gebetshaus. Es entstand als musikalische Predigtmeditation zu einem biblischen Text oder Motiv, befasste sich aber auch mit Heiligenlegenden oder anderen religiösen Themen. Biblische Oratorien von Carissimi u. a. folgten dabei wörtlich dem Bibeltext, andere ließen sich von der biblischen Erzählung zu einer Art Predigt motivieren, die nach guter jesuitischer Manier das Ziel hatte zu belehren und zu bewegen/berühren (docere et movere). Großen Aufschwung erlebte das Oratorium am Ende des 17. Jahrhunderts, als es zum Opernersatz für die Fastenzeit geriet.
Stoffe aus dem Alten Testament
Zwar wurden Oratorien zumeist nicht szenisch aufgeführt, aber in Libretto und Musik konnte dennoch viel an Spannung und Dramatik aufgebaut werden. Dementsprechend beliebt waren Stoffe aus dem Alten Testament, die Glaube mit Liebe, kriegerischen Auseinandersetzungen und ausdrucksstarken Gottesbegegnungen zu verknüpfen wussten. Hier entstanden bis heute allseits bekannte Meisterwerke, allen voran die Oratorien Georg Friedrich Händels, aber auch Jospeh Haydns „Die Schöpfung“, Felix Mendelssohn Bartholdys „Elias“ oder Franz Schmidts „Buch mit sieben Siegeln“. Auch die großen Passionen Johann Sebastian Bachs sind oratorienartige Werke.
Biblische Opern
In Opern wurden biblische Stoffe erst später verwendet. Die Scheu, Gott als Person auf die Bühne zu bringen, war doch zu groß. Die Romantik, insbesondere die französische Romantik, war hier weniger zurückhaltend, und so sind dort auch Motive wie die Sintflut, die Schöpfungserzählung oder „Liebesgeschichten“ wie die von Simson und Delila beliebt. Eine wichtige moderne Oper ist Arnold Schönbergs „Moses und Aaron“, die Gott aus dem Dornbusch sprechen lässt. Eine besondere Gattung stellen Kirchenopern dar, eigens für die Aufführung in Kirchen geschriebene Werke biblischen oder allgemein religiösen oder zumindest spirituellen Inhalts. Diese Gattung entstand erst im 20. Jahrhundert. Hochrangige zeitgenössische Musik und die Auseinandersetzung mit biblischen/religiösen Inhalten in durchaus kritischer, aktualisierender Form zeichnen diese Werke aus. Beim Musikfestival „Carinthischer Sommer“ wurde bereits in den Anfangsjahren die Kirchenoper zum Markenzeichen des Festspiels. Die österreichische Erstaufführung von Benjamin Brittens „Der verlorene Sohn“ in der Stiftskirche Ossiach (1975) leitete eine Renaissance dieses Genres ein, das in den folgenden Jahrzehnten im „Carinthischen Sommer“ besonders intensiv gepflegt wurde. So gab es bis zur Spielzeit 2019 insgesamt 32 neue Kirchenopernproduktionen – 22 alleine in der Ära von Intendantin Prof. Dr. Gerda Fröhlich –, davon 17 Uraufführungen von Auftragswerken. Im Spannungsfeld von Kirche und Kunst ist die „Ossiacher Kirchenoper“ als exemplarisch für diese Form von sakralem Musiktheater anzusehen.
Moderne Formen
Moderne Formen von Bibel in der Musik sind auch auf außereuropäischem Gebiet zu beobachten. Vor allem in Gospels oder Reggae Musik sind die biblischen Bezüge oft beträchtlich, was nicht weiter verwundert: Das Genre „Gospel“ ist per definitionem ein „Evangeliumslied“, und (Roots) Reggae ist eng mit der jamaikanischen Rastafari-Bewegung verknüpft, deren Namensgeber sich als 225. Nachfolger König Salomos versteht.
Umgang mit Bibeltexten in musikalischen Werken
Die Spannbreite, wie mit Bibel in all diesen unterschiedlichen Musikwerken umgegangen wird, ist groß: Von wörtlicher Zitation ganzer Bibelteile, wie es etwa in den Passionen Bachs gegeben ist, über Nacherzählung und Anspielung bis hin zur völlig freien, auch gegenläufigen destruierenden Assoziation reicht die Palette. Selten gibt es Oratorien, die ausschließlich aus Bibeltexten bestehen. Das bekannteste Beispiel dafür ist Georg Friedrich Händels „Messias“, der eine äußerst gelungene Zusammenstellung an theologisch und liturgisch wichtigen Texten beinhaltet, mit der Besonderheit, dass oft neutestamentliche Ereignisse wie die Passion Jesu durch alttestamentliche Texte erzählt werden. Musikalisch sind die Werke ebenso von der Kunst der Komponisten abhängig wie weltliche oder andere religiöse Werke. Normalerweise bedienen sich die Komponisten auch desselben Repertoires und derselben musikalischen Ausdrucksweise wie bei weltlichen Kompositionen.
Den Geist des Glaubens verinnerlichen
Doch gibt es auch Unterschiede: Biblische Gestalten lieben, hassen, verzweifeln, belehren zwar wie ihre Pendants aus der griechischen Antike oder aus zeitgenössischen Romanen. Es ist jedoch interessant zu beobachten, wie das Übermenschliche, das Göttliche in Musik gesetzt wird. Wenn Gott spricht, wenn Engel das Wort ergreifen oder Christus die Menschen belehrt, dann ändert sich oft auch die Musik. Worte der Bibel, aus dem Mund Gottes, erfordern offenbar doch eine gründlichere Behandlung als andere. Und wenn das Werk missionarische Ziele hat, dann verändert auch das die Kompositionsweise. Im Großen und Ganzen befassen sich Kunstschaffende ernsthaft mit der Bibel. Lieblose Libretti und Vertonungen sind daher selten. Daher lohnt es sich auch, sich damit als Interpret oder als Publikum auseinanderzusetzen. Aus meiner eigenen Erfahrung als Sängerin kann ich sagen, dass die Durchdringung eines Textes für die Interpretation wichtig ist. Und bei biblischen Texten bedeutet das nicht nur, den Sinn zu verstehen, sondern auch den Geist, aus dem sie geschrieben wurden, ein Stück weit zu verinnerlichen: den Geist des Glaubens.
- Erstveröffentlichung dieses Beitrages von Elisabeth Birnbaum in: „Lebensbuch Bibel“, Jahrbuch der Diözese Gurk 2020, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).