Wozu denn für Verstorbene beten?
Johannes Staudacher über unseren „gefährdeten“ aber begleiteten Weg ins Jenseits
Gott behütet den Verstorbenen
„Gehst du durch Ströme – so reißen sie dich nicht fort. Gehst du durch Feuer – die Flamme wird dich nicht verbrennen. Denn ICH rufe dich bei deinem Namen. Du gehörst mir!“ Diese Worte aus dem Buch Jesaja bringen zum Ausdruck, dass eigentlich und zuletzt Gott den Menschen behütet und bewacht, auch noch auf seinem Weg durch den Tod. Und der Psalm 23 antwortet: „Muss ich auch gehen durch finstere Schlucht, ich fürchte kein Unheil, denn DU bist bei mir.“ Ja, Gott selbst will dafür sorgen, dass der Mensch ans letzte Ziel kommt. Aber, wie es in allen Dingen dieser Welt gilt, so auch hier: Gott will das nicht allein tun. „Gott sucht Mitliebende“. Gott sucht Mit-Sorgende. Hierher gehört das Gebet für unsere Toten.
Unser Gebet „wacht“ über dem Verstorbenen
In unseren Breiten wurde früher der Verstorbene zwischen dem Eintritt des Todes und dem Begräbnis nicht mehr allein gelassen. Auch nicht in der Nacht. Daher kommt der Name „Totenwache“. Angehörige, enge Verwandte und Nachbarn waren es zumeist, die diesen Liebesdienst getan haben. Im „Wachen“ ist aber nicht nur das „Wach sein“ enthalten, sondern da klingt auch etwas Behütendes mit. Liebe und Gebet sollten den Verstorbenen umgeben. Das war auch deshalb wichtig, weil die Menschen jener Zeit wussten, dass das „Hinübergehen“ ein gefährdeter Weg ist. Durch das Gebet, aber auch durch das Erzählen des Guten, das er getan hat, sollte der Verstorbene auf dem Weg geschützt sein. Das Anzünden von Kerzen für den Verstorbenen hat in vielen Kulturen den Sinn, ihm den Weg auszuleuchten, damit er ans Ziel findet. Wenn Christen am Sarg die Taufkerze entzündet haben, war damit auch gesagt: Dieser Mensch ist Gottes Eigentum. Tod und Finsternis dürfen ihn nicht festhalten …
Ein „gefährdeter Weg“?
Das ist unserer Zeit fremd geworden. Dabei scheint es mir ganz einfach: wir sehen ja, wie ein Leben lang jeder Mensch „gefährdet“ ist, zu scheitern. Mit seinen Idealen, mit dem Guten, das er begonnen hat. Ehe, Familie, das Mitgestalten der Welt im Kleinen und Großen – nichts gelingt mit Sicherheit. Und vieles bleibt auch immer offen. Wenn wir das Leben des Menschen als Reifungsgeschichte sehen, dann ist es nicht klar, dass diese Reifung auch umfassend geschieht. Lebenswege bleiben auch stecken, Menschen kommen über Abhängigkeiten und Fehlentwicklungen, negative Prägungen oft nicht hinaus. Wie viel oder wie wenig Liebe wächst manchmal! Wenn aber das ganze Projekt „Menschsein“ gefährdet ist, warum sollte im „Hinübergang“ plötzlich alles ganz klar sein? Warum sollte ein Weg, der in der Lebenszeit oft im Kreis ging, der keine klare Richtung hatte … plötzlich nur mehr ein Schritt sein, der selbstverständlich gelingt? – Für mich ist es viel verständlicher, das Hinübergehen wie unsere Vorfahren als etwas anzusehen, was eben „gefährdet“ ist. Das findet sich auch in den meisten Kulturen und dazu entsprechende Akte, die dem Verstorbenen helfen sollten, ans Ziel zu kommen, die „Überfahrt“ zu schaffen …
Immer ein begleiteter Weg
Und jetzt gehe ich an den Beginn des Textes zurück: Weil ich glaube, dass Gott ein Leben lang um uns geworben hat; weil ich glaube, dass er jedem von uns treu ist, deshalb glaube ich, dass er uns in seiner Zuwendung helfen will, auch „den Weg hinüber“ gehen zu können. „Barmherzigkeit“ nennen das die Gebetstexte der Kirche. Und so wie wir im Lauf des Lebens einander helfen können, den Weg zu finden; so wie wir zu Lebzeiten füreinander beten können, den anderen beim Reif-Werden unterstützen können, einander Wichtiges sagen können; so wie wir durch unsere Liebe einander tragen können, so glaube ich, dass diese „unter-stützende“ Liebe (was für ein schönes Wort!) mit dem Tod nicht aufhört. Sie darf eine neue Gestalt annehmen. Zu dieser neuen Gestalt gehört in besonderer Weise das Gebet für die Verstorbenen.
Unsere "unter-stützende" Liebe hört mit dem Tod nicht auf.
„Übars Wossa muaß i ume“
Das Lied „Is schon still uman See“, oft bei Begräbnissen gespielt, enthält dieselbe Weisheit. „Liegt a Ringle am Bodn, kanns nit aufa bringan!“ Der Mensch kann die Vollendung, das ganz Heile und Gerundete (dafür steht der Ring als Symbol) nicht aus eigener Kraft schaffen. Wenn er „übars Wossa ume muaß“, dann ist er auf eine Liebe und eine Macht angewiesen, die größer ist als seine eigene.
Vor einigen Wochen habe ich im Radio eine englische Version dieses Liedes gehört, bei der leider die Weisheit dieser letzten Zeilen verloren gegangen ist: „There is a ring on the floor – I don’t need it no more.“ Also: liegt a Ringle am Bodn, ich brauche es nicht mehr … Doch: gerade im Hinüber-Gang soll an uns endlich die Vollendung geschehen.
MEHR über das Thema "Totenwachen" erfahren Sie im >> Referat für Trauerpastoral