“Bitte, achte meinen Zorn”
Wie kann ich Trauernden hilfreich begegnen? II
von Seelsorger Mag. Johannes Staudacher
„Bitte, achte meinen Zorn!“
Zorn gehört normalerweise zum Erleben der Trauer dazu. Denn der Tod nimmt uns einen lieben Menschen. Er zerstört Lebenspläne und Hoffnungen. Und wir konnten nichts dagegen tun! Natürlich regt sich dann in uns Widerstand, Wut und Zorn.
Kirchlich geprägte Menschen bewerten diese starken Empfindungen oft als „Sünde“ und lehnen sie von vornherein ab. Als etwas, das nicht sein darf. Aber wir tun dem Trauernden etwas Gutes, wenn wir seinen „Zorn“ achten und ihm Raum und Zeit lassen. Schauen wir in das Johannesevangelium. Beim Tod seines Freundes Lazarus wird von Jesus nicht nur gesagt, dass er weinte. Es heißt dort zwei mal, dass er „voller Grimm“ war. Diese Wut Jesu, so verstehe ich den Text, richtet sich gegen die alles zerstörende Macht des Todes.
Zorn gegen sich und andere
Weil wir aber den Tod nicht fassen können, richtet sich der Zorn zunächst oft gegen Menschen. Manchmal finden wir „Schuldige“. Ärzte können das Ziel des Zornes werden, aber auch andere Menschen: „Wenn dieser oder jener nicht gewesen wäre, wäre das und das nicht so gekommen...“ Manchmal werden Familienmitglieder zu Blitzableitern für einen Zorn, der gar nicht wirklich zu ihnen gehört. Hier ist es wichtig: nur ein Zorn, der sein darf, den ein Mensch „durchkaut“, bekommt irgendwann auch seinen richtigen Platz.
Manche richten den Zorn gegen sich selbst. Sie geben sich selber Schuld am Tod oder leiden an den Versäumnissen ihres Lebens. Auch das muss durchgetragen werden. Wenn dann jemand reif wird, den Tod des geliebten Menschen zu akzeptieren, löst sich der Zorn zumeist auf. Aber es braucht seine Zeit, bis Menschen mit sich selber wieder Frieden schließen.
Bei Unfällen und Katastrophen
Besonders schwierig ist es, wenn – bei Unfällen etwa – sichtbar Mitschuldige oder Schuldige da sind. Bitte, achten wir diesen Zorn! Wenn ein Vater sein Kind verloren hat! Wir helfen ihm gewiss nicht, wenn wir von ihm erwarten, dass er „vergeben“ kann. Er muss wohl zuerst den Zorn immer wieder durchleben, bis dieser eines Tages gewandelt werden kann. Vergebung kann man nicht „machen“. Sie muss in uns wachsen. Unsere „Ermahnungen“ zur Versöhnung kommen oft einfach zur falschen Zeit. Achten wir lieber die Not dieses Menschen. Das wird ihm eher helfen, sich eines Tages mit dem, was war, zu versöhnen. Und auch zur Versöhnung mit den „Schuldigen“ zu finden.
Manchmal richtet sich die Wut gegen den Verstorbenen selbst. „Und auf dem Friedhof streite ich mit ihm...“ Das ist oft eine notwendige Klärung der gemeinsamen Lebenszeit. Es tut gut und führt schließlich zu einem realistischen Bild der gemeinsamen Geschichte. Manchmal richtet sich die Wut gegen Gott. Auch das darf sein. Darüber im nächsten „Sonntag“ mehr.
Menschen finden für ihren Zorn auch passende Ausdrucksformen. „Waldarbeit als Trauerarbeit“ ist mir begegnet. Auch „Bewegung“ hilft manchen. Jemand hat mir erzählt, wie er in den Keller gegangen ist, „um zu schreien“. Oder wie Pölster und Decken die Wut abfangen... Achten wir solches bei anderen und bei uns selber.