Zwischen Nutzen und Nähe
Tiere in der Bibel
von Dr. Yvonne Sophie Thöne
Die Kuh hat es nicht leicht. Grellbunte TV-Werbung suggeriert, dass sie, lila gefleckt oder Sonnenbrille tragend, für die Herstellung von Schokolade und Pudding verantwortlich ist. Hinter die idyllisch gefärbten Kulissen der industriellen Nahrungsmittelproduktion und Landwirtschaft geschaut, sieht es jedoch trist für die Kuh aus. Ob als Fleischrind oder Milchvieh, in anonymisierten und mechanisierten Massentierhaltungsbetrieben und Schlachthöfen leidet sie in beengten Verhältnissen und häufig ohne Tageslicht neben anderen tierlichen Wesen für unseren übermäßigen Fleisch und Milchkonsum, freilich außerhalb unseres Sichtfeldes. Ein gänzlich anderes Bild zeigt sich in der Bibel, die – abseits eines ausbeuterischen Nützlichkeitsdenkens – von einer überraschenden Nähe zur Tierwelt geprägt ist, was sich schon in der Namensgebung zeigt. So kommt die Kuh im weiblichen Vornamen Lea zu Ehren. Der Name ihrer biblischen Schwester, Rahel, bedeutet Mutterschaf, während Kaleb Hund und Jona Taube heißt, um nur einige von zahlreichen Beispielen zu nennen. In diesen Tiernamen kommt die enge Verbundenheit der Israeliten mit der sie umgebenden Tierwelt und deren Wertschätzung zum Ausdruck.
Mensch und Tier als häusliche Arbeitsgemeinschaft
Entsprechend ist auch die Kuh bzw. das Rind im Allgemeinen im biblischen Kulturraum weder ein verniedlichtes Knuddeltier noch eine verdinglichte Produktionseinheit, sondern gehört ganz selbstverständlich zur häuslichen Arbeitsgemeinschaft. Im Vierraumhaus lebt die Großfamilie zusammen mit ihren Tieren unter einem Dach. Aus dieser räumlichen wie sozialen Nähe ergibt sich, dass Tiere neben Menschen in den Sabbatgeboten genannt und so in einen direkten Bezug zueinander gebracht werden (Ex 20,8-11; 23,12; Dtn 5,12-15). Arbeitstiere wie Rind und Esel haben genauso wie andere schwache und abhängige Glieder der Gesellschaft, nämlich Sklaven und Fremde, ein Anrecht auf den Ruhetag. In der Relation zu Gott und in Hinblick auf den Sabbat werden sie alle unterschiedslos behandelt.
Schöpfungstheologie als Grundlage
Grundsätzliches zum Verhältnis von Tieren, Menschen und Gott findet sich in den beiden Schöpfungserzählungen. In Gen 1 wird die Erschaffung der Tiere besonders ausführlich dargestellt. Dass die Landtiere nach den Wasser- und Flugtieren am fünften Schöpfungstag mit den Menschen gemeinsam am sechsten Tag erschaffen werden, demonstriert deren verwandtschaftliche Nähe. In Gen 2,7.19 wird dies durch die Erschaffung aus dem gleichen Material, nämlich dem Ackerboden, verdeutlicht. Die grundsätzliche Nähe von menschlichen und tierlichen Lebewesen wird übrigens auch von Kohelet reflektiert: Menschen sind ebenso wie andere Tiere sterblich und haben diesen daher nichts voraus, heißt es dort (Koh 3,18-22). Zu beachten ist, dass in Gen 1 die Tiere nicht für den Menschen erschaffen werden, sondern eigenständige Wesen im Gegenüber zu Gott sind. Die Schöpfung gipfelt zudem nicht in der Erschaffung der Menschheit, sondern der siebte Tag, der Sabbat, ist ihr Höhepunkt. Bezeichnet werden die Tiere hier als „näfäsch chaja“. Das hebräische Substantiv „näfäsch“ bezeichnet zunächst die Kehle als Körperteil, in der sich die ganze Lebenskraft ausdrückt, so dass deutsche Bibelübersetzungen den Begriff meist mit „Seele“ übersetzen. Das Adjektiv „chaja“ bedeutet „lebendig“. Das bedeutet: Nicht nur haben Tiere eine Seele, ja, sie sind eine lebendige Seele. In Gen 1,28 segnet Gott die Menschen und gibt ihnen nicht nur den Auftrag, sich zu mehren, sondern auch über alle Tiere zu herrschen. Das so genannte „dominium terrae“ ist im Laufe der Auslegungsgeschichte auf fatale Weise zu Ungunsten der Tier- und Umwelt häufig missverstanden worden. Doch meint das hebräische Verb „radah“ kein Herrschen im Sinne einer ausbeuterischen, rücksichtslosen Gewaltherrschaft. Verortet in der altorientalischen Hirten und Königsideologie beschreibt es vielmehr ein verantwortliches und fürsorgliches Handeln zugunsten der Untergebenen.
Friedliches Zusammenleben als endzeitliche Vision
Als Symbol der Macht kann auch die Benennung der Tiere durch den Menschen in Gen 2,19-20 gedeutet werden. Dies beinhaltet jedoch auch den Aspekt, dass der Mensch die Tiere als vertrautes Gegenüber erkennt. Beachtenswert ist weiterhin die in Gen 1,29-30 erfolgende göttliche Nahrungszuweisung. Die rein pflanzliche Nahrung, die Gott Menschen und Tieren zuweist, präsentiert eine vegane, gewaltfreie Kost als utopisches Ideal im Lebenshaus der Schöpfung, in dem kein Wesen ein anderes tötet. Darin erinnert die erste Schöpfungserzählung an Jesajas Tierfrieden (Jes 11,6-9) mit seiner endzeitlichen Vision eines friedlichen Zusammenlebens aller Geschöpfe. Aufgehoben wird dieses Nahrungsgebot durch Gott erst nach der Sintflut in Gen 9,2-4, worin sich die real vorfindliche, einseitige Verfügungsgewalt der Menschen über Tiere niederschlägt. Die Formulierung, dass von nun an „Furcht und Schrecken“ vom Menschen auf Tiere hin ausgehen, macht allerdings deutlich, dass das einst friedliche Verhältnis zutiefst gestört ist. Als Bundespartner Gottes werden jedoch alle, Menschen wie Tiere, benannt (Gen 9,8-17). Noch weiter geht Psalm 104. In seinem Lobgesang auf die Schöpfung macht der Text keinen Unterschied zwischen menschlichen und tierlichen Geschöpfen und entwirft dabei eine „Vision gewaltlosen Zusammenlebens“ (Erich Zenger). Hier steht die theologische Sinnhaftigkeit aller Lebewesen im Schöpfungsgefüge im Fokus.
Die enge Beziehung von Gott und Tieren
Menschen und andere Tiere erweisen sich als abhängige Geschöpfe Gottes, der für sie alle sorgt und ihnen je eigene Lebensbereiche – etwa Bäume für die Vögel zum Nisten, Berge den Steinböcken als Zuflucht – zugeteilt hat. Die Welt wird, ähnlich wie in Gen 1, als Lebenshaus gezeichnet. In diesem harmonischen Ökosystem respektieren alle unterschiedlichen Lebewesen die ihnen zugewiesenen Lebensräume und -zeiten. Das Verhältnis zwischen Tieren und Gott ist ein besonderes. Nicht nur wird Tieren ein Sinn für das Göttliche nachgesagt, etwa wenn sie JHWH um Nahrung bitten (Hiob 38,41) oder ihn lobpreisen (Ps 148,7.10). Auch Gott wendet sich seinen tierlichen Geschöpfen liebevoll zu (Ps 147,9). Mitunter ist es sogar ein Tier, das dem Menschen theologische Erkenntnis voraus hat, wie in der Erzählung von Bileam und seiner Eselin (Num 22,21 35), die nicht nur die religiöse Sensibilität des Tieres betont, sondern auch in ethischer Perspektive ihre Misshandlung kritisiert. Auch kann Gott selbst in der alttestamentlichen Bildsprache als schützender Geier, kämpferischer Löwe oder aggressive Bärenmutter auftreten (vgl. Ex 19,4; Dtn 32,11; Jes 31,4; Hos 5,14; 13,8). Im Neuen Testament schließlich erscheint Jesus als Lamm Gottes (Joh 1,29.36).
Tiere in Rechtstexten
Aus der Nutzung der domestizierten Tierarten wie z. B. dem Einsatz von Rindern als Arbeitstiere, die Karren und landwirtschaftliche Geräte wie Pflug und Dreschschlitten ziehen (vgl. 2 Sam 24,22; 1 Kön 19,19-21; Hiob 1,14), und den daraus resultierenden Besitzverhältnissen ergibt sich die Notwendigkeit einer Gesetzgebung. Dabei lassen zahlreiche Textstellen durchaus ethische Ansätze erkennen. Dies gilt beispielsweise in dem bereits erwähnten Sabbatgebot, das sich auch auf Arbeitstiere erstreckt. Das Lasttier par excellence im biblischen Kulturraum ist der Esel, der damals wie heute in manchen Kulturen häufig unter schwerer Beladung zu leiden hatte. Wenn nun ein Esel unter seiner Last zusammenbricht (vgl. Ex 23,5; Dtn 22,4), muss diesem erste Hilfe geleistet werden, selbst wenn der dem Feind gehört. Das arbeitende Rind steht im Mittelpunkt der Rechtsbestimmung von Dtn 25,4: „Du sollst dem Ochsen zum Dreschen keinen Maulkorb anlegen.“
Respekt vor der Schöpfungsordnung
Aus dem Verbot ist zunächst einmal zu folgern, dass es im Alten Orient gängige Praxis war, Nutztieren bei der Feldarbeit das Maul zuzubinden, um sie am Stehenbleiben und Fressen zu hindern. Damit handelt der Mensch jedoch gegen das natürliche Fressbedürfnis der Tiere, und auch die freie Atmung wird dadurch eingeschränkt. Der Sinn des Verbots ist also, das Arbeitstier nicht schrankenlos auszubeuten, sondern ihm einen angemessenen Anteil an der Frucht seiner Arbeit zukommen zu lassen. Mehrfach findet sich das Verbot, einen jungen Ziegenbock in der Milch seiner Mutter zu kochen (Ex 23,19; 34,26; Dtn 14,21). Im Kulturkreis des Alten Testaments gibt es zahlreiche ikonographische Belege, welche die Beziehung zwischen Muttertier und ihrem Jungen zum Inhalt haben. Diese Darstellungen der säugenden Ziege oder Kuh bringen nicht nur Fruchtbarkeit, sondern auch die enge, harmonische Verbundenheit von Muttertier und Jungem zum Ausdruck. Auf einigen Bildern wird die Kuh gegen ihren Willen von einer menschlichen Figur gemolken, das Jungtier festgehalten oder angebunden, während die Mutter sich nach dem Kind ausstreckt oder weint. In dem biblischen Verbot kommt also der Respekt vor einer Schöpfungsordnung zum Ausdruck, die diese Einheit und den Kreislauf des Lebens respektiert. Die Muttermilch verkörpert dabei die Kraft des Lebensanfangs für das Jungtier und darf daher nicht zum Bereich seines Todes werden. In diesem Text offenbart sich ein verantwortlicher, ehrfurchtsvoller Umgang mit dem Leben. Die Folgen dieses Textes sind jedoch auf ganz andere Weise kulturbewegend, wurde er doch zur Grundlage der Regel zur Trennung von Fleisch- und Milchgerichten in den jüdischen Speisevorschriften (Kaschrut).
Opferbestimmungen im Alten Testament
Von zentraler Bedeutung sind ebenfalls die alttestamentlichen Opferbestimmungen (Lev 1-7 u. ä.). Grundsätzlich dient das Opfer zur Kommunikation mit Gott und macht diese ganzheitlich erlebbar wie z. B. durch das Sehen und Riechen des Rauches oder das Schmecken des Fleisches. Neben pflanzlichen Opfergaben, beispielsweise Öl oder Brot, spielt das tierliche Opfer eine wichtige Rolle. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher ökonomischer Möglichkeiten der Opfernden wird dabei differenziert zwischen dem finanziell kostspieligen Opfer eines Rindes, dem Mittelklasse-Kleinviehopfer von Schaf oder Ziege und der Low- Budget-Variante eines Taubenopfers (Lev 1,3.10.14, vgl. Lev 5,7.11). Diese soziale Regelung macht deutlich, dass materielle Wertunterschiede und menschliche Klassenunterschiede vor Gott keine Rolle spielen
Zwischen Nutzen und Nähe
Während die heutige Einstellung gegenüber Tieren einseitig meist entweder auf den reinen Nutzen fokussiert bleibt, wie etwa im Falle von Tieren, die der Nahrungsmittelproduktion dienen, oder den Aspekt der Nähe akzentuiert, z. B. in Bezug auf Haustiere, wird in den biblischen Zeugnissen deutlich, wie sehr hier Nutzen und Nähe miteinander verwoben sind. Grundsätzlich werden Tiere als Wesen eigenen Wertes anerkannt, die – ebenso wie Menschen – in direkter Verbindung zu Gott stehen. Ihre positive Wertschätzung und Vorbildfunktion drückt sich beispielsweise in den alttestamentlichen Tiernamen aus. Werden Tiere in Arbeitsalltag und Kult nutzbar gemacht, gilt es, deren Natur zu berücksichtigen und sie als ethisch relevante Wesen zu achten. So heißt es denn auch in Spr 12,10: „Der Gerechte weiß, was sein Vieh braucht, doch das Herz der Frevler ist hart.“ Gute Aussichten für die Kuh. |
Autorin: Dr. Yvonne Sophie Thöne, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im LOEWE-Schwerpunkt „Tier-Mensch-Gesellschaft“ am Institut für Katholische Theologie/Altes Testament an der Universität Kassel.
Erstveröffentlichung in: "Mensch und Tier. Impulse für ein schöpfungsgemäßes Miteinander", Jahrbuch der Diözese Gurk 2017, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).