Was bedeutet das Reformationsgedenken 2017 für Katholiken und Evangelische in Kärnten?

Generalvikar Engelbert Guggenberger und Superintendent Manfred Sauer im Gespräch

Was bedeutet das Reformationsgedenken 2017 für Katholiken und Evangelische in Kärnten? - Generalvikar Engelbert Guggenberger und Superintendent Manfred Sauer im Gespräch mit Josef Bruckmoser (© Foto: Pressestelle / Willers (Montage - KHK))
Was bedeutet das Reformationsgedenken 2017 für Katholiken und Evangelische in Kärnten? - Generalvikar Engelbert Guggenberger und Superintendent Manfred Sauer im Gespräch mit Josef Bruckmoser (© Foto: Pressestelle / Willers (Montage - KHK))
Generalvikar Engelbert Guggenberger (Mitte) und Superintendent Manfred Sauer (re.) im Gespräch mit SN-Redakteur Josef Bruckmoser in der Bischöflichen Residenz in Klagenfurt (© Foto: Pressestelle / Willers)
Generalvikar Engelbert Guggenberger (Mitte) und Superintendent Manfred Sauer (re.) im Gespräch mit SN-Redakteur Josef Bruckmoser in der Bischöflichen Residenz in Klagenfurt (© Foto: Pressestelle / Willers)

Herr Superintendent Sauer, wie ist das ökumenische Klima in Kärnten?
Sauer: Sehr gut. So wie wir gemeinsam öffentlich auftreten, geschieht das auf Augenhöhe. Wir treffen uns regelmäßig in der ökumenischen Kontaktkommission, wir setzen konkrete Projekte um und wir verständigen uns bei aktuellen Anlässen auf kurzem Wege. Das ist sehr gut eingespielt.

Im öffentlichen Auftreten gibt es in Kärnten eine bemerkenswerte Praxis: Der evangelische Superintendent nimmt aktiv an Gottesdiensten des katholischen Diözesanbischofs teil, indem er Lesungen, Fürbitten oder den Segen spricht. Sind Sie in einer katholischen Eucharistiefeier nicht trotzdem der Zweite?
Sauer: Ja, das hat mir innerevangelisch durchaus Kritik eingebracht. Aber ich respektiere den Wunsch der Katholischen Kirche, wenn zum Beispiel eine Trachtenwallfahrt am Sonntag stattfindet, dass diese
in einer Eucharistiefeier ihren festlichen Höhepunkt erfährt. Wenn wir dabei ökumenisch vereint sind, fühle ich mich keineswegs zurückgesetzt.

Haben Sie – was eine große Ausnahme wäre – schon einmal eucharistische Gastfreundschaft seitens der Katholischen Kirche erlebt?
Sauer: Es ist einmal vorgekommen, dass ich von einem Pfarrer eingeladen wurde, zu kommunizieren.

Herr Generalvikar, der Anteil der Evangelischen ist in Kärnten mit zehn Prozent besonders stark. Welche Herausforderung sehen Sie da?
Guggenberger: Für uns ist die Evangelische Kirche ein qualifiziertes Gegenüber, in der Gestaltung des gottesdienstlichen Lebens, aber auch in der Stimme, die sie im Land darstellt. Ich erlebe das evangelische Spezifikum als eine Gesinnung, die das Christliche auch gesellschaftspolitisch zur Sprache bringt. Wir anerkennen das als Herausforderung, auch selbst unsere Stimme in der Öffentlichkeit zu erheben.

Was würden Sie gern von der Evangelischen Kirche übernehmen?
Guggenberger: Ich achte diese versierte und kreative Art und Weise, das Christliche in der Gesellschaftspolitik zu verankern.

Wie weit gelingt es Ihnen, sich in Kärnten als gemeinsame Stimme zu positionieren?
Sauer: In heiklen Situationen, wo wir gefordert sind, ruft mich der Diözesanbischof an oder ich rufe ihn an, und wir versuchen dann, mit einer Stimme zu sprechen. Das gelingt nicht immer, aber großteils. Wo
es gelingt, hat das eine starke Signalwirkung in der Öffentlichkeit. Ein Beispiel ist die Ortstafelfrage, die in Kärnten sehr sensibel ist. Die Geschichte unserer Kirchen ist dabei unterschiedlich. Aber wir sind beide ganz klar für zweisprachige Ortstafeln eingetreten, weil wir die Zweisprachigkeit in unserem Land für identitätsstiftend halten.

Herr Generalvikar, die Evangelische Kirche hat sich in Kärnten von der Reformation her stark in der Bildung positioniert. Wie weit gibt es hier eine Zusammenarbeit?
Guggenberger: Es gibt eine Reihe von gemeinsamen Angeboten. Eine besonders gute Tradition haben wir in der ökumenischen Ehevorbereitung entwickelt durch die gemeinsamen Seminare für gemischtkonfessionelle Hochzeitspaare. Immer wieder gibt es Bildungsveranstaltungen der ökumenischen Kontaktkommission für die Pfarrer beider Konfessionen.

Sind sie gut besucht?
Guggenberger: Ja, durchaus. Wir hatten bei einem gemeinsamen Nachmittag zur Vorbereitung des Reformationsgedenkens 2017 mehr als 50 Teilnehmer. Eine ganz außergewöhnliche Initiative ist im Februar 2017 eine ökumenische Romfahrt.

Herr Superintendent, wie wohl werden Sie sich in Rom fühlen?
Sauer: Ich glaube sehr wohl (lacht).

Ist auch eine Papstaudienz vorgesehen?
Sauer: Ja.

Was bedeutet der Papst für Sie als evangelischer Amtsträger?
Sauer: Der jetzige Papst ist eine faszinierende Persönlichkeit. Franziskus hat durchaus lutherische Züge in dem Sinne, dass er sehr mutig und selbstkritisch auftritt. Er nennt die Missstände und den Reformbedarf in der eigenen Kirche beim Namen. Weltweit beachtet wird sein überzeugender Einsatz für die Ärmsten in der Gesellschaft.

Es gab für das Luther-Jahr 2017 die Idee, den Papst nach Deutschland einzuladen. Diese Einladung durch die Evangelische Kirche blieb aus. Warum?
Sauer: Das weiß ich nicht.

Eine These wäre, man feiert lieber unter sich und will sich nicht vom Papst die Show stehlen lassen.
Sauer (lacht): In Österreich sind wir Minderheitenkirche, und von da her gibt es manchmal den evangelischen Komplex, dass wir in der Öffentlichkeit zu kurz kämen – was ja teilweise auch passiert, nicht in Kärnten, aber bei anderen offiziellen Anlässen. In Kärnten versuchen wir ganz klar das Gemeinsame hervor zu streichen. Aus unserer Sicht wäre daher ein Papstbesuch 2017 in Deutschland eine großartige Sache gewesen. In der Vorbereitungsphase für 2017 hat es in Deutschland aber eine andere Dynamik gegeben als bei uns.

Könnte die ökumenische Romfahrt von Kärntner Katholiken und Evangelischen eine neue gemeinsame Tradition werden?
Sauer: Das kann ich mir durchaus vorstellen. Wir haben überlegt, was ein gemeinsames
Zeichen sein könnte. Bischof Schwarz hat eine Israel-Reise vorgeschlagen. In unseren internen Gesprächen kam dann der Gedanke auf, dass eine gemeinsame Romfahrt das noch stärkere Zeichen wäre. Die Reaktion in der Pfarrerschaft war sehr positiv.

Herr Generalvikar, haben Sie in der Personalplanung ein Auge darauf, dass in Gebieten mit hohem evangelischem Anteil ökumenisch gesinnte Seelsorger wirken?
Guggenberger: Das ist für uns ein sehr wichtiges Kriterium für Pfarrbesetzungen. Kärnten ist ein Land mit einer starken evangelischen Tradition. Daher ist hier auch der ökumenische Auftrag besonders stark. Die Ökumene ist uns ja nicht freigestellt, sondern wir sind vom Zweiten Vatikanischen Konzil her dazu verpflichtet.

Gibt es auch ökumenisch übereifrige Pfarrer, die Sie manchmal zurückpfeifen müssen? Etwa beim Thema eucharistische Gastfreundschaft?
Guggenberger: Da gibt es einen Unterschied zwischen Amt und persönlicher Befindlichkeit. Von Amts wegen muss ich die Generallinie der Kirche einfordern. Ich bin mir aber bewusst, dass es Fortschritte in dieser oder jener theologischen Frage auch durch mutige, kreative Weiterentwicklungen gegeben hat, wie sie Papst Franziskus selbst immer wieder einmahnt. Daher ist es manchmal kein Nachteil, wenn der Generalvikar nicht alles bis ins letzte Detail weiß.

Sie haben einen Beitrag veröffentlicht zu der Frage, ob Katholiken im Luther-Jahr 2017 einen Anlass zum Feiern haben. Da ist Ihnen sehr viel Positives eingefallen: die Freiheit des Christenmenschen, die Kirche als Volk Gottes, die Ämter als Dienst, die Bedeutung des Wortes. Läuft die Römisch-Katholische Kirche in manchen Fragen der Reformation hinterher?
Guggenberger: Ich habe darauf hingewiesen, was für jede Gemeinschaft gilt: Ein Gegenüber ist förderlich, auch wenn es vielleicht schmerzhaft ist, weil dieses Gegenüber spiegelt, in welchen Bereichen man selbst hinter den Zeichen der Zeit nachhinkt. Wir spüren zum Beispiel sehr genau, dass unsere Kirche in der Gleichberechtigung der Frau noch nicht auf dem Niveau des gegenwärtigen öffentlichen Diskurses in unseren westlichen Gesellschaften ist.

Würden Sie den Satz unterschreiben, ohne Martin Luther wäre auch die Römisch-Katholische Kirche ärmer?
Guggenberger (denkt nach): Ja, das kann ich durchaus sagen.

Herr Superintendent, es gab eine Superintendentin im Burgenland und in Salzburg. Jetzt steht die Evangelische Kirche diesbezüglich wieder bei null. Wie konnte das passieren?
Sauer: Das fragen wir uns auch. Wir haben eine Oberkirchenrätin, Ingrid Bachler. Und es gab von den Gemeinden her auch Nominierungen von Frauen für eine Superintendentur. Aber die vorgeschlagenen
Frauen haben – aus welchen Gründen immer – abgesagt.

Die frühere Superintendentin von Salzburg und Tirol, Luise Müller, würde dazu feststellen: Wenn Frauen absagen, hängt das vor allem mit den Rahmenbedingungen zusammen. Die müssten frauen- und familienfreundlicher werden.
Sauer: Darauf müssen wir zweifellos schon im Vorfeld der kommenden Wahlen besser achten. Wir müssen Frauen so fördern, dass sie ein solches Amt auch annehmen können. In den nächsten fünf Jahren müsste es gelingen, dass wir zumindest wieder eine Superintendentin bekommen.

Herr Generalvikar, wann wird es in der Katholischen Kirche die erste Diakonin geben?
Guggenberger: Es ist ein erster großer Schritt, dass Papst Franziskus diesen Gedanken und die Diskussion darüber wieder zulässt und dass er eine Kommission dafür eingesetzt hat. Es wird aber nicht leicht sein, die Weihe von Diakoninnen in der Katholischen Kirche durchzusetzen.

Sie sind Jahrgang 1953, werden Sie es noch erleben?
Guggenberger: Ich wünsche es mir, dass die Rolle der Frau in der Katholischen Kirche eine werden kann, die dem öffentlichen Bewusstsein bei uns entspricht. Ich habe aber elf Jahre in Rom gelebt und habe daher ein großes Verständnis für die Weltkirche. Rom möchte nicht neuerlich erleben, dass sich ein Teil der Kirche abspaltet, so wie das nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil geschehen ist.

Ein Benediktinerabt in Salzburg hat vorgeschlagen, Vorbereitungskurse für Frauen zu starten, die den Diakonat anstreben. Könnten Sie sich so etwas vorstellen?
Guggenberger: Ich hielte das für verfrüht. Man würde damit eine Dynamik in Gang setzen, die für andere ein Alarmzeichen wäre. Das Thema muss zuerst im Gespräch aufbereitet werden, um ein positives intellektuelles Klima dafür zu schaffen.

Voraus ist die Katholische Kirche ihrem evangelischen Gegenüber in der Kunst des Feierns. Manche evangelische Eltern möchten ihr Kind sogar in einer prunkvollen katholischen Kirche taufen lassen. Warum ist das nicht möglich, wo doch alle Christen auf Christus getauft sind?
Guggenberger: Die katholische Kirchenordnung bindet das Sakrament stark an den geweihten Raum. Das ist unsere Tradition.

Immer mehr Kinder werden überhaupt nicht getauft. Müsste da nicht jede Tauffeier willkommen sein?
Guggenberger: Das ist auch der Fall. Aber man muss den Wunsch nach einer bestimmten Kirche auch kritisch anschauen. Es geht dabei nicht immer nur um das Glaubensinteresse, sondern die Planung beginnt häufig mit dem Essen und mit dem Fotografen. Dann sieht man eine schöne Kirche wie Maria Wörth am Wörthersee und denkt, die würde den passenden Rahmen für die Feier abgeben.

Herr Superintendent, warum ist in der Evangelischen Kirche alles so nüchtern?
Sauer: Wir schielen manchmal ein wenig neidvoll auf das besondere ästhetische Empfinden der Katholischen Kirche. Aber das Nüchterne hat auch seine besondere Qualität, weil es den Blick auf das Wesentliche lenkt. Ich habe einmal in dem Ansinnen, unsere Gottesdienste vielfältiger zu gestalten, Erwin Piplits eingeladen, den Mitbegründer des Serapionstheaters. Überraschenderweise hat der dann gesagt: Bleibt bei eurer klaren Form, bei eurer schlichten Liturgie. Entscheidend ist, dass jede Handlung gut vorbereitet ist.

Was würden Sie am ehesten von der Katholischen Kirche übernehmen wollen?
Sauer: Kirchenbauten zum Beispiel oder die liturgische Präsenz, diese Kunst, eine Feier so zu zelebrieren, dass eine Wertschätzung der einzelnen Handlungen spürbar und erlebbar wird.

Ein wenig Weihrauch könnte nicht schaden?
Sauer: Da habe ich dazugelernt. Ich komme aus einem burgenländischen Dorf, wo die Evangelischen in der Mehrheit waren. So etwas wie Weihrauch oder bestimmte liturgische Handlungen waren mir sehr fremd. Wir thematisieren solche Fragen aber immer wieder, zum Beispiel, warum wir uns so sehr dagegen wehren, das Kreuzzeichen zu machen.

Was beide Kirchen betrifft: Welche Herausforderung sehen Sie in der wachsenden Zahl von Muslimen in Österreich?
Sauer: Der radikale Fundamentalismus fordert uns heraus, die Rolle der Religion in der Öffentlichkeit noch deutlicher anzusprechen. Bildung, wie wir sie im konfessionellen Religionsunterricht vermitteln, ist
ein wesentliches Element, um fundamentalistischen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Wenn wir die Jugendlichen so unterrichten, dass sie das Religiöse in seiner ganzen Weite und Breite erfahren und andere respektieren lernen, dann ist das so etwas wie eine Impfung gegen Fundamentalismus.

Herr Generalvikar, müssten die Kirchen nicht stärker für einen Ethikunterricht für jene Jugendlichen eintreten, die derzeit eine Freistunde statt Religion haben?
Guggenberger: Selbstverständlich wäre es wichtig, dass diejenigen, die den Religionsunterricht nicht besuchen, in den Ethikunterricht gehen. Man befürchtet aber, dass die Bedingungen für den Religionsunterricht schlechter werden könnten, wenn man das Paket „Religionsunterricht/ Ethikunterricht“ aufschnürt.

Zum Abschluss: Was kann in Kärnten vom Luther-Jahr 2017 bleiben?
Sauer: Wichtig sind gemeinsame Zeiten und Begegnungen der Pfarrer. Ein konkretes Jugendprojekt ist zum Thema „Bewahrung der Schöpfung“ geplant. Zentral ist aus evangelischer Sicht die eucharistische Gastfreundschaft. Es sollte bei allem Unterschied in der Auffassung vom Abendmahl möglich sein, gemeinsam zu feiern.

Was fehlt dafür noch, Herr Generalvikar?
Guggenberger: Die Differenz im Verständnis des Abendmahles könnte die Katholische Kirche aushalten. Aber die Verschiedenheit im Amtsverständnis ist zu groß. Würden wir das missachten, dann
würde wohl ein Teil der Katholiken sagen: Ihr könnt euch nennen wie ihr wollt – neuprotestantisch oder was immer -, aber katholisch seid ihr nicht mehr, das sind wir. Daher kann die Weltkirche die eucharistische Gastfreundschaft nicht gewähren – auch wenn die Menschen bei uns das sofort mit Freude annehmen würden.

Kann sich das unter Franziskus ändern?
Guggenberger: Papst Franziskus versucht, Diskussionen zu eröffnen. Er tut das sehr sensibel und vorsichtig: Er macht die Tür auf, und wenn er merkt, dass zu viele nicht mit können, macht er wieder einen Spalt zu. Aber dadurch ist frische Luft in die Kirche hineingekommen, und das wirkt weiter. Dieser kontrollierte Prozess der Öffnung hat die beste Aussicht auf Erfolg.

Liegt die Diözese Kärnten an der Spitze der Kohorte oder im Mittelfeld?
Guggenberger: Wir pflegen die offene Diskussion, haben aber auch einen realistischen Sinn für das, was möglich ist, ohne dass das Ganze wegen zu großer Spannungen auseinander bricht. Wir haben
in der Diözese Gurk-Klagenfurt große Gedankenfreiheit und man wird ermutigt, alle zeitgemäßen Formen des Christlichen auszuschöpfen, die möglich sind. Das gilt auch und besonders für die ökumenische Begegnung und Zusammenarbeit.

 

  • Das Gespräch führte Mag. Josef Bruckmoser. Er ist Ressortleiter für Wissenschaft/Gesundheit/Religion bei den "Salzburger Nachrichten" (SN). Dieses Interview wurde in den SN und im Jahrbuch der Diözese Gurk 2017 veröffentlicht.