Der Schatz im Sakrament der Versöhnung
Das Sündenbekenntnis und die Bitte um Vergebung bleiben hochmodern und können befreiend sein. Eine Neubesinnung ist notwendig.

Die Geschichte vom Bußsakrament ist seit den frühen Christengemeinden recht wechselvoll. Vieles hat sich im Verständnis und in der Praxis des Bußsakramentes gewandelt.
Die Grundfragen für eine Neubesinnung sind: Was glaube ich von Gott – welches Gottesbild begleitet mich beim Beichten? Was ist die Sünde? Wie ist Vergebung möglich? Wie sehe ich meine Verantwortung auch gegenüber der Gemeinschaft der Mitchristen, als „ein Glied am Leib Christi“?
Gott ist die Liebe
An welchen Gott glauben wir bei der Feier der Versöhnung? Die Vorstellungen von Gott, der wie ein Buchhalter unsere guten und unsere bösen Taten verbucht und vorrechnet, widerspricht der Botschaft Jesu von der voraussetzungslosen Liebe, mit der Gott und Jesus den Menschen begegnet und den „Verlorenen“ nachgeht.
„Gott ist die Liebe“ bekennen wir mit dem christlichen Glauben. (1 Joh 4,16). Das bedeutet, dass Gott nicht mehr oder weniger Liebe hat. Gott ist Liebe und kann nicht anders als lieben, und das total und vollkommen. Bei uns Menschen sind wir gewohnt, manchen mehr und anderen weniger Liebe und Sympathie zuzuwenden und unsere Liebe auch ganz zu entziehen. So von Gott zu denken, ist allzu menschlich und nicht nach dem Geist Jesu.
Ich bin überzeugt, Gott rechnet nicht die einzelnen Vergehen ab und vergibt auch nicht nur die Sünden, die jeweils gebeichtet werden. Wenn ein Mensch sich neu auf Gott ausrichtet und um Vergebung bittet, nimmt Gott den Sünder an und sagt sein liebendes Ja zu ihm, auch mit all den Schwächen und Fehlern. Gott zieht seine Wertschätzung und Zuwendung, mit der den einzelnen erschafft und begleitet, nie zurück – auch wenn sich das Geschöpf von seinem Schöpfer abwendet und gegen ihn stellt. Vielmehr ist Gottes Liebe auch immer eine barmherzige, die für den „Heimkehrenden“ offen ist.
Ein barmherziger Vater
Treffend wird das im Gleichnis vom barmherzigen Vater und vom verlorenen Sohn erzählt. Der jüngere Sohn hat sein Erbteil vom Vater gefordert und sich dann von vom Vater getrennt. Reumütig kehrt er zurück und wird – ohne Vorwürfe, vielmehr mit großer Freude – vom Vater wieder ganz und gar als Sohn aufgenommen. (Vgl. Luk 15, 11-32)
Jesus will mit den Gleichnissen von den Verlorenen deutlich machen will, wie sehr Gott denen, die verloren gehen, nachgeht und wie Freude über jeden herrscht, der gefunden wird und sich finden lässt. (vgl. Luk 15. Kap.) Geht nicht voraus, was in den drei Gleichnissen nicht ausdrücklich gesagt wird, dass der Hirte jedes der hundert Schafe liebt und schätzt, dass die Frau jede der zehn Drachmen schätzt (freilich erst, wenn sie eine nicht findet, daran denkt, wie wertvoll die Drachme für sie ist) und dass der Vater jeden seiner Söhne und jede Töchter wertschätzt?!
Besteht nicht die Krise im Sakrament der Versöhnung, dass wir so schwer an diese voraussetzungslose, umfassende Liebe und Wertschätzung Gottes zum Menschen glauben und der barmherzigen Liebe Gottes kaum traue? Glaube und anerkenne ich, dass ich von Gott so sehr geschätzt, umfassend geliebt und bejaht bin, wie ich eben bin? Die Krise mit dem Sakrament als Ausdruck der Glaubenskrise an Gott, der Liebe ist?
Vergebung - eine Kernbotschaft im Evangelium Jesus
Als ein Gelähmter durch Freunde zu Jesus gebracht wird und ihren Glauben sieht, sagt Jesus zuerst: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ Das empört die Gesetzeslehrer; denn nur Gott könne Sünden vergeben. Sie erkenne jedoch nicht, wer dieser Rabbi Jesus ist. (Markus 2, 1-12)
Petrus hat, trotz ehrlich gemeinter Beteuerung seiner Treue zum Herrn, Jesus feig verleugnet. Als der Hahn kräht, erschrickt er und weint betroffen. (vgl. Mk 14, 66-72) Als Simon dem Auferstanden beim Kohlenfeuer begegnet und von ihm angesprochen wird, kommt kein Vorwurf, sondern einzig die Frage. „Liebst du mich?“ (Joh 21, 15-19)
Jesus muss oft den Vorwurf der „Frommen und Gesetzestreuen“ hören, dass er „mit Zöllnern und Sündern verkehrt“ und sich ihnen zuwendet. Jesus widersteht der Sünde, aber bleibt liebend gegenüber dem Sünder, der Sünderin und bereit zum Vergeben.
Jesus erwartet aber auch von den Seinen, dass sie immer wieder zum Vergeben bereit sind. Wieder ist es Petrus, der den Meister fragt, wann es wohl reicht, dass man nicht noch einmal vergeben müsse – siebenmal? Und Jesus antwortet: „7 x 77“, das heißt: fange gar nicht an zu zählen. (vgl. Mt 18, 21-22) Und wenn wir zum Gottesdienst gehen und mit jemandem im Unfrieden leben, soll zuerst die Versöhnung gesucht werden. (vgl. Bergpredigt Mt 5,23-24)
Gott ist unendlich barmherzig liebend und sagt seine Versöhnung immer wieder zu; aber ebenso soll auch unter uns Menschen die Bereitschaft zur Versöhnung gepflegt werden. Im Vater uns beten wir die Bitte „Vergib uns unsere Schuld – wie auch wir einander vergeben.“
Es gibt die Sünden gegen Gott und die Sünde gegen die Mitmenschen und gegen sich selbst. Jede Sünder am Nächsten ist auch Sünde vor Gott. Christus identifiziert sich mit den Nächsten. „Was ihr einem meiner Brüder und Schwestern getan habt bzw. ihnen nicht getan habt, das habt ihr mir getan bzw. nicht getan.“ (vgl. Mt 25, 35-45)
Was ist Sünde?
Viele sehen die Sünde im Zusammenhang mit den Geboten und Vorschriften, wenn sie „übertreten“ und nicht beachtet werden. Auch die „Zehn Gebote“ und andere Vorschriften werden als Gesetze betrachtet, die gewissenhaft beachtet werden müssen. Ein Gebot übertreten ist eine sündhafte Verfehlung.
In der Heiligen Schrift ist das Hauptgebot: Gott mit ganzem Herzen lieben, den Nächsten lieben und sich selbst lieben. Wenn Liebe ein allzu gebrauchtes und abgenütztes Wort ist, kann es ersetzt werden mit wert-schätzen, das heißt, den Wert, das Kostbare wahr-haben und schätzen und Ja dazu sagen.
Wenn das Zehngebot (Dekalog) in der Bibel genannt wird, so steht davor der Hinweis auf die große Befreiungserfahrung des Volkes: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ Dann folgen die Gebote. (Vgl. Exc 20, 1-17 und Dt. 5, 6 ff) Sie sind Ausdruck der Bundesbeziehung und sind Weisungen, die die Freiheitserfahrung im Volk sichern sollen.
Im religiös, theologischen Sinn ist die Sünde nicht primär die Übertretung von Vorschriften, sondern die Umkehrung der Liebe: sich nicht lieben lassen, Liebe und Zuwendung zurückweisen, Liebe verweigern, Lieblosigkeiten – darin besteht die Sünde.
Wir sind geschaffen und berufen, um zu leben und zu lieben. Sünde stört und zerstört die Liebe, verletzt die Liebesbeziehungen; Sünder beeinträchtigt oder zerstört Leben. Man kann Sünde auch sehen als Distanzierung: auf Distanz gehen gegenüber dem anderen und zu mir selbst, auf Distanz gegenüber Gott.
Angesichts der Fülle der Zuwendung
Wenn manchmal geklagt wird, die modernen Menschen hätten kein Sündenbewusstsein, dann darf gefragt werden: Wie bewusst und glaubend sind sie sich dessen, dass sie rundum und radikal von Gott Geliebte sind – von Gott wertgeschätzt? Es darf nachdenklich machen, dass große Heilige, die sich von Gott geliebt erleben, sich zugleich vor Gott als große Sünder/innen sehen.
Als Simon Petrus von Jesus aufgefordert wird, die Netze im See auszuwerfen, drückt er zunächst seine Überraschung aus „Den ganzen Tag haben wir nur vergebens gefischt.“ Aber mit Vertrauen riskiert er. „Wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen.“ Und das Ergebnis! Simon macht die Erfahrung, dass er mit Fülle beschenkt wird. Gleich zwei Boote werden bis zum Rund gefüllt. Das macht Simon betroffen. Er fällt Jesus nicht um den Hals, weil nun das Tagesgeschäft mehr als gut gelaufen wäre. Simon Petrus fällt Jesus beschämt zu Füßen und sagt: „Herr, geh weg von mir – das stimmt bei mir nicht überein; ich bin ein Sünder.“ (vgl. Luk 5, 1-8) Aufgrund der Erfahrung von der Fülle der Zuwendung, ich möchte sagen: Fülle des Lebens und der Gnade, wird Simon bewusst, wie es um ihn in seiner Beziehung zu Jesus steht. Wo viel Liebe erlebt und gelebt wird, schmerzt und beschämt es, wenn die Liebe zurückgewiesen wird.
Wie können wir eine Sünde wieder gutmachen?
- Der erste Schritt ist, ehrlich zu meinem Versagen stehen. Mein Verhalten und Gewissen erforschen; die Verletzung, die Kränkung der Beziehung und den erkennbaren Schaden wahrhaben und anerkennen.
- Die Verantwortung für mein Fehlverhalten übernehmen und die Sünde und Verfehlung eingestehen.
- Ehrlich um Verzeihung bitten. Hier helfen Rituale des Verzeihens, etwa die Hand reichen. Oder das Bekenntnis vor Gott und dem Priester, stellvertretend für Gott und für die Gemeinschaft.
- Soweit wie möglich den Schaden wieder in Ordnung bringen.
- Sich die Vergebung zusagen lassen und annehmen und im Frieden miteinander weiter gehen. Das bedeutet auch, was vorgefallen ist, nicht länger nachtragen. Vergangenes und Vergebenes ist Vergangenheit. Was „gespeichert“ und immer wieder neu aufgewärmt wird, ist nicht wirklich vergeben.
Um Verzeihung bitten
Vergebung und Versöhnung bewirken Heilung und neuerliche Stärkung der Beziehung, die durch die Sünde verletzt oder gar zerbrochen wurde.
Wenn ich jemanden verletzt, ungerecht behandelt und gegen die Liebe gesündigt habe, kann ich um Verzeihung oder Entschuldigung bitten – und vertrauend hoffen, dass meine Entschuldigung angenommen wird. Ich bitte, dass nicht länger zwischen uns stehen möge, was durch mich geschehen ist und wodurch ich verletzt habe.
Vielen fällt es sehr schwer, um Entschuldigung und Verzeihung zu bitten. Wir leben viel mehr in der Mentalität, dass wir uns selbst entschuldigen. Selbstentschuldigung und Selbstrechtfertigung sind üblich. Das mag der persönlichen Beruhigung des beschämten Gewissens dienen. Aber so wird die gestörte Beziehung und Liebe nicht geheilt.
Auch die Anschuldigung anderer und die Praktiken mit dem „Phänomen des Sündenbockes“ führen zu keiner wirklichen Versöhnung.
Siehe den Exkurs über "Wilde oder geordnete Deponie?" Überlegungen zur Gewissensbildung und Schuldbewältigung.
Wann beichten gehen?
Wann soll ich zum Bußsakrament gehen, das Sakrament der Versöhnung erbitten?
- Wenn ich mir einer schweren Schuld, eines groben Vergehens oder der religiösen Entfremdung schuldig weiß, soll ich „umkehren“ und im Bußsakrament um die Vergebung bitten.
- Irgendwie bleiben wir immer hinter dem zurück, was unsere Berufung und Lebensmöglichkeiten bedeuten. Da ist es berechtigt und sinnvoll, sich immer wieder der Barmherzigkeit Gottes anzuvertrauen und um Vergebung zu bitten. Das geschieht im Bußsakrament.
- Wer geistlich wachsen will, d.h. im Vertrauen und in der Liebe wachsen, wird sich von Zeit zu Zeit seinem Versagen und seinen Fehlern stellen, sie bekennen und vertrauensvoll sich die Vergebung und Barmherzigkeit zusagen lassen. Damit wächst die Sensibilität im Unterscheiden und in der Bereitschaft, das Gute zu tun und im Geist Jesu zu leben („Nachfolge Jesu“)
- In der Vorbereitung auf besondere Lebenswenden „mit Gott und mit sich ins Reine kommen“: Firmung, Hochzeit, Weihe, Ordenseintritt, Ordensgelübde, vor besonderen Lebensabschnitten usw.; auch zur Abrundung einer Lebensphase.
- Zur Vorbereitung auf die Hochfeste im Kirchenjahr: Fastenzeit und Ostern, Advent und Weihnachten – oder aus Anlass von Exerzitien und einer inneren Einkehr (Oasentage, Wallfahrt etc.)
Die Palette für „Buße – Umkehr“ und Vergebung
ist sehr breit; immer geht es um die ehrliche Einsicht des eigenen Versagens, des Schuldigseins und die Bereitschaft sich um das Gute zu bemühen und die Vergebung zu erbitten:
- dazu gehören die konkrete Bitte um Verzeihung und die Tat zur Wiedergutmachung im konkreten Anlass;
- die Bitte im Vaterunser „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
- jedes persönliche Gebet um Gottes Barmherzigkeit und Verzeihung;
- Bußritus („Confiteor“ – Ich bekenne…“) am Beginn der hl. Messe, mit der Bitte um Vergebung
- und die gesamte Wortgottes- und Eucharistiefeier ist ein Prozess und Angebot zur Versöhnung, intensiv ausgedrückt in der hl. Kommunion als verbindliche Gemeinschaft;
- Wortgottes- und Bußgottesdienste, die zur Besinnung und Umkehr einladen und in denen um Vergebung gebetet wird.
- Das Sakrament der Versöhnung, die Feier des Bußsakramentes, in der durch den Priester - im Namen des barmherzigen Gottes und der kirchlichen Gemeinschaft der Nachlass und die Vergebung der Sünden zugesagt wird.