Herkunft und Ausbildung

Auf den Spuren des Apostels Paulus II

Zwischen Tarsus und Jerusalem 

In der Apostelgeschichte stellt sich Paulus selbst vor: »Ich bin ein Jude aus Tarsus in Zilizien, Bürger einer nicht unbedeutenden Stadt« (Apg 21,39). Seine Heimatstadt ist also Tarsus im Süden der heutigen Türkei. Sie dürfte etwa einhunderttausend Einwohner gezählt haben und gehörte somit zu den bedeutenden Städten der Antike. Dies wurde nicht zuletzt durch die günstige Lage ermöglicht. Tarsus lag zwar im Landesinneren, war aber durch den schiffbaren Fluss Kydnos mit dem Meer verbunden. Zudem führte die Straße von der Metropole Antiochia zu den bedeutenden Städten an der Ägäisküste (Ephesus, Milet, ...) durch Tarsus. 

Textilverarbeitung und Philosophie: Die Geschichte der Stadt lässt mit großen Namen aufwarten. Einer ihrer Statthalter war zum Beispiel der für seine Redekunst bekannte Cicero. Im Bürgerkrieg stellte sich Tarsus auf die Seite Oktavians (Augustus). Er zeigte sich dafür später mit umfassenden Privilegien erkenntlich. Tarsus war jedoch auch ein Ort der Bildung und der (stoischen) Philosophie. Im Umland von Tarsus wurde Flachs angebaut, was den Ort zu einem Zentrum der Leinweberei werden ließ. Zudem wurden hier Ziegenhaar und Leder verarbeitet. So erlernte auch Paulus das Handwerk eines Zeltmachers. Paulus wuchs also in einer griechisch geprägten Großstadt auf. Das erklärt sein gutes Griechisch und die Fähigkeit, als Missionar mit Andersdenkenden in Kontakt zu treten. Von seinem Vater hat er zudem das römische Bürgerrecht geerbt, was ihm ermöglichte, dass einst sein Verfahren am kaiserlichen Gerichtshof in Rom verhandelt werden sollte (Apg 25,11-12).

Die jüdische Herkunft des Apostels: Darüber hinaus ist der Kontakt der Familie des Paulus zu Jerusalem und dem jüdischen Mutterland nie wirklich abgebrochen. Die Schwester des Apostels war zum Beispiel in Jerusalem verheiratet (Apg 23,16). Im Brief an die Philipper rühmt sich Paulus seiner lupenreinen jüdischen Herkunft, die offenbar nicht einmal seine Gegner vorweisen konnten: »Ich wurde am achten Tag beschnitten, bin aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, lebte als Pharisäer nach dem Gesetz« (Phil 3,5). Die Vorfahren des Paulus waren also keine Proselyten (Bekehrte). Sie sind immer schon Juden gewesen. Weil sie zum Stamm Benjamin gehörten, wurde Paulus nach dem ersten König von Israel – Saul – benannt. Als Hebräer hielten sie den Kontakt zum Mutterland. Das führte dazu, dass sich Paulus später der Gruppe der Pharisäer anschloss, die sich durch die strenge Befolgung des mosaischen Gesetzes hervortat. Wo aber hat er das gelernt?
Auch zu dieser Frage nimmt Paulus in der Apostelgeschichte Stellung: »Ich bin ... hier in dieser Stadt (in Jerusalem) erzogen, zu Füßen Gamaliels genau nach dem Gesetz der Väter ausgebildet, ein Eiferer für Gott« (Apg 22,3). Ist die Familie des Paulus also schon relativ bald von Tarsus nach Jerusalem gezogen oder hat man den talentierten Sohn, nachdem er das Handwerk des Vaters erlernt hat, zur weiteren Ausbildung in die Heilige Stadt geschickt? Wir wissen es nicht.
Gamaliel I., den die Apostelgeschichte ins Treffen führt, wirkte etwa zwischen 25 und 50. Er war bekannt für seine Sittenstrenge und den Gehorsam gegenüber dem Gesetz und gilt im Judentum bis heute als Autorität.

Paulus, der Theologe
Paulus, der Theologe, hat also seine Wurzeln in Jerusalem. Mag er das Handwerk des Zeltmachers auch in Tarsus gelernt haben, das Handwerk des Theologen, sprich: Gesetzeslehrers, erlernte er in Jerusalem. Seine Briefe geben ein beeindruckendes Zeugnis, wie er die Kunst jüdischer Exegese beherrschte und in seine Brief einfließen ließ. Er greift jüdische Midraschim – Schriftauslegungen – auf (1 Kor 10,4), verbindet alttestamentliche Bibelzitate wie einzelne Perlen zu einer Kette (Röm 15,9-12) und verknüpft Stellen aus der Tora häufig mit einem Zitat aus den Propheten und Schriften (Röm 4,1-12). Alles in allem also ein beredtes Zeugnis über die Wurzeln der christlichen Theologie ...