„Sonst ist der Weg zu weit für dich“
Brot als Stärkung für Reisende
„Ich will einen Bissen Brot holen, dann könnt ihr euer Herz stärken, danach mögt ihr weiterziehen ...“ (Gen 18,5). So lädt Abraham drei Reisende ein. Abraham und Sara empfangen großzügig, wie sich herausstellt, göttliche Gäste, die viel mehr zu geben haben, als das alternde Paar glauben kann: ihr sehnlich erhofftes Kind. Meist jedoch sind es Menschen, die Stärkung von Gott brauchen. So Jakob, der nach Haran in Syrien flieht und sich wünscht, dass „Gott mit mir ist und mich auf diesem Weg, den ich gehe, behütet, mir Brot zum Essen und Kleider zum Anziehen gibt“ (Gen 28,20; wörtliche Übersetzung aus dem Hebräischen). Migrantinnen und Migranten leben in der prekären Sorge um das Lebensnotwendige.
Überlebenswichtige Nahrung
Deshalb ist es Gott selbst, der die Fremden liebt, er „gibt ihnen Brot und Kleidung“ (Dtn 10,18; wörtliche Übersetzung aus dem Hebräischen). Hungersnöte bewegen Menschen zur Migration, wie Josefs Brüder, die nach Ägypten kommen. Dorthin hatte der göttliche Plan Josef gebracht, damit er es durch vorausschauende Landwirtschaftspolitik schafft, „viel Volk am Leben zu erhalten“ (Gen 50,20). Auch das Buch Rut gewinnt seine Dynamik aus der Suche nach Brot. Aufgrund von Hungersnot war Ruts Schwiegermutter Naomi nach Moab geflohen. Sie kehrt zurück in ihre Heimat Betlehem – Hebräisch „Haus des Brotes“ –, da sie hört, „der HERR habe sich seines Volkes angenommen und ihm Brot gegeben“ (Rut 1,6). Rut, die Naomi aus Liebe begleitet, sammelt bei der Ernte die übrig gebliebenen Kornhalme auf. Dabei findet sie nicht nur überlebenswichtige Nahrung, sondern auch ihren künftigen Mann, mit dem sie, die Ausländerin aus Moab, zur Urgroßmutter des Königs David wird.
Mut zum Weitergehen
Auf der Flucht vor der wutentbrannten Isebel wünscht sich Elija in der Wüste zu sterben. Doch als er unter dem Ginsterstrauch erwacht, berührt ihn ein Engel und sagt: „Steh auf und iss! Als er um sich blickte, sah er neben seinem Kopf Brot, das in glühender Asche gebacken war, und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder hin. Doch der Engel des HERRN kam zum zweitenMal, rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich“ (1 Kön 19,5-7). Der Geruch des frisch gebackenen Brotes erinnert an geborgene Momente der Kindheit im heimatlichen Haus, an die Sorge der Eltern. In den schwersten Momenten genügt das Essen allein nicht. Es braucht den Mut zum Weitergehen, den das himmlische Wesen mit sanfter Berührung und starken Worten vermittelt.
Pessach als Ursprungsfest
Brot als Stärkung für den Weg – ein anthropologisches Grundmotiv – gewinnt für das Volk Israel zentralen Symbolcharakter im Exodus. Nach neun deutlichen Warnungen plant Gott den letzten Schlag gegen Pharao – das Urbild despotischer Machtausübung. Bevor jedoch alle Erstgeborenen in Ägypten sterben müssen, damit Israel aus der Unterdrückung entfliehen kann, vermittelt Gott dem Mose detaillierte Anweisungen, wie sich das Volk auf diese seine Geburtsstunde als freie Nation vorbereiten soll: durch das Essen des Lammes und der ungesäuerten Brote, Hebräisch „Mazzot“ (Ex 12,1–20). Beides gehört von nun an zum alljährlichen Pessach, dem Ursprungsfest des Judentums bis heute. Als „Brot der Bedrängnis“ erinnern die Mazzen an die Unterdrückung in Ägypten, doch sie sollen sieben Tage lang gegessen werden, „damit du dein ganzes Leben lang des Tages gedenkst, an dem du aus Ägypten gezogen bist“ (Dtn 16,3).
Spiritueller Sinn des Manna
Das Symbol ist ambivalent. Das ungesäuerte Brot erinnert an die schale Leblosigkeit des totalitären Systems, an das kollektive Trauma brutaler Versklavung, es trägt aber auch den Geschmack der Befreiung in sich. Der Auszug unter militärischer Verfolgung bleibt nicht die einzige Herausforderung. Hunger und Durst in der Wüste werden zur Grunderfahrung der göttlichen Fürsorge. Gott sendet Manna und Wachteln (Ex 16). Den tieferen spirituellen Sinn des Manna erklärt Mose selbst im Buch Deuteronomium. Gott „wollte dich erkennen lassen, dass der Mensch nicht nur von Brot lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was der Mund des HERRN spricht“ (Dtn 8,3).
Ambivalentes Symbol
Das Pessach des Exodus und das Manna der Wüste sind die Urbilder, aus denen das letzte Abendmahl Jesu seine Bedeutung gewinnt. Wie Israel als Volk von Migrantinnen und Migranten geboren wird, ist auch Jesus mit den Jüngern unterwegs. Als Pilger kommen sie zum Pessachfest nach Jerusalem. In dieser Feier der Befreiung situieren die synoptischen Evangelien das letzte Abendmahl (Mk 14,16; Mt 26,19; Lk 22,13). Wie Israel sich des Exodus erinnern soll, sagt Jesus beim Brechen des Brotes: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ (1 Kor 11,24; Lk 22,19). Im gebrochenen Brot erinnern sich die Feiernden an Jesu Leiden, doch zugleich verbindet es mit ihm über den Tod hinaus. Wie die Mazzen ist auch die Hostie ein ambivalentes Symbol, das traumatisches Leiden vergegenwärtigt, zugleich aber auch dessen Überwindung.
Brotvermehrung und Emmausgang
Das Johannesevangelium, das die Szene des letzten Abendmahls gleichsam überspringt, um die Fußwaschung zu erzählen (Joh 13), entfaltet die Bedeutung des „Brotes vom Himmel“ bei der Brotvermehrung (Joh 6,31; vgl. Ex 16,4). Hier ist eine Menschenmenge unterwegs, um von Jesus zu lernen – so wie Israel am Sinai Lehren von der göttlichen Stimme empfängt (Ex 20). Geistige, seelische und körperliche Stärkung gehören zusammen. Dies zeigt auch die Emmauserzählung eindrücklich (Lk 24). Die traurigen Jünger erkennen ihren fremden Gast beim Brechen des Brotes, und erst im Nachhinein bemerken sie: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schriften eröffnete?“ (Lk 24,32). Gerade noch hatten sie ihren Gast ängstlich gebeten, „bleibe bei uns, denn es wird Abend“ (Lk 24,29) – jetzt brechen sie sofort auf, um noch in der Nacht nach Jerusalem zurückzukehren.
Therapeutische Nahrung
Das Pessach und die Eucharistie sind Riten der Resilienz. Die Mazzen und die Hostie erinnern an traumatisches Leid und dessen Überwindung. Freude bricht aus im Loblied am Schilfmeer (vgl. Ex 15) und beim Wiedersehen mit dem Auferstandenen (vgl. Lk 24,31). Das von Gott geschenkte Brot stärkt nicht nur den Leib. Es ist auch therapeutische Nahrung für das Herz und inspirierendes Wort für den Geist. Wo wir solche Stärkung erleben, ist der Himmel nicht fern. |
Autor: P. Prof. Dr. Dominik Markl SJ, Erstveröffentlichung in: »Unser tägliches Brot«, Jahrbuch der Diözese Gurk 2023, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).