Jesus von Nazareth

Prototyp eines guten Menschen?

Bildunterschrift (Bildrechte sind zwingend anzugeben!)
Die Frage nach Heil ist der Dreh- und Angelpunkt der Christologie. („ER reißt die Welt empor“, Werner Hofmeister, 2018) Foto: KHKronawetter)

Ist Jesus Christus heute noch ein Thema, das Menschen bewegt? Allenfalls skandalös-reißerische Inszenierungen der Jesusgeschichte à la „Da Vinci Code“ vermögen heute noch, Interesse zu erwecken. Dabei ist es kaum die Gestalt dieses Jesus von Nazaret, die hier Aufsehen erregt, sondern eher die gelungene Mixtur von „sex and crime“, Skandalstory, Krimi, historischem Halbwissen samt Detektivgeschichte und atemberaubenden Verschwörungstheorien. Das ist das, was zieht. Dabei subsummiert man diesen Jesus entweder nahtlos unter all die anderen Gurus samt ihren flachen Erlösungsbotschaften aus Liebes- und Weisheitssprüchen oder bleibt in der Faszination des irrationalen Mystisch-Metaphysischen, des Heilers und Schamanen, stecken.

Modernes Jesusbild

Denn man mag „das neue Jesus-Bild nicht deshalb, weil es mit dem bruchlosen Wirken der Naturgesetze vereinbar ist, sondern deshalb, weil es einer wuchernden Phantasie Raum gibt. Nicht rationale Kühle wird hier gesucht, sondern im Gegenteil eine orientalisch parfümierte Atmosphäre.“ (Sibylle Tönnies, Deutschlandfunk Kultur, „Das moderne Jesus-Bild und das Sacrificium Intellectus“, 11. 11. 2006). Das Original kann damit kaum mithalten.

Traditionsbruch

Denn im Vergleich dazu wirken christliche Glaubenstradition und biblische Überlieferung geradezu steril-nüchtern. Vielleicht sind sie gerade darum auf dem Markt der Möglichkeiten heute so wenig attraktiv. Wenn wir aber schon im Zentrum unseres Glaubens von Dingen reden, die keinen Menschen mehr zu interessieren scheinen, dann ist die Frage nach der Relevanz dessen, was wir überhaupt noch zu sagen haben, recht schnell an ein Ende gekommen. Kein anderer als Karl Rahner hatte schon 1954 – und da konnte von einem offensichtlichen Traditionsabbruch in heutigen Dimensionen noch überhaupt nicht die Rede sein – darauf hingewiesen, dass die Christologie in der Moderne nur dann noch eine Chance hat, ernst- und damit wahrgenommen zu werden, wenn sie sich mit der Anthropologie, d. h. mit der Frage des Menschen nach sich selbst, verbindet.

Frage nach dem Menschen

Die theologische Rede von diesem Jesus von Nazaret als dem Christus erzeugt nur dort noch Resonanz, wo sie sich mit der Frage nach dem Menschen verbindet, ja, wo die Frage des Menschen nach sich selbst mit Jesus, seiner Botschaft und seiner Person in Verbindung gebracht werden kann, wo unsere Lebenswelt und Welterfahrung mit ihm etwas zu tun haben und so ihre Bedeutungshaftigkeit erschlossen werden kann. Das bedeutet aber: Christologie ist nur dann adäquat zu betreiben, wenn man nach Orten sucht, wo sich Menschen auch im dritten Jahrtausend noch auf Jesus beziehen können, wo sie ihr Leben nach ihm ausrichten und von dort her Sinn erfahren können.

Wirklichkeit und Wirksamkeit Jesu

Diese Perspektive der Sinnfrage oder sogar besser noch Sinnsuche als Schlüsselfrage der Christologie ist, bei näherem Hinsehen, gar keine „ach so moderne“ Fragestellung, sodass die „hohe Theologie“ darüber die Nase rümpfen oder gar den Ausverkauf ihrer „heiligen Sache“ vermuten könnte. Im Gegenteil: Die Frage nach Heil ist der Drehund Angelpunkt der Christologie von Anfang an. Keine Frage nach Jesus als dem Christus – Wer ist denn dieser? – ohne die Leitfrage: Und was bedeutet das für mich/ für uns? Die Wirklichkeit Jesu als dem Christus ergibt sich aus seiner Wirksamkeit.

Anthropologische Grundierung

Christologische Aussagen kreisen daher nie um sich selbst, sondern greifen immer über sich hinaus. Denn Jesu Handeln, Leben, Sterben sind immer auch Handeln an ..., Leben für ..., Sterben für ... andere(n). Verschiedene Zeiten kennen verschiedene Bezeichnungen, ja „Verkleidungen“ für diese anthropologische Grunddynamik. Die Bibel bezeichnet Jesus als den „Heiland“ und „Retter“. Andere Epochen sprechen von Erlösung und Sündenvergebung, von Begnadung und Rechtfertigung. Christologie hatte schon immer diese anthropologische Grundierung.

Menschwerdung Gottes

„Gott ist Mensch geworden“ lautet bekanntlich der Kernsatz aller Christologie. Eine solche sich an der Menschwerdung festmachende Theologie beruht auf der Wahrheit, dass sich das Göttliche im Menschlichen zeigt, dass dieses Leben hier und jetzt eine göttliche Würde hat. Ohne diese Grundintuition des Christentums – Gott in der Welt – fehlt dem Menschsein, seiner Würde etc. etwas Zentrales. Darauf hatte schon Hans Blumenberg in seiner „Legitimität der Neuzeit“ aufmerksam gemacht, wenn er schreibt: Gerade der „Inkarnationsgedanke“ ist „eine unendliche Bestärkung der menschlichen Selbstachtung“ (S. 585). Die religionskritische Moderne wird sich daher auch mit der Frage konfrontieren müssen, ob sie durch die für alle Aufklärung notwendige Emanzipation des Denkens vom Glauben nicht auch eine tragfähige Basis der Würde des Menschen aufgegeben hat.

Unüberbietbare Würdigung des Menschen

Es ist kaum zu leugnen, dass die säkulare Vernunft seither damit beschäftigt ist, die im Inkarnationsbekenntnis liegende unüberbietbare Würdigung des Menschen auf andere Weise wieder einzuholen, ohne mit diesen Versuchen je an ein Ziel zu gelangen. Jesus Christus – Prototyp, Vorbild, Ideal? Ja, denn für ihn gilt: „Vielleicht ist ein Gott, der selbst Mensch wird, das Größte, das dem Menschen widerfahren kann: ein Gott, der in die Größe, aber eben auch in die Niederungen seiner Schöpfung eingeht, indem er nun selbst Mensch wird – ja, der deshalb Mensch wird, weil er nur so seine von Anfang an ihn bestimmende Menschenfreundlichkeit offenbar werden lassen wollte.“ (Magnus Striet, Krippengeflüster. Weihnachten zwischen Skepsis und Sehnsucht, Mainz 2007, S. 15) Und das hat Konsequenzen für unser aller Menschsein, wie Alfred Delp, der von den Nazis ermordete Jesuit, aus der Haft heraus schrieb: „Wir sind dem Leben mehr gewachsen, lebenstüchtiger und lebenskundiger (...). Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht mehr allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.“ (Alfred Delp, Allen Dingen gewachsen sein, Jahres-Lesebuch, hg. v. F. B. Schulte, Frankfurt 2005, S. 391f)

Autorin: Prof. Dr. Johanna Rahner ist Professorin für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. Erstveröffentlichung in: »Der Kraft des Guten«, Jahrbuch der Diözese Gurk 2022, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).