„Du hast uns erschaffen, damit wir dich preisen“
Zur Theologie des Segens
Das Tagesgebet vom vierten Sonntag im Jahreskreis lautet: „Herr, unser Gott, du hast uns erschaffen, damit wir dich preisen. Gib, dass wir dich mit ungeteiltem Herzen anbeten und die Menschen lieben, wie du sie liebst. Darum bitten wir durch Jesus Christus.“ Damit werden zwei Dimensionen angesprochen, die für eine (jüdisch-)christliche Theologie des Segens zentral sind: das Wirken Gottes und das Handeln des Menschen. Beides steht in einer Wechselbeziehung; göttliche und irdische Welt treten auf diese Weise miteinander in Verbindung und folgen ihrer Bestimmung. Augustinus vergleicht diesen Vorgang mit Regen und Wachstum in der Natur.
Bibeltheologische Fundierungen
Beides, das göttliche Wirken und das menschliche Tun, wird alttestamentlich mit hebräischen Begriffen zu der Wortwurzel brk ausgedrückt und in der Septuaginta mit eulogia bzw. eulogein wiedergegeben (wörtlich: Zuspruch von Gutem bzw. gut sprechen). Wenn damit das Wirken Gottes gemeint ist, bedeutet es segnen; das deutsche Verb lobpreisen bezeichnet das Handeln des Menschen. Gott ist die Quelle des Segens und spendet vielfach seinen Segen. Schon die ersten drei biblischen Vorkommen des Verbs segnen sind aufschlussreich. Bei der Erschaffung der Welt hat Gott die Wassertiere und die Vögel (vgl. Gen 1,22), den Menschen als Mann und Frau (vgl. Gen 1,28) und den siebten Tag als Ruhetag (vgl. Gen 2,3) gesegnet. Der Mainzer Alttestamentler Thomas Hieke leitet davon ab, dass mit diesem Segen der Tiere, der Menschen und der Zeit in ihrem Rhythmus ursprünglich eine einseitige Fixierung des göttlichen Segens auf den Menschen nicht sachgemäß ist, sondern nur im Kontext der gesamten Schöpfung gesehen werden kann. Im Neuen Testament kommen zur hebräischen Wortwurzel bzw. zur griechischen Übersetzung noch analoge Begriffe wie etwa hagiázein (heiligen), cháris (Gnade), eiréne (Friede) oder makárioi (selig sind ...) – ein Zuspruch der Seligkeit als Anteil am Segen Gottes. Wie im Alten Testament bedeutet dieser Segen auch im Neuen Testament den Eintritt in die göttliche Heilssphäre sowie die Vermittlung von göttlicher Zuwendung und Leben in Fülle. Im Unterschied zu den Schriften des Alten Bundes wird hier vor allem die organische Verbindung des göttlichen Segens mit dem Christusereignis hergestellt und der Segenszuspruch besonders als Gabe des Heiligen Geistes gedeutet. Über den vorausgehenden Segen Gottes und den antwortenden Lobpreis des Menschen hinaus bzw. auf diesen aufbauend oder diese weiterführend kennt die Heilige Schrift insgesamt viele Beispiele für Segnungen von Menschen für andere Menschen – angefangen von den Erzelternerzählungen über die Propheten bis hin zu den neutestamentlichen Briefen. Auch hier ist es Gott, der den Segen schenkt, und der Mensch, der antwortet – also ein wechselseitiges Kommunikationsgeschehen zwischen Gott und Mensch.
Segenstheologische Reflexionen
Auf dieser bibeltheologischen Basis hat der Tübinger Liturgiewissenschaftler Stephan Winter zuletzt „Gottesanrufung, preisendes Lobbekenntnis und Bitte als Basisoperationen aller Segenspraxis“ bezeichnet und in Analogie zu den jüdischen Segenssprüchen die Bedeutung einer sachgerechten christlichen Segenstheologie hervorgehoben. Auch im christlichen rituell-gottesdienstlichen Begegnungs- und Kommunikationsraum dürfe der Segensakt im engeren Sinne nicht isoliert werden, sondern müsse eingebettet sein in Anrufung und Verherrlichung Gottes um seiner selbst willen. Diesem Verständnis liegt die Vorstellung bzw. Grundhaltung eines betenden Menschen zugrunde, die von Lobpreis und Dankbar keit geprägt ist. Aus dieser Gesinnung heraus ist es angemessen, für bestimmte konkrete Personen (kollektiv und individuell), Dinge (Sachbenediktionen) und Anliegen (v. a. ganzheitliche Unversehrtheit, Frieden und Heil) den göttlichen Segen zu erbitten. Zu einem umfassenden Verständnis solcher Segenshandlungen gehören nicht nur gesprochene Worte, sondern auch Berührungen, Gesten, Symbole und Ähnliches. In diesem Sinne kann in der etymologischen Wurzel des deutschen Verbs segnen etwas Wesentliches erkannt werden. Abgeleitet vom lateinischen signare bedeutet es u. a. bezeichnen. Spätestens seit dem Mittelalter wurde darunter eine Art „Schutzbezeichnung“ verstanden, wobei in der christlichen Tradition vor allem das Kreuz als Gegenstand und Segensgestus besondere Bedeutung erlangte. Nicht magisch verstanden, sondern eingebettet in eine heilvolle raumzeitliche Gottesbeziehung sind Segenshandlungen „eschatologische Heilszeichen“ und wie ein „Spiegel für Gottes unendliche und unfassbare Nähe und Güte“, wie Stephan Winter präzise formuliert. Sakramententheologisch rückgebunden kann ein solches Segensverständnis vor allem an Taufe und Eucharistie werden, die der Innsbrucker Liturgiewissenschaftler Reinhard Meßner in diesem Zusammenhang als gottesdienstliche „Urbilder“ der Personalbenediktion einerseits und der Sachbenediktion andererseits bezeichnet hat.
Heutige Perspektiven
Diese theologischen Grundlinien haben nicht nur das Potenzial, klassische Segenshandlungen der Kirche nach heutigem Verständnis sachgerecht zu deuten, sondern sie ermöglichen in der Praxis auch vielfältige Anschlussmöglichkeiten für (niederschwellige) kirchliche Riten für Menschen mit sehr unterschiedlichen Glaubensbiografien und Bindungen an die Glaubensgemeinschaft. Dies zeigen zahlreiche neuere Praxismodelle von Segensfeiern in bestimmten Lebenskontexten oder an bestimmten Tagen im Kirchenjahr (z. B. am Valentinstag). Überdies bietet eine solche Segenstheologie eine hohe ökumenische Übereinstimmung mit anderen christlichen Konfessionen.
Autor: Univ.-Prof. Dr. Stefan Kopp, Priester und Vorsitzender der Liturgiekommission der Diözese Gurk, ist Professor für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät Paderborn.
Erstveröffentlichung in: »Der Kraft des Guten«, Jahrbuch der Diözese Gurk 2022, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).