Das Beste für die anderen wollen
Mit Gottes Hilfe Gutes tun
Die Zeit der Pandemie hat uns als Einzelne, aber auch als Gesellschaft vor teils ungeahnte Herausforderungen gestellt. So wurden in dieser Zeit bei der Bewertung der Gefahr dieses Virus und der Maßnahmen des Umgangs damit Bruchlinien sichtbar, die quer durch Familien und Freundeskreise gingen. Es hat aber auch die Solidarität untereinander zugenommen, und es ist die Kraft zum Guten gewachsen. Diese zeigt sich besonders in der Aufmerksamkeit und Sorge füreinander und in der Anerkennung für all die Menschen, die oft im Verborgenen und unbedankt dazu beitragen, dass wir mit Nahrung versorgt, Kranke gepflegt und alte Menschen betreut werden.
Gutes tun
Bei allen Unterschieden gibt es zwischen den Religionen eine Gemeinsamkeit, die wohl so etwas wie eine menschliche Urüberzeugung darstellt. Bekannt geworden ist sie als Goldene Regel, die der Volksmund wie folgt ausdrückt: „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu.“ In seinem Buch „Barmherzigkeit“ weist Walter Kasper darauf hin, dass diese Überzeugung nicht in allen Religionen und unter allen Umständen gleich aufgefasst wird. Vielmehr ist es entscheidend, den Zusammenhang zu beachten, in dem sie uns begegnet. Wenn nun Jesus in der Bergpredigt die Goldene Regel aufgreift, so steht sie bei ihm unter dem Vorzeichen des Liebesgebotes, ja der Feindesliebe. Damit vollzieht er eine nähere Bestimmung: Das Gute zu tun erschöpft sich nicht in einem Tauschhandel mit gleicher Münze. Durch das Liebesgebot überschreitet Jesus einen allgemeinmenschlichen Humanismus, indem er Mitgefühl und Barmherzigkeit einbezieht. So verdienen auch diejenigen, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht bereit oder in der Lage sind, mir Gutes zu tun, dass ich in ihnen das Gute sehe und ihnen Gutes tue.
Das moralisch Gute fördern
In seiner Sozialenzyklika „Fratelli tutti“ hebt Papst Franziskus den inneren Zusammenhang zwischen der individuellen Fähigkeit, das Gute zu tun, und der Suche nach dem Wohl der ganzen Menschheit hervor. Dabei verweist der Papst auf eine der Früchte des Heiligen Geistes, die der Apostel Paulus im Galaterbrief aufzählt, nämlich die „agathosyne“, das Streben nach dem Guten (vgl. Gal 5,22). Das Gute erfährt, wer das Beste für die anderen will, und zwar nicht nur im Sinne eines materiellen Wohlergehens, sondern einer persönlichen Reifung und eines moralischen Wachstums. Die Ausbreitung des Guten kann jedoch auch gefährdet werden, wenn es zum Beispiel durch Straffreiheit bei einem assistierten Suizid oder einen restriktiven Umgang mit Geflüchteten zu einer Erosion der gesellschaftlichen Wertebasis kommt. So weist Papst Franziskus nachdrücklich darauf hin, dass jede Gesellschaft für die Weitergabe von Werten sorgen muss, um nicht ein Leben zu fördern, „das jeder Transzendenz verschlossen ist und sich in individuellen Interessen verschanzt“ (Fratelli tutti, Art. 113).
Das Gute im Gewissen
Der „Sitz“ des Guten im Menschen ist das Gewissen. Im Inneren des Gewissens wiederum entdeckt der Mensch, so die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils „Gaudium et spes“, ein Gesetz, das er nicht selbst festlegt, sondern „dem er gehorchen muss und dessen Stimme ihn immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zum Unterlassen des Bösen anruft“ (GS 16). Dieses Gesetz hat, so die Pastoralkonstitution weiter, Gott in die Herzen der Menschen eingeschrieben. Ihm zu folgen und zu gehorchen kennzeichnet die besondere Würde des Menschen. Die Treue zum Gewissen wiederum verbindet Christinnen und Christen mit Menschen, die die Wahrheit suchen und um die Lösung moralischer Probleme ringen. Die Hinwendung zum Guten ist dem Menschen aber nur möglich, wenn er frei ist, das heißt sich nicht in einer physischen, psychischen oder sozialen Abhängigkeit befindet. Weiters verweist die Pastoralkonstitution auf zwei zentrale Momente: Die Quelle des Gewissens, die den Menschen zum Tun des Guten führt, stammt von Gott. Ein Handeln aus einem gebildeten Gewissen geschieht aber auch aus humanen Gründen ohne einen direkten Bezug zu Gott oder die Anerkennung eines höchsten göttlichen Wesens. Dieses gesellschaftliche Streben erkennt die Kirche an und fördert die entsprechenden Entwicklungen zu Einheit, sozialer Gerechtigkeit und Menschlichkeit, indem sie deutlich macht, dass die Basis des Guten jene Liebe ist, die Christus im Heiligen Geist der Welt schenkt (vgl. GS 42).
Die Schattenseite des Guten
Vertreterinnen und Vertreter der Kirche aber bleiben immer wieder hinter diesem Auftrag zurück, verbreiten Überzeugungen und setzen Handlungen, die nicht zum Guten führen, sondern zu dessen Gegenteil. Darauf weist Papst Johannes Paul II. am 12. März 2000 im Rahmen eines Bußgottesdienstes im Petersdom in einer großensymbolischen Geste hin und gesteht in sieben Fürbitten die Sünden von Katholikinnen und Katholiken in der Geschichte ein und bittet um Vergebung. In den letzten zwei Jahrzehnten ist es in vielen Ländern zu immer neuen Berichten über Verfehlungen von Priestern und Ordensangehörigen durch körperliche und sexualisierte Gewalt an Kindern gekommen. Dies veranlasst Papst Franziskus, am 27. Oktober 2015 in einer Begegnung mit Opfern sexuellen Missbrauchs in Philadelphia einzugestehen, dass es für ihn beklemmend sei zu wissen, dass Kleriker Kinder missbraucht haben und selbst Bischöfe unter den Tätern sind bzw. der Verantwortung, Minderjährige zu schützen, nicht nachgekommen sind. Vor diesem Hintergrund verpflichtet er sich, „den Weg der Wahrheit zu verfolgen, wohin auch immer er uns führen mag“.
Umkehr zum Guten
Grundlage dieser Selbstverpflichtung der Kirche ist eine Grundüberzeugung protestantischer Theologie, die durch das Zweite Vatikanische Konzil Eingang in die katholische Kirche fand: „ecclesia semper reformanda est“, die Kirche bedarf ständiger Erneuerung. Darauf kommt Papst Franziskus am 9. September 2017 in seiner Predigt am Flughafen von Medellín zu sprechen, wenn er den Menschen zuruft, dass der Auftrag zur Erneuerung tief im Glauben verankert ist und es Opfer und Mut braucht, dem Ruf des Herrn entsprechen zu können. Einer, der dem Ruf des Herrn folgt und sich auf den Weg der Umkehr führen lässt, ist der Zöllner Zachäus. Im Lukasevangelium lesen wir, dass er auf einen Maulbeerfeigenbaum steigt, um Jesus sehen zu können, ihn in sein Haus einlädt und diese besondere Begegnung zum Anlass nimmt, die Hälfte seines Vermögens den Armen zu geben. Für Jesus ist die Haltung dieses Zöllners Folge und Ausdruck des Heils, das diesem Haus zuteilwird (vgl. Lk 19,10).
Heil und Segen
In der Bibel bedeutet Heil Heimkehr zu Gott. Dabei handelt es sich nicht nur um die Begegnung mit Gott am Ende des Lebens, sondern mitten im Leben. Es ist seine schützende, bergende und Leben schaffende Kraft, die den Menschen aufatmen lässt und bestärkt, sein Leben zu entfalten und sich für andere einzusetzen. Die Heilszusage Gottes konkretisiert sich unter anderem in der Haltung und in Gesten des Segnens. Im Lateinischen wird segnen mit „benedicere“ wiedergegeben, was so viel bedeutet wie gut über jemanden oder zu jemandem reden. Die schönste Segensgeste ist, wenn eine Mutter ihr Kind mit einem einfachen Kreuz auf die Stirn segnet oder Freundinnen und Freunde oder Eheleute einander mit dem Kreuz bezeichnen. Das ist ein sehr intimes Geschehen, das keine Zeugen braucht. Viele Mütter und Väter besprengen ihre Kinder auch heute noch gerne mit Weihwasser, wenn sie das Haus verlassen. Schön wäre es, wenn Kinder diesen Segen der Eltern erwidern und ihnen damit Gottes Schutz im Straßenverkehr, Erfolg bei der Arbeit sowie Glück und Zufriedenheit bei den alltäglichen Verrichtungen wünschten. So kann das Segnen immer mehr zur Grundhaltung von Christinnen und Christen werden, die sich die Güte Gottes vergegenwärtigen und selbst nach dem Guten trachten. |
Autor: Diözesanbischof Dr. Josef Marketz, Erstveröffentlichung in: »Der Kraft des Guten«, Jahrbuch der Diözese Gurk 2022, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).