In Gegenwart des Dritten
Peter Handke über das Versprechen der Liebe
„Zwei Liebende: Warum sagt Gott ihnen nicht ausdrücklich, dass sie zusammengehören?“, fragt Peter Handke in seinem Journal „Gestern unterwegs“. Was wäre, wenn es einen Dritten gäbe, der den Zögernden und vor der großen Lebensentscheidung Zurückschreckenden sagen würde: Ihr gehört zusammen, seid füreinander geschaffen? Sein Ja zum Ja der Liebenden wäre so etwas wie die unsichtbare Hintergrundversicherung der sichtbaren Lebensgemeinschaft, eine Wirklichkeit, auf die das Paar jederzeit – in Glücksmomenten wie in Krisenzeiten – zurückkommen könnte. Viele Paare, die sich das Ja-Wort gegeben haben, vergessen im Laufe der Zeit, dass sie sich in Gegenwart dieses Dritten einander versprochen haben. Manche vergessen im Sog der Arbeit sich selbst und den anderen. Es sagt ihnen keiner, dass es heilsam sein könnte, sich neu in die Gegenwart des Dritten hineinzustellen.
Kultur des Provisorischen
Es braucht ja nicht nur eine Zeit der Einstimmung aufeinander, es braucht auch eine Kultur der Aufmerksamkeit füreinander, gerade dann, wenn sich Lieblosigkeiten in die Liebe eingeschlichen haben. Momente des Innehaltens, in denen beide auf die begütigende Gegenwart des Dritten zurückkommen. Viele Beziehungen geraten heute in Krisen und brechen auseinander. Das liegt nicht nur daran, dass die heilsame Gegenwart des Dritten aus dem Blick geraten ist. Im „ganz normalen Chaos der Liebe“ gibt es vielfältige Gründe, die Beziehungen scheitern lassen: die Beschleunigung der Lebensverhältnisse, die gesteigerte Mobilität, die Individualisierung, aber auch eine sich ausbreitende Kultur des Provisorischen. „Treue – diese Frage hat sich den meisten gar nicht gestellt“, notiert Handke einmal, der selbst früh von Gleichgültigkeit und Entfremdung zwischen Mann und Frau erzählt und dabei das innere Nachbeben sehr genau auslotet, das Trennungen verursachen.
Gefühl von Verlorenheit
Die Erzählung „Der kurze Brief zum langen Abschied“ (1972) setzt damit ein, dass sich eine Frau mit nur wenigen Zeilen aus dem Leben ihres Mannes verabschiedet: „Ich bin in New York. Bitte such mich nicht, es wäre nicht schön, mich zu finden.“ Der Mann reist ihr dennoch nach, findet sie aber nicht sofort, wechselt von Stadt zu Stadt, von Hotel zu Hotel. In der Not des Alleinseins lässt er sich mit einer anderen, die er flüchtig von früher kennt, ein. Währenddessen spürt er immer wieder Leere und Langeweile, macht aber auch überraschende Erfahrungen einer „anderen Zeit“, die seinem Gefühl von Verlorenheit entgegenstehen. In der Wüstenstadt Tucson, wo er hofft, die Gesuchte wiederzufinden, schlen - dert er an den Stadtrand und betritt eine Kirche, nimmt Sonnenbrille und Strohhut ab, erblickt den Altar und hält inne.
Sehnsucht nach Beziehung
„Die Reli - gion war mir seit längerem zuwider, und trotzdem spürte ich auf einmal eine Sehnsucht, mich auf etwas beziehen zu können. Es war unerträglich, einzeln und nur mit sich allein zu sein. Es musste eine Beziehung zu jemand anderem geben, die nicht nur persönlich, zufällig und einmalig war, in der man nicht durch eine immer wieder erpresste und erlogene Liebe zueinander gehörte, sondern durch einen notwendigen, unpersönlichen Zusammenhang. Warum hatte ich zu Judith nie so bedenkenlos freundlich sein können wie jetzt beim Anblick dieser Kirchenkuppel, oder dieser Wachstropfen auf dem Steinboden? Es war scheußlich, mit einem solchen Gefühl nicht aus sich heraus zu können.“ Später findet er Judith, deren Liebe so sehr in Hass umgeschlagen ist, dass sie ihn am liebsten umbringen würde.
Versprechen der Liebe
Trotz der Entfremdung machen sich beide gemeinsam auf und erzählen ihre Geschichte einem Dritten, der im Gespräch beiläufig äußert: „Es ist unerträglich, mit jemandem verfeindet zu sein (...) Wir werden uns selber zuwider, wenn wir einen Feind haben.“ Nachdem die beiden ihm ihre Geschichte erzählt haben, finden sie zwar nicht wieder zusammen, können aber friedlich auseinandergehen. Die Sehnsucht, sich auf einen anderen beziehen zu können, gerade dann, wenn es um die Liebe zwischen Mann und Frau geht, spricht Handke Jahre später in der Aufzeichnung „Gestern unterwegs“ deutlicher aus: „Die Liebe kannst du nicht dem Geliebten versprechen. Ihr müsst sie einan - der einem Dritten versprechen (= Sakrament).“ Der Dritte ist der, der das Versprechen besiegelt und der gemeinsamen Liebe Raum gibt, auch wenn seine Gegenwart nicht greifbar, sondern verborgen, dafür aber nicht minder wirklich ist.
Verborgene Gegenwart des Dritten
Was aber diese verborgene Gegenwart des Dritten für die gemeinsame Liebe bedeuten könnte, das wird in einer weiteren Aufzeichnung gesagt: „Gerade wurde mir ganz klar (...), dass in der Liebe, für die Liebe, zwei allein nicht genügen: ich brauche, immer wieder, einen Dritten, an den ich mich wen - den könnte, zur Beruhigung, zur Bestärkung, zur Festigung, zur Neuerweckung, zur Danksagung – zur Ergänzung; und dieser Dritte, den ich benötige in meiner Liebe, den ich mitdenken möchte in meiner Liebe, der für die jeweilige Wendung in mir sorgt, kommt nur mit dem Namen ‚Gott‘ in den Sinn (und: die bloße Wendung an den Dritten ist dann schon die Ergänzung).“ Der Horizont der Liebe wird aufgebrochen auf den anderen hin, sie verbleibt nicht im Zirkel der Zweisamkeit, sondern öffnet sich auf den Dritten hin, in dessen gnädigem Licht alles noch einmal anders gesehen werden kann. Sich das unbedingte Ja des Dritten zum gemeinsamen Weg in Erinnerung zu rufen, das kann in Augenblicken der Krise hilfreich sein. In seinem Buch „Die Geschichte des Bleistifts“ hat Handke eine berührende Szene festgehalten, in der sich ein junges Paar auf diesen Dritten bezieht: „In der Kathedrale küssten sich zwei, noch fast Kinder, im Knien lange, lösten sich dann voneinander und beteten.“ Das Sakrament der Ehe stellt Mann und Frau in die Gegenwart des Dritten. Diese Gegenwart ist eine Wirklichkeit. Das Ja, das der verborgene Dritte zum Ja spricht, das sich Mann und Frau bei der Trauung wechselseitig zusagen, ist die unumstößliche Hintergrundversicherung, auf die das Paar auf seinem Weg jederzeit zurückkommen kann: dankend in Stunden des Glücks, fragend in Stunden der Ungewissheit, ringend in Stunden der Leere. Aus dieser verborgenen Gegenwart des Dritten kann ein Paar leben.
Autor: Univ.-Prof. Dr. Jan-Heiner Tück, Vorstand des Instituts für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
Erstveröffentlichung in: »Hätte aber die Liebe nicht ...«, Jahrbuch der Diözese Gurk 2021, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).