„Deus caritas est“
Warum ich „Gott ist die Liebe“ (1 Joh 4,16b) zu meinem Wahlspruch gewählt habe
„Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.“ (1 Joh 4,16). Mit diesen Worten aus dem ersten Johannesbrief begann der nunmehr emeritierte Papst Benedikt XVI. seine erste Enzyklika. Die Botschaft „Deus caritas est – Gott ist die Liebe – Bog je ljubezen“ hat sich auch in meinem Leben immer wieder und immer deutlicher als der Wesenskern des christlichen Glaubens erwiesen. Als ich mich nach meiner Ernennung zum 66. Bischof der Diözese Gurk innerhalb von wenigen Tagen für einen Bischöflichen Wahlspruch entscheiden musste, fiel mir die Auswahl daher nicht wirklich schwer, spiegelt dieses Bibelwort doch in besonderer Weise meine Spiritualität und meinen Glauben wider.
Wandlungskraft der Liebe
Die Begegnung mit Mutter Teresa in Indien in meiner Zeit als Seminarist prägte mich wesentlich und zeigte mir, welche Wandlungs- und Wirkkraft Liebe, Zuwendung und Annahme für Menschen, vor allem auch für jene am Rande der Gesellschaft, haben. Auch während meiner Tätigkeit als Caritasdirektor erfuhr ich dies im konkreten Arbeitsalltag. Liebe verwandelt Menschen, und zwar jene, die sie erfahren, ebenso wie jene, die sie geben. Nun ist es mein persönliches Anliegen, diese Botschaft als Bischof möglichst vielen Menschen zu vermitteln.
Gott ist in jedem Menschen immer da
Ich bin besonders dankbar und froh darüber, dass auch Papst Franziskus nicht nur sein Lehren, sondern sein ganzes Leben und Wirken in Kirche und Welt auf dieser entscheidenden Glaubenserfahrung aufbaut und nicht müde wird, dazu zu ermutigen, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen, genau hinzuschauen und die Würde jedes Menschen anzuerkennen. Wir müssen erkennen, dass Gott in jedem Menschen immer schon da ist – in der Sehnsucht nach Liebe, in zwischenmenschlichen Beziehungen, in der wertschätzenden Hinwendung zum Nächsten.
Unwiderruflich und bedingungslos
Die Liebe Gottes, in der sich Gott selbst uns Menschen schenkt, ist unwiderruflich und bedingungslos. Das Wissen um diese Liebe Gottes ist eine wichtige Botschaft, vor allem auch in einer Zeit, in der Menschen auf der Suche nach Sinn sind und jeden Tag von allen Seiten mit Angeboten zu angeblicher glücklicher Lebensführung überschwemmt werden. Wenn wir glauben wollen und können, dass Gott selbst die Liebe ist und er überall dort, wo wir uns nach Liebe sehnen und sie spüren, anwesend ist, werden wir plötzlich ein sehr intensives Leben mit Gott führen. Weil wir unwiderruflich Geliebte sind, dürfen wir, ohne in einen selbstverliebten Narzissmus abzugleiten, auch uns selbst lieben, uns etwas zutrauen, uns annehmen vor jeder Leistung und trotz aller Schuld. Erfüllt von der Liebe Gottes bekommen wir die Kraft, in aller Freiheit die Nächsten zu lieben wie uns selbst. Wir können erfahren, wie sich Beziehungen vertiefen und sogar Spannungen und Konflikte durch neue Freundschaftsbande abgelöst werden. Vor allem aber öffnet uns die Liebe Gottes die Augen und Herzen für die Unansehnlichen, die am Rande der Gesellschaft Lebenden, die Zugewanderten und noch gar nicht in der Gesellschaft Angekommenen. Dabei fragt die Liebe Gottes nicht nach deren Leistungen, Schuldverstrickungen, deren Herkunft und religiösen Anschauungen.
Kirche mitten im Leben
Dies ermöglicht uns auch einen neuen Blick auf unser Miteinander in der Kirche. Im Zentrum steht dabei nicht mehr so sehr, wie Menschen zur Kirche finden, sondern wie mitten im Leben der Menschen Kirche entsteht. Im Zusammenleben der Menschen, im Engagement für andere, ist Gott präsent. Wir dürfen diese Kultur der Wertschätzung, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dankbar wahrnehmen. Denn darin kommt uns Christus entgegen.
Die Liebe hört niemals auf
„Deus caritas est – Gott ist die Liebe – Bog je ljubezen“ – Mit diesem biblischen Wort verbinde ich die Hoffnung, dass es Christinnen und Christen Zuversicht und Kraft für deren Lebensalltag schenkt. Gerade auch in schwierigen und herausforderungsreichen Zeiten, wie wir sie aufgrund der CoronaKrise erlebten und erleben, hilft der Glaube an die Kraft der Liebe Gottes, die uns Menschen verheißene Zukunft zu erkennen und nicht aus dem Blick zu verlieren. So ist meine Freude groß, wenn, wie schon in der alten Kirche, Christinnen und Christen auch heute daran erkannt werden, „wie sie einander lieben“ (Tertullian).
Autor: Diözesanbischof Dr. Josef Marketz
Erstveröffentlichung in: »Hätte aber die Liebe nicht ...«, Jahrbuch der Diözese Gurk 2021, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).