Fastenhirtenbrief 2016: Barmherzigkeit – Neues von Gott entdecken
von Diözesanbischof Dr. Alois Schwarz
Liebe Schwestern und Brüder!
„Jedes Mal wenn wir einem Menschen in Liebe begegnen, werden wir fähig, etwas Neues von Gott zu entdecken. Jedes Mal wenn wir unsere Augen öffnen, um den anderen zu erkennen, wird unser Glaube weiter erleuchtet, um Gott zu erkennen. […] Keiner hat ein besseres Leben, wenn er die anderen flieht, sich versteckt, sich weigert teilzunehmen, widersteht zu geben, sich in seine Bequemlichkeit einschließt.“ (EG 272)
Mit dieser Einladung gehen wir mit Papst Franziskus im Jahr der Barmherzigkeit in die Fastenzeit hinein. Es geht darum, in der Begegnung mit Menschen Gott zu entdecken. Einen Gott, der barmherzig und gnädig ist, der den Menschen die Fehler und Sünden nicht aufrechnet, sondern vergibt.
Das Wort „barmherzig“ beinhaltet, „dass Gott gegenüber seinen Kindern zärtlich ist wie eine Mutter“, sagt Papst Franziskus bei der Generalaudienz am 13.1.2016, „wenn sie ihr Kind in die Arme schließt und nichts anderes wünscht, als es zu lieben, zu behüten, ihm zu helfen und bereit ist, alles für ihr Kind zu geben, selbst ihr eigenes Leben. Das ist das Bild, das uns dieses Wort suggeriert. Eine tiefe, aus dem Innersten kommende Liebe.“
Der Heilige Vater verwendet auch noch andere Bilder: Barmherzigkeit ist wie der Morgentau, der das Land tränkt, wie ein Salböl, das die wunde Welt heilt oder wie eine Pforte in ein neues, menschlicheres Leben. Für Papst Franziskus ist Barmherzigkeit aber auch wie ein Tragebalken, der das Leben der Kirche stützt.
Wer bereits beim Hausbau mitgearbeitet oder einen Altbau saniert hat, war vielleicht überrascht darüber, dass ein Tragebalken im Verhältnis zu seiner Länge relativ schmal und schlank ist. Einen Teil seiner Tragfähigkeit erhält er dadurch, dass er die aufliegenden Lasten an Wänden oder senkrechten Stützen ableitet. Diese Beobachtung aus dem Bauwesen soll verdeutlichen, dass der Tragebalken der Barmherzigkeit hier für Menschen steht, die die Sorgen und Nöte ihrer Mitmenschen wahrnehmen und mittragen. Sie helfen dort, wo sie gebraucht werden.
Dieser Einsatz kann jedoch zur Überforderung führen. Wenn die Last zu schwer ist, erhält der Tragebalken der Barmherzigkeit Risse. Deshalb fordert der Apostel Paulus die Galater auf, „dass einer des Anderen Last trage“ (vgl. Gal 6,2). Damit wird deutlich: Die Last darf nicht nur wenigen Menschen aufgebürdet werden, oder, um im Bild zu bleiben, auf einem Tragebalken ruhen. Wenn jeder des Anderen Last trägt, verteilt sich das Gewicht auf viele Schultern. Dies schließt die Bereitschaft ein, sich auch die eigene Lebens-Last abnehmen zu lassen. Denn, wer Hilfe in Anspruch nimmt, erfährt die nötige Entlastung und wird zudem noch behutsamer sein, wenn er anderen Menschen Hilfe anbietet.
Für den Apostel Paulus sind alle aufeinander bezogen, wie die Glieder eines Leibes: „Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle anderen mit ihm.“ (1 Kor 12,26) Möglich ist dieses Miteinander, wenn wir das, was uns die Gerechtigkeit gebietet überschreiten und uns als barmherzig erweisen. Dazu bietet uns der Alltag viele Gelegenheiten: Bei Spannungen zwischen Erneuerern und Bewahrern in der Kirche, bei Konflikten zwischen den Generationen oder in der Begegnung mit Menschen anderer Kultur, Sprache und Religion. Die Barmherzigkeit wird zum Tragebalken, wenn wir diese Unterschiede wahrnehmen und unserem Nächsten darin in der Haltung des Segnens begegnen.
Basilius von Caesarea schreibt im 4. Jahrhundert: „Du wirst Gott ähnlich, indem du gütig bist. Suche nach Barmherzigkeit und Güte, um Christus wie ein Gewand anzulegen“.
Nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift ist die Barmherzigkeit eine göttliche Eigenschaft. „Er ist barmherzig, gnädig, langmütig, reich an Huld und Treue“. (vgl. Ex 34,6) Diese Worte sagen, wie Gott sich zum Menschen verhält. Wir aber sind aufgefordert, mit göttlicher Hilfe seine Verhaltensweisen nachzuahmen und sie zu verwirklichen.
Das wünsche ich Ihnen und darum bete ich für Sie.
Diözesanbischof Dr. Alois Schwarz
Aschermittwoch, 10. Februar 2016