Über das Pilgern und Wallfahren
Körperliches und geistiges Unterwegssein mit und zu Gott ...
Gemeinsam ist Pilgern und Wallfahrern das Unterwegssein in einem speziellen Sinn: körperlich und seelisch. Im Zelebrieren des spirituellen Wanderns findet der Mensch seinen eigenen, ganz persönlichen Rhythmus. In unserer Zeit, in der die meisten möglichst schnell von A nach B kommen wollen, stellt das Gehen als beschauliche Art der Fortbewegung eine Besonderheit dar. Die alte Tradition des Pilgerns und Wallfahrens erfährt jedoch wachsenden Zuspruch.
Über das Pilgern
Die meist synonyme Verwendung der Begriffe Pilgern und Wallfahren ist nicht ganz richtig. Pilger waren und sind oft allein unterwegs, ihr Reiseziel stand nicht immer im Vorhinein fest. Als originäre Pilgerziele gelten Jerusalem, Rom und Santiago. Zu diesen weit entfernt gelegenen Orten war die Reise lang und beschwerlich. Daher wurde sie meistens nur einmal im Leben gemacht. Zur Reisevorbereitung gehörte auch, dass der Pilger seine persönlichen Angelegenheiten regelte, da die gesunde Rückkehr von diesen Stätten fraglich war. Die Motivation für eine Pilgerreise war damals wie heute unterschiedlichst. Pilgerreisen gehen zurück auf das Mönchtum der Antike und des Mittelalters. Die Angehörigen dieses Standes begriffen Pilgerschaft in Anlehnung an das Jesuswort in Lukas 9,58: „Der Menschensohn aber hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ Für die pilgernden Mönche, die eine konsequente Nachfolge Jesu zu ihrem Lebensziel machten, bedeutete dies: das Unterwegssein ohne festen Wohnsitz, ohne Anspruch auf Eigentum und Besitz sowie als Fremde unter Fremden in dieser Welt. Eine derart verstandene Pilgerschaft hatte keine zeitliche Begrenzug. Sie konnte sich über ein ganzes Leben erstrecken. Es gab auch keine ortsgerichtete Eingrenzung, denn nicht das Ziel, sondern der Weg war entscheidend. Diese Form der Hingabe an Gott ist heute noch in den Ostkirchen lebendig, und hier vor allem in Russland. Im lateinischen Wort pelegrinus stecken die Begriffe Feld bzw. Acker und Grenze. Zu pelegrinus (4. Jh.) verändert, entwickelte sich daraus die Bezeichnung Pilgrim (8. Jh.) für den nach Rom wandernden Wallfahrer. Seit dem 15. Jh. sind es die Pilger, die zu heiligen Stätten unterwegs sind. Ihre Reputation war nicht immer die beste, da nicht alle von ehrenwerten Absichten getragen waren.
Vom Wallfahren
Der Sicherheitsaspekt war primär ausschlaggebend für die Entwicklung der Wallfahrten, die überwiegend in Gruppen und zu einem feststehenden Ziel erfolgten. Unterschiede zu den Pilgern liegen jedoch auch in der Auffassung. Wallfahrer sind überzeugt, dass bestimmte Orte aufgesucht werden müssen, um Gott und seinen Kräften besonders nahe zu sein. Die persönliche Anwesenheit an diesen heiligen Orten ist für die wallfahrenden Gläubigen unumgänglich. Dort bitten sie um Hilfe und kehren gestärkt nach Hause zurück. Nicht der Weg ist das vorrangige Ziel, sondern der Ort. Unter diesem Aspekt sind jene Reisen nach Jerusalem, die im Alten Testament beschrieben wurden, Wallfahrten. Demgemäß sind auch die späteren Pilgerfahrten an verschiedene heilige Stätten genau genommen Wallfahrten. Im Ursprung des Wortes Wallfahrt stecken das mittelhochdeutsche „wallen“, das althochdeutsche „wallon“, das mittelniederdeutsche „wallen“ sowie das altenglische „weallian“ für wandern, umherschweifen und reisen. Die mittelhochdeutsch Waller Genannten waren Pilger. Das mittelhochdeutsche „wallevart“ betraf eigentlich den Lebensweg. Während des 16. Jh.s entstanden daraus die Begriffe „Wallfahrten“ und „Wallfahrer“. Der ursprüngliche Wortsinn für „wallen“ war allgemein gehen, wandern und umherziehen, aber auch auf Wallfahrt gehen. Nicht nur das Gehen mit den Füßen war gemeint, sondern grundsätzlich das Umherziehen einschließlich jenes auf dem Wasser, dem Meer. Die Bedeutungseingrenzung zum alleinigen Verständnis für die Wallfahrt als Pilgerfahrt entstand im 18. Jahrhundert.
Spirituelles Wandern
Unabhängig davon, ob der wandernde Mensch als Pilger oder als Wallfahrer unterwegs ist, findet er seinen eigenen Rhythmus. Dieser entspricht seinen persönlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten. Der geistige Beweggrund für das Wandern im christlichen Sinn liegt auch im Umstand begründet, durch die langsame Art der Fortbewegung einen Ausgleich zur beschleunigenden Umwelt zu schaffen. Mit jedem Schritt wird ein Teil des hektischen, technisierten Alltags abgeschaltet. Der Kommunikationsstress der Gegenwart lässt die Zahl jener stetig wachsen, die sich auf den Weg begeben.