Pfarre

Villach-Hlgst. Dreifaltigkeit

Syrisches Mosaik

Versuch einer Erklärung!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Unser allseits geschätzter Herr Pfarrer hat mich überredet, mit Ihnen über den  Syrischen Bürgerkrieg zu sprechen.

Ich habe diesem Ansinnen zugestimmt, obwohl ich wusste, dass ich mich mit der komplexen Problematik erst werde auseinandersetzen müssen. Gleich vorweg, mein Wissen beruht auf keinerlei Erfahrungen, denn mein Auslandseinsatz auf den Golanhöhen in Syrien und Israel liegt schon Jahrzehnte zurück und fand während der zeit des Libanonkrieges im Jahr 1982 statt.

Trotzdem verbindet mich mit der syrischen Bevölkerung immer noch eine gewisse Sympathie wegen der Gastfreundschaft, Aufrichtigkeit und absoluten Ehrlichkeit der Menschen, die ich dort erleben durfte.

Syrien (Arabische Republik Syrien) ist ein Staat in Vorderasien und Teil des Maschrek (Land des Sonnenaufgangs).

Die Insel Zypern befindet sich etwa 125 km Luftlinie von der Syrischen Küste entfernt und mit rund 185 000 km2 ist Syrien ungefähr halb so groß wie Deutschland und etwas mehr als doppelt so groß wie Österreich.

Seit einem Staatsstreich 1963 regiert die Baath-Partei das Land. Nach dem Sechs-Tage-Krieg gegen Israel im Juni 1967 und dem Verlust der Golanhöhen trat nach jahrelangen Machtkämpfen innerhalb der Partei schließlich Hafiz al-Asad, der Vater des jetzigen Machthabers als Sieger hervor.

Als Baschar al-Asad im Jahr 2000 die Nachfolge seines Vaters antrat, wurde nicht nur eine Art moderner dynastischer Thronfolge umgesetzt, sondern vielmehr verband sich mit diesem Machtwechsel die Hoffnung auf eine politische Öffnung und ökonomische Entwicklung.

Baschar war der jüngere Sohn, hatte seine Ausbildung zum Augenarzt in London erfolgreich abgeschlossen, war dort verheiratet und eigentlich an den westlichen Lebensstil gewöhnt.

Unter ihm begann der sogenannte „Damaszener Frühling", der demokratische Reformen zum Ziel hatte. Bei diesem „Frühlingslüfterl" ist es dann aber geblieben, denn die alten Garden der politischen Elite ließen sich so einfach „die Butter nicht vom Brot" nehmen.

 

Nach dieser kurzen Einleitung, will ich versuchen zu zeigen, aus welchen Elementen sich die Unzufriedenheit breiter Gesellschaftsschichten über Jahre genährt hat. Eine Unzufriedenheit, welche schlussendlich im März 2011 mit dem Ruf der Schüler von Deraa nach einem Systemwechsel („Das Volk will den Sturz des Regimes") gipfelte und mittlerweile in einen umfassenden Bürgerkrieg gemündet ist.

Syriens Bevölkerung ist weder ethnisch noch religiös homogen. Unter den derzeit etwa 22 Mio. Einwohnern sind 90% Araber und 9% Kurden. Daneben gibt es kleine armenische, tscherkessische, türkische, griechische und Roma-Minderheiten. Der Großteil der Bevölkerung gehört der islamischen Glaubensgemeinschaft an. Davon sind wiederum 74% Sunniten, die restlichen 16% sind Schiiten, Drusen und Alawiten. Zum Christentum bekennen sich 10% der Bevölkerung: Außerdem gibt es kleine jüdische Gemeinden in Damaskus und Aleppo. Die ethnischen und religiösen Minderheiten sind nicht identisch. Um die innenpolitischen Mechanismen Syriens zu verstehen, muss man daher zunächst die Vielfalt ethnischer und religiöser Gruppen sowie deren Rolle im komplexen syrischen Machtgefüge verstehen.

 

Die Sunniten sind die politisch marginalisierte Mehrheit. Die meisten Syrerinnen und Syrer gehören dem sunnitischen Islam an, stellen in beinahe allen Teilen des Landes die Mehrheit und sind in allen sozialen Schichten vertreten. Die Alawiten, zu denen auch die Familie Asads gehört, sind als Schiiten in Syrien eine religiöse Minderheit, aber überproportional häufig in hohen politischen, militärischen und nachrichtendienstlichen Positionen vertreten.

„Mit diesen zwei Tatsachen haben wir eigentlich „des Pudels Kern" schon gefunden."

Unter der seit 1960 herrschenden Baath Partei (Großteils Alawiten) waren die Sunniten plötzlich nicht mehr, wie bisher gewohnt, die politisch dominante Gruppe.

Der derzeitige Bürgerkrieg ist auch nur zu verstehen, wenn die religiösen Bruchlinien, die Abspaltung der Schiiten geht ursprünglich auf einen Erbfolgestreit in der frühen Phase des Islam zurück, in die Beurteilung einbezogen werden. Seither ist der Konflikt zwischen den beiden größten Religionsgruppen des Islam immer wieder aufgeflammt.

Dies spielt auch in Syrien eine große Rolle, da die herrschende Elite der Alawiten, die größtenteils in der Küstenregion im Nordwesten Syriens lebt, auf Grund ihrer religiösen Ausrichtung eher zum schiitischen Iran tendiert, während die meisten arabischen Staaten, vor allen Qatar und Saudi-Arabien die Opposition unterstützen, um die geopolitische Position des Iran in der Levante zu schwächen.

Die starke Einflussnahme externer Akteure ist somit auch Ausdruck des Hegemoniestreits zwischen Iran und Saudi-Arabien, den jeweils führenden schiitischen und sunnitischen Staaten.

Beobachter sehen mit Sorge, dass der Aufstand gegen das Regime zunehmend fundamentalistisch-sunnitische Züge annimmt. Berichte über gezielte Verfolgung von Alawiten gibt es bis jetzt jedoch noch nicht.

Die Kurden sind wie überall in ihren Siedlungsgebieten (Irak, Türkei, Syrien) bei kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Fronten. Etwa 10% der syrischen Bevölkerung sind Kurden, die meisten bekennen sich zum sunnitischen Islam und sprechen Kurmantschi, wodurch sie sich von den anderen überwiegend Arabisch sprechenden Minderheiten unterscheiden. Hauptsiedlungsgebiet der Kurden ist der Raum Nordostsyrien entlang der Grenzen zur Türkei und Irak. Schlussendlich sind noch die christlichen Minderheiten zu beurteilen. Sie befinden sich hauptsächlich in den urbanen Zentren Damaskus, Horns und Aleppo und machen rund 10% der Bevölkerung aus.

Den Großteil stellt die griechisch-orthodoxe Gemeinde. Außerdem finden sich kleinere armenische, syrisch-aramäische, maronitische und assyrische Gemeinden.

Die Christen in Syrien erhofften sich im säkularen Staatssystem der Baath-Partei eine stärkere Einbindung, wurden jedoch mit der Verfassung 1950 (Islamisches Recht wurde zur Grundlage des Rechtssystems) enttäuscht. Diskriminierungen gegen Christen fanden jedoch bei weitem nicht in dem Ausmaß wie gegen Kurden statt. Besonders die orthodoxen Christen hatten einen privilegierten Status, sie konnten ihre Religion frei ausüben und auch führende Positionen in Wirtschaft und Politik einnehmen.

Der syrische Staat sah sich selbst als säkulares System und verbot offene politische Einflussnahme religiöser Gruppierungen. Religiös motivierte Aufstände wie die der Muslimbruderschaft, die mit Gewalt durchsetzen wollte, dass die sunnitische Konfession als Staatsreligion gesetzlich verankert werden sollte, wurden bereits in den 1980er Jahren mit großer Härte niedergeschlagen, zum Teil gab es zehntausende von Todesopfern, so z. B. beim Massaker von Hama.

Kleinere Religionsgemeinschaften in Syrien profitierten infolgedessen von diesem System, das radikale religiöse Elemente aus den Reihen der Sunniten an der politischen Einflussnahme hinderte.

Die Angst vor Unterdrückung und Verfolgung durch religiöse Fanatiker führt daher auch zu Unterstützungsbekundungen aus den Reihen der Minderheiten für die Regierung im Bürgerkrieg.

In ihrem am 20. Dezember 2012 veröffentlichten Bericht stellte die für Syrien zuständige UN-Menschenrechtskommission fest, dass der Konflikt zunehmend entlang der ethno-religiösen Linien geführt wird. So kam es zu Angriffen seitens der Regierungstruppen auf sunnitische Zivilisten, während Kämpfer der Aufständischen wieder Alawiten sowie andere vermeintlich regierungstreue Minderheiten wie katholische und armenisch-orthodoxe Christen und Drusen attackierten.

Die Christen sind neben den Alawiten das Hauptziel des Hasses und müssen bei einer Übernahme Syriens durch radikale Sunniten das Schlimmste befürchten. Das Christentum in Syrien hat eine lange, bis zur Bekehrung des Paulus vor Damaskus zurückreichende Geschichte. Rund 60 % der Christen gehören der syrisch-orthodoxen Kirche an.

In einer Verlautbarung vom März 2012 beklagt die syrisch-orthodoxe Kirche „ethnische Säuberungen gegen Christen" in der Stadt Homs durch islamistische Mitglieder der „Faruk-Brigade" der Freien Syrischen Armee. Militante bewaffnete Islamisten haben demnach schon 90 der Christen aus Homs vertrieben und deren Eigentum „konfisziert"; mehrere Stadtviertel seien bereits "christenrein". Dieser Brigade sollen bewaffnete Elemente verschiedener wahabitischer Gruppen und Söldner aus Libyen und dem Irak angehören.

Die schiitische Minderheit Syriens, auch die Christen sehen in den Aufständischen keine Freiheitskämpfer, sondern Terroristen.

In Gebieten, die von der syrischen Armee nicht mehr kontrolliert werden, müssen Schiiten somit auch die Alawiten akut um ihr Leben fürchten. Deswegen neigen sie dazu, das brutale Vorgehen der Regierungstruppen gegen Aufständische und Oppositionelle zu tolerieren und werden daher als Unterstützer Assads wahrgenommen.

Derselbe Gegensatz spaltet auch einige der Nachbarländer Syriens, weswegen vor einem regionalen Übergreifen bei einer zunehmenden Verschärfung des Konflikts gewarnt wird. Neben dem Irak wird hier meist der Libanon genannt.

Kurden bilden die größte nichtarabische Bevölkerungsgruppe Syriens und stellen mit etwa 1,7 Millionen knapp 10 % seiner Einwohner. Meist siedeln sie im Nordosten des Landes,entlang der fast 1000 km langen syrisch-türkischen Grenze und syrisch-irakischen Grenze. Kurden waren von der Teilhabe am Staatskörper weitgehend ausgeschlossen. Die kurdischen Parteien verlangen nun sprachliche und kulturelle Rechte sowie lokale Autonomie; keine kurdische Partei will dagegen die Unabhängigkeit der kurdisch besiedelten Gebiete von Syrien. Sie unterhalten bewaffnete Einheiten, die in den von Kurden bewohnten Regionen aktiv sind und bisher nur vereinzelt in Gefechte verwickelt waren.

Abschließend, welche Lösungsansätze oder Perspektiven für die Zukunft wären möglich?

Die Frage, wie die inzwischen umfassenden Kampfhandlungen beendet werden können, ist nicht einfach zu beantworten.

An erster Stelle der potenziellen Konfliktlösungsszenarien steht eine Verhandlungslösung, unabhängig davon, ob sie durch externe Mediation oder interne Konsensfindung zu Stande kommen könnte. Dieser Lösungsansatz scheint solange unrealistisch solange sich der Sicherheitsrat nicht auf eine Vorgangsweise einigt.

Die zweite Möglichkeit einer Konfliktlösung, eine internationale militärische Intervention, zum Schutz der notleidenden Zivilbevölkerung nach R2P-Modell, wurde zwar schon von verschiedenen Seiten (Koalition der Willigen) aufgeworfen, ist aber ebenfalls unrealistisch aufgrund der unübersichtlichen Akteurs Konstellation und der räumlichen Überschneidungen der Konfliktparteien. Auch die Errichtung von Flugverbotszonen erweist sich vor diesem Hintergrund als höchst problematisch. Darüber zeichnet sich im UN Sicherheitsrat nach wie vor kein Konsens in der Syrienfrage ab.

Als abstrakteres aber dennoch vorstellbares Konfliktlösungsszenario, wird die Errichtung eines autonomen alawitischen Staates, gemeinsam mit der christlichen Minderheit für möglich gehalten. Diese Lösung hätte große negative Konsequenzen für die wirtschaftlichen Zentren Damaskus und Aleppo, weil ihnen so der direkte Meereszugang verwehrt werden würde, daher allein schon aus diesem Grund schwer umsetzbar. Von zentraler Bedeutung für die Folgezeit des bewaffneten Konflikts wird die Frage sein, wie ein neuer Gesellschaftsvertrag aussehen würde.

Eine Radikalisierung des Konfessionalismus würde eine militärische Dynamisierung der konfessionellen Gruppierungen nach sich ziehen, wodurch die Rebellengruppen nicht mehr hauptsächlich gegen die Regimetruppen, sondern vor allem untereinander kämpfen würden.

Falls die Kampfhandlungen in Syrien beigelegt werden, wird die Entwaffnung der Milizen oder deren Eingliederung in eine neue Syrische Armee wohl die nächste große Herausforderung werden.

Generell wird die Zukunft Syriens auch von externen Akteuren mitbestimmt werden, die in Syrien eine Möglichkeit sehen, ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Die maßgeblichen geopolitischen Interessenkomplexe sind der USA-EU-Golfstaaten- Komplex als Unterstützer der Opposition auf der einen Seite und der Russland-China-Iran-Hisbollah- Komplex als Unterstützer des Regimes auf der anderen. Letztendlich bleibt die Frage nach der zukünftigen Orientierung der Konfliktparteien an den Großmächten offen, die nach wie vor im Spannungsfeld zwischen pro-russischen und pro-amerikanischen Ansätzen verhaftet bleiben. Bestimmend dafür wird auch sein, ob sich der Libanon dem Syrienkonflikt wird entziehen können oder ob sich das im Libanon vorhandene Eskalationspotential entfalten wird.