Pfarre

Villach-Hlgst. Dreifaltigkeit

Nitzkydorf - Hin und Zurück

Erste Eindrücke von Nitzkydorf

Es passiert mir nicht oft, dass mir die Worte fehlen, aber manchmal kommt es doch vor. So brauchte es zwei Reisen und viele Tage des Grübelns, um endlich das Gesehene auch in Worte zu fassen. Nein, meine Reise führte mich nicht weit weg, auf einen anderen Kontinent, sondern gerade mal 850 km oder eine Tagesfahrt von uns entfernt, in ein kleines Dorf im Banat.

 

Ich wusste, dass ich in ein Land komme, in dem die Leute viele Entbehrungen erdulden müssen. Ein Land in dem die Lebenserhaltungskosten so hoch sind wie bei uns, der Durchschnittsverdienst aber bei offiziellen € 385 liegt. Vor meinen Reisen erschien mir das sehr wenig und jeder wird es mir bestätigen. Nur, mittlerweile wäre ich froh wenn ich endlich Menschen kennenlernen würde, denen tatsächlich wenigstens dieser Betrag zur Verfügung steht.

 

In einem Dorf, inmitten von endlosen grünen Wiesen, ohne Arbeitsplätze, ohne jegliche Infrastruktur, ohne Anbindung an ein öffentliches Verkehrsnetzt in ca. 30 km Entfernung zur nächsten Stadt, mit einer Arbeitslosigkeit von 90 % sieht die Realität aber noch viel trister  aus.

 

Das niedrigste Einkommen einer vierköpfigen Familie lag bei € 20 im Monat, weiter ging es mit € 70 für drei Personen und steigerte sich auf etwa € 200 allerdings für 8 bis 12 Familienmitglieder. Wer sich im Internet informiert, erfährt, dass die absolute Armutsgrenze bei einem Einkommen von 1,20 Euro pro Tag und Person liegt. Sogar dieser Betrag wird hier noch um ein Vielfaches unterschritten. Dies gilt nicht für einzelne Härtefälle, sondern betrifft den überwiegenden Teil der Bevölkerung! Dabei soll es den Menschen hier im westlichen Teil Rumäniens noch viel besser gehen als jenen im Osten.

 

„Warum tun diese Menschen nichts, dass sie aus ihrer Not herausfinden?“, werde ich oft gefragt. „Die sind alle nur furchtbar faul!“, wird mir gesagt. Aber  ganz so einfach ist das nicht: Eine Frage, die ich bei meinen Hausbesuchen immer wieder stellte, war: „Warum bauen sie im Garten keine Kartoffeln und Gemüse an, so hätten sie wenigstens zu essen?“ „Das dürfen wir nur wenn wir für den Garten extra Miete bezahlen und dieses Geld können wir nicht aufbringen“, so die Antwort in vielen Familien. Jene die die € 100 bis € 150 im Jahr aufbringen können, bemühen sich sehr wohl, mit dem was sie im Garten anbauen und ein paar Hühnern, über die Runden zu kommen.

 

Arbeitsplätze gibt es im Ort so gut wie keine, öffentliche Verkehrsmittel stehen nicht mehr zur Verfügung weil auch die rumänische Bahn sparen muss, einen PKW besitzen die wenigsten. Wer nicht arbeitet hat keine Krankenversicherung, der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist nur für kurze Zeit, eine Mindestsicherung gibt es nicht. Wer keine Arbeit hat kann seine Familie bald nicht mehr ernähren. Der einzige Ausweg, den viele für sich entdecken, ist es ins Ausland zu gehen um dort Geld zu verdienen. Die Kinder bleiben als sogenannte EU Waisen bei Verwandten, in Heimen oft auch auf sich alleingestellt zurück. Alleine in Rumänien gibt es 125.000 dieser Kinder die meist sehr schlecht oder gar nicht versorgt werden. Aber auch die  Kinder, deren Eltern hier geblieben sind haben ein von Entbehrungen und Armut geprägtes Leben.

 

Die Familien des Dorfes kamen erst nach dem Fall des kommunistischen Regimes hierher, nachdem die ursprünglich deutschen Siedler Ende 1989 nach Jahren der Unterdrückung endlich auswandern konnten. Die zurückgelassenen Häuser sind im Eigentum der Gemeinde und wurden an Zuwanderer weitervermietet. Diese Häuser sind sehr alt, viele (eher alle) dürften bei uns wegen der Einsturzgefahr nicht mehr bewohnt werden. So leben die Familien sehr oft in einem einzigen Raum den sie für kochen, schlafen, lernen und leben nützen. So erlebte ich eine 7-Köpfige Familie in einem Raum der nicht größer ist, als der Jugendraum in unserer Pfarre. In vielen Häusern ist die Situation nicht besser. Decken drohen einzustürzen, Wände haben Löcher die mit Lumpen gestopft werden, manche haben keinen Stromanschluss, jene die einen haben benutzen eine einzige Lampe da der Kilowatt Preis in Rumänien bei € 1,-- liegt und somit unbezahlbar ist. Dass es hier weder Dusche noch Toilette gibt möchte ich nur der Vollständigkeit halber erwähnen. Ein Ofen reicht für Heizen und Kochen, nur sehr oft fehlt das notendige Holz. Auch das ist teuer, vor allem weil es in diesem Landesteil keine Wälder gibt. So gibt es oft gar keine warme Mahlzeit und im Winter keine Heizung. Unvorstellbar für jeden von uns, Normalität für die Bewohner von Nitzkydorf.

 

Wenigstens einen Teil der Kinder können wir mit dem Tageszentrum „Stern der Hoffnung“ das Leben etwas erleichtern. Mit einer warmen Mahlzeit am Tag, mit einem geheizten Raum im Winter, mit Schulartikeln und Bekleidung. Die Kinder sind froh dass sie hierher kommen dürfen, dass sie hier mit dem Nötigsten versorgt werden, sich jemand um ihre Alltagsprobleme kümmert und sich für sie interessiert. Besonders freuen sie sich auch über Besuch aus dem Ausland. Die Erfahrung tut ihnen gut, dass es Menschen gibt, die sich für sie interessieren und ihnen beistehen. Ein Beistand der bitter nötig ist, denn finanziert wird diese Tagesstätte ausschließlich mit Spendengeldern aus dem Ausland. Viel mehr Hilfe wäre allerdings noch von Nöten. Beinahe täglich kommen Kinder und fragen ob auch sie etwas zu essen bekommen. Nur um allen helfen zu können, fehlen der Platz und die finanziellen Mitteln. Aber vielleicht werden wir auch ihnen eines Tages helfen können.

 

Besonders schlimm ist die Situation für die Jugendlichen nach der achten Klasse. Nach der Schulpflicht beginnt die Hoffnungslosigkeit. Die nächste weiterführende Schule wäre in Temesvar in 30 km Entfernung. Ohne öffentliches Verkehrsmitteln ist für einen Schulbesuch aber der Aufenthalt in einem Internat notwendig. Die Kosten dafür betragen € 100 monatlich und können von den Eltern nicht finanziert werden. So bleiben auch viele begabte junge Menschen zu Hause. Ohne Zukunftsaussicht, ohne Lehrplatz, ohne Arbeit und ohne Hoffnung. Kein Wunder wenn junge Menschen im Gottesdienst weinen, weil sie sich nichts mehr wünschen als eine Ausbildung und die Chance auf ein normales Leben, in dem Bewusstsein dies nie erreichen zu können.

 

Oder die Mutter die eine Therapie für ihren Sohn, der mit ca. 10 Jahren schon einen Schlaganfall hatte, bezahlen möchte, da die Versicherung dafür nicht aufkommt (Argument: Das ist keine Kinderkrankheit). Sie hat einen Kredit für die Behandlung aufnehmen müssen, in kleinen Raten wird sie die nächsten 40 Jahre die Behandlung für ihr Kind abstottern. Die Tragik – sie muss auch noch 6 weitere Kinder versorgen, denn der Mann ist ins Ausland verschwunden und leistet auch keine Zahlungen mehr für die Familie. Alle Achtung vor dieser Frau die mit einem kleinen Einkommen von € 200, das sie mit dem Anbau von Gemüse und den Verkauf von Eiern erwirtschaftet den Mut nicht verliert. Ihr Haus ist sauber, sie hat einen eigenen Schlafplatz für jedes Kind, die Kinder sind gepflegt und benehmen sich erstklassig. Ihre Arbeitszeit in ihrer kleinen Landwirtschaft ist allerdings von 5 Uhr morgens bis Mitternacht, auch wenn jedes Kind seine Aufgabe in der Familie erfüllt, sind sie ganz einfach noch zu klein um ihre Mutter wirklich unterstützen zu können. Diese Frau bei der Therapie ihres Sohnes unterstützen zu können, wäre mir ein großes Anliegen.

 

Aber es ist nur ein Beispiel von vielen. Man gehe am Sonntag in den Gottesdienst und denke über die Menschen hier nach. Siebzig, Achtzig Jahre alt, ausgeschunden nach Krieg Kommunismus und den nachkommunistischer Zeit, die in den Köpfen vieler Menschen noch gar nicht angekommen ist. Sie befürchten auch heute noch bespitzelt, verhaftet deportiert zu werden, wie 500.000 Menschen in der Zeit des Kommunismus. Weil sie das Verbot der freien Meinungsäußerung oder das Organisationsverbot nicht befolgt haben sind diese durch Folter und in Arbeits- und Gefangenenlagern zu Tode gekommen. Jene die überlebt haben, die ich beim Sonntagsgottesdienst in der orthodoxen Kirche gesehen habe, glauben Sie, durften diese Menschen in ihrer Lebenszeit auch einmal hoffen, träumen, leben, für ein paar Tage glücklich sein in diesem von Gewalt, Hunger und Entbehrungen geprägten Leben?

 

Ihr Leben wird sich nicht mehr verändern, selbst wenn wir die finanziellen Mittel hätten können wir das Erlebte nicht aus ihren Köpfen bringen. Wir sollten nur endlich aufhören sie als faul zu bezeichnen, nur weil sie den Umgang mit der Freiheit zu denken und zu handeln erst lernen müssen.

 

Unsere Hilfe ist vielleicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir sind mehrere Gruppen in Österreich, Deutschland und der Schweiz die mit Sammelaktionen das Tageszentrum „Stern der Hoffnung“ unterstützen. Viele Tropfen können den Stein vielleicht langsam erkalten lassen. In diesem Sinn bedanke ich mich bei allen, die diese Aktion mit Geld- und Sachspenden bereits großzügig unterstützt haben. Aber auch bei jenen, die mich immer wieder ermutigen für die Menschen von Nitzkydorf weiterhin da zu sein, dem einen oder anderen Kritiker zum Trotz. Für die Kinder, aber auch für die Erwachsenen von Nitzkydorf,  gemeinsam mit IHNEN zu einem „STERN DER HOFFNUNG“ zu werden.

 

So sollte es unsere Aufgabe sein, den Kindern und Jugendlichen zur Seite zu stehen und mit der Möglichkeit von Schulbildung und Berufsausbildung eine bessere Zukunft für sie mitzugestalten. Oder auch nur manchmal ein Strahlen in Kinderaugen zaubern, oder auch Freudentränen in das Gesicht eines Erwachsenen. Ich habe bei meinen Besuchen beides schon erlebt. Dann weiß ich, dass sich unser Einsatz lohnt, dass wir unseren christlichen Auftrag der Nächstenliebe verstanden haben und auch leben. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen. Ich werde nicht aufgeben und ich freue mich wenn auch sie mich weiterhin unterstützen. Vergelt’s Gott

 

Irene Reichl

Hoffnung