Ostern – Das Narrativ gegen den kollektiven Tod
Ein Kommentar von Dechant Herbert Burgstaller zur Macht der Bilder und den weltumspannenden Frieden
Ostern und Frühlingserwachen stehen meist gleichbedeutend nebeneinander. Gäb´s Ostern nicht, so bliebe zumindest noch das Erwachen der Natur nach der Winterruhe. Die explosive Frühlingskraft, die in eindrucksvollen Klangfarben und in bildgewaltiger Farbenpracht tief bewegt, trifft den Kern von Ostern. Ostern ist kraftvoll unbändiges Aufbrechen ins Leben.
Als Christ*innen bekennen wir, dass am ersten Tag der Woche Jesus Christus die Erweckung aus dem Grab erfahren hat. Die Macht des Todes sei damit unwiderruflich gebrochen, erfülltes Leben in unverbrüchlicher Gemeinschaft mit Gott ist die Folge. Die Schöpfung wird neu geschrieben. Inbegriff der neuen Schöpfung ist der erweckte Herr. Der Tag der Erweckung wird zum Neubeginn der Schöpfung.
Theologisch beginnen hier ein neues Zeitalter und eine neue Zeitrechnung und nicht mit der Geburt des Herrn. Daher ist Ostern das höchste liturgische Fest. Diese Glaubensüberzeugung hat über die Jahrhunderte ihre kulturelle Einbettung und geschichtliche Verortung eingebüßt. Sie ist zu einer geschichtslosen, metaphysischen Wahrheit geworden.
Es gilt, Ostern im soziokulturellen Kontext als bahnbrechendes Ereignis zu verorten. Ein Vergleich mit den Stilmitteln biblischer Narrative ist hilfreich. Der einfache Hirtenjunge David erschlägt mithilfe einer schlichten Steinschleuder den gefürchteten, kampferprobten und unbesieglich geltenden Goliath. Die Übermacht der Philister ist mit einem Schlag gebrochen. Dieses Narrativ ist von unglaublicher Tiefen- und Breitenwirkung. Mit einem psychologischen Trick werden Massen bewegt.
Dieses Propagandamittel ist keine Erfindung der totalitären Regime der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch die Fakes des 21. Jahrhunderts verfolgen die gleiche Absicht. Es geht um Steuerung von Massen, um die manipulative Wirkung von Wort und Bild. Was können Wörter bewirken, was machen Wörter, was ist die Macht der Wörter, was ist Wortmacht und was ein Machtwort? Meist sagen Bilder mehr als Worte. Die Macht des Bildes braucht nicht den Lärm der Wörter. Die raffinierte Kombination ist reizvoll und bis in die Seelentiefen wirkmächtig.
Moses führt die hebräischen Arbeitssklaven aus Ägypten in die Freiheit. Der Pharao nimmt mit einer gigantischen Streitmacht die Verfolgung auf. Die mächtigen Fluten des Schilfmeeres verschlingen die Streitmacht. Gott Jahwe ist mächtiger als die Gottheiten der Übermacht. Gott Jahwe lehrt die Ägypter und die Philister das Fürchten. Es zählt das Narrativ.
Bilder formen die Tiefen der Seele und durchpflügen die Seelenlandschaft. Bilder erzeugen Wirklichkeit. Ein Volk ohne Namen wird zu einem Volk mit stolzem Namen. Wo ein Volk erniedrigt wurde, Unterdrückung und Ausbeutung erfährt, wird der innere Widerstand genährt. Es wächst der Überlebenskampf im Namen der kollektiven Resilienz. Gott ist ein kollektives Resilienzmittel. Diese Mittel bewirkt Wunder. Doch zurück. Wofür steht Ostern?
Ostern hat eine politische und gesellschaftspolitische Signalwirkung. Zu Zeiten Jesu verstand sich Rom als übermächtige Weltmacht und als Mittelpunkt der Welt. Jüdische Erinnerungskultur bewahrt vor Auslöschung ureigener, kollektiver Tragödien. Im Namen Gottes Jahwe werden diese dunklen Erinnerungen wachgehalten. Israels kollektives Gedächtnis ist das lebendige Bewusstsein Gottes. Erinnerung ist die Zukunft des Gottesvolkes. Gott bewahrt die Seinen im Gedächtnis. Er ist ihr Leben. Wer für und in Gottes Namen stirbt, ist in dessen Gedächtnis eingebrannt, ist unsterblich.
Der Kreuzestod Jesu ist eine römische Machtdemonstration. Römische Übermacht besiegt jüdische Revolte. Das Kreuz bedarf keiner Worte. Es ist bildgewaltige Abschreckung. Der Judenkönig erfährt ostentativ Erniedrigung. Bilder sagen mehr als Worte. Das leere Grab wird zum wirkmächtigen Gegenbild. Es erzeugt eine verstörende Wirklichkeit. Die Inszenierung einer Apotheose ist die instinktive Reaktion der Besiegten. Der Tote lebt. Nicht in einer Unterwelt, nicht in einer Zwischenwelt, nein, in der Überwelt, in den Himmeln, bei den Göttern. Er lebt als Gott bei Gott. Gewähnte Ohnmacht entmachtet die Übermacht. Rom ist mächtig, Gott ist übermächtig. Israels Gott besiegte den Pharao, besiegte die Philister und besiegt Rom. Gottes Politik überdauert Zeiten.
Doch was ist das gesellschaftspolitische Narrativ der Erweckung Jesu? Paulus wird Jesus von Nazareth entpolitisieren und zu einem Kosmopoliten umfunktionieren. Paulus generiert im erweckten Christus einen universellen und geschichtslosen Menschen. Die bestehende Gesellschaftsordnung mit den klaren Standesunterschieden ist für immer aufgehoben. Der Brief an die Galater ist in seiner Programmatik aufschlussreich: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,28)
Das geschichtsverliebte und geschichtsträchtige Volk Gottes soll um des universellen Friedens willen geschichtsvergessen werden. Die Trennung und Feindschaft zwischen dem Volk Gottes und den Heiden, also den Gläubigen und den Ungläubigen, den Juden und den anderen Völkern, ist im erweckten Christus ein für alle Mal aufgehoben. Er steht für einen neuen Menschen und für eine neue Menschheitsfamilie. Die neue Welt kennt eine neue Ordnung. Das Reich Gottes steht unterschiedslos für die gleiche Würde aller Menschen.
Der österliche Christus wird in der ersten Begegnung mit den Seinen den Friedensgruß entbieten. Damit ist ein weltumspannender Frieden gemeint. Die Entpolitisierung des national geprägten Glaubens macht diesen Frieden möglich. Das für Universalität und Kosmopolitismus stehende Rom wird zum neuen Jerusalem und das Volk Gottes wird in einem zähen Transformationsprozess zu einem multikulturellen Sammelbecken namens Kirche. Pfingsten lässt grüßen!
Dechant Herbert Burgstaller