Ein antiker Donald Trump
Kommentar von Dechant Herbert Burgstaller zu Kaiser Konstantin und einem verzweckten Gott
Der Ausdruck „Gott“ gibt nicht nur in der Postmoderne große Rätsel auf. Radikale Szientisten leugnen als erklärte Atheisten die Existenz Gottes. Kreationisten hingegen, die ihre Zweifel an der Evolutionstheorie anmelden, sind entschiedene Verfechter seiner Existenz.
In der sprachphilosophischen Annäherung wird dem Gebrauch des Ausdrucks „Gott“ nachgespürt und die Unterscheidung zwischen Gottesbegriff einerseits und dem Eigennamen „Gott“ andererseits als notwendig erachtet. Für Eigennamen gelten andere Eigenschaften als für Begriffe. Was aber, wenn Eigenname und Personenbegriff zusammenfallen? Schließlich wird von Gott ausgesagt, dass er eine Person sei.
Die hermeneutischen Theologen, die sich in der Kunst der Auslegung alter Texte verstehen, übersetzen Vergangenes in die Gegenwart. Sie warnen eindringlich vor Gleichsetzung. Zwischen dem Personenbegriff von damals und dem von heute liegen Welten. Sie entstauben alte Welten, ja, das Museum ist ihr Wohnzimmer, daher fällt es ihnen leicht, Zeitgenossen mit auf eine abenteuerliche Zeitreise zu nehmen, ohne den Gegenwartsbezug zu verlieren.
Die Biblizisten wiederum gehören einer anderen Zunft an. Sie nehmen die Bibel wörtlich, ja, buchstäblich. Für sie sind die Schriftausleger die größten Wortverdreher. Sie geben vor, die Heilige Schrift zu lieben, doch in Wirklichkeit fehlt es diesen Sinn- und Wortverdrehern an gebührender Ehrfurcht vor dem Heiligen. In Wahrheit sind sie getarnte Gottesleugner und Antichristen. Schließlich ist die Bibel Gottes Wort. Sie lügt nicht. Wer lesen kann, vertraue dem Geschriebenen. Die Bibel ist zeitlos und vor allem wahr. Die Schöpfung ist ein Sechs-Tage-Werk, denn so steht es geschrieben.
Doch zurück zum Gottesbegriff und außerdem zu einem imperialen Großereignis, das sich vor 1.700 Jahren unter Kaiser Konstantin in Nicäa, einer Stadt im Westen von Kleinasien, abspielte. Die Reichshauptstadt wird nach Byzanz verlegt. Und weil Konstantin wie Alexander der Große von großer Bescheidenheit ist, führt Byzanz künftig seinen Namen.
Das neue Rom ist Konstantinopel. Der neue Mittelpunkt der Welt braucht einen Prachtbau, ein zeitloses Monument, der Bau der Hagia Sophia wird unter Kaiser Justinian in Auftrag gegeben. Die Türme in Florenz, der Dogenpalast in Venedig und der Trump Tower wirken dagegen wie dürftige Schattenbilder. Der Pantokrator und die Allweisheit haben ihren Sitz in der Hagia Sophia, der Turm von Babel ist bereits eingestürzt und der Jerusalemer Tempel längst zerstört.
Konstantin nimmt politisch vorweg, was ikonographisch in der Hagia Sophia abgebildet ist. Nachdem Konstantin Demut fremd ist und er seit der Schlacht an der Milvischen Brücke von quälenden Allmachtsphantasien begleitet ist, wird sein rettender Zufluchtsort der Glaube an den einen Gott im wilden Durcheinander des Welt- und Himmelsgefüges. Im römischen Götterhimmel muss aufgeräumt werden! Zucht und Ordnung müssen Einkehr halten! Die Vielgötterei des römischen Götterhimmels gleicht der Vielweiberei von Sodom und Gomorra.
Das neue Reich braucht eine neue Ordnung im Namen des einen Gottes und im Namen des einen Kaisers. Konstantins tiefgläubige und bescheidene Mutter bestärkt ihn als subtile Influencerin in dieser Auffassung. Nach dem Sieg über Licinius werden religiöse Angelegenheiten im Sinne der Vereinheitlichung und Gleichschaltung des Denkens und Fühlens römischer Bürger dem Kaiser übertragen. „Ein Gott, ein Reich, ein Kaiser!“, wird als systemstabilisierendes Programm höchst wirksam umgesetzt. Kirche und Staat verschmelzen.
Konstantin war ein Soldat und Stratege. Biblische Erzählungen, die Geburt des Messias im Stall von Bethlehem und die theologische Konzeption der Menschwerdung Gottes kümmerten ihn wenig. Vielmehr interessiert ihn die Frage, wie aus der Menschwerdung Gottes ein höchst effizientes, politisches Programm erstellt werden kann. Politische Gegner lassen sich damit leichter und erfolgreicher bekämpfen. Schließlich ist die irdische Ordnung ein Spiegelbild der himmlischen Ordnung. Wer sie nicht achtet, begeht Hochverrat.
Die zeitlose, himmlische Ordnung bestimmt den Sohn Gottes als eines Wesens mit dem Vater. Konstantin dekretiert kraft seines Amtes diese Wahrheit. Wohlgemerkt, ein politischer Machthaber dekretiert eine Glaubenswahrheit. Glaube und Leben bilden eine Einheit, sind ein politisches Ganzes. Eine zeitlose, himmlische Idee offenbart sich im Sohn Gottes als Heilslehre für die Ewigkeit.
Monarchen sind auf Erden unantastbare Repräsentanten dieser Ordnung. Die Menschwerdung Gottes wird zum politischen Programm. Politik ist Manifestation und Inszenierung der himmlischen Ordnung. Ein irdischer Monarch mit göttlicher Aura ist geboren. Wer diese Ordnung leugnet, ist seines Amtes entbunden und wird mit dem Bann belegt. Ordnungsliebhaber und -hüter, ewige Beamte und zeitlose Monarchen erleben den Himmel auf Erden, denn endlich sind Punkt und Beistrich unhintergehbare göttliche Gebote. Konstantin macht´s möglich.
Dechant Herbert Burgstaller