Christsein ist Herzensangelegenheit
Zwei Päpste, zwei Rundschreiben und die eine Liebe – ein Kommentar von Dechant Herbert Burgstaller
Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus sind einander näher, als deren Amtsführung vermuten ließe. Der eine Oberste Hirte eröffnet sein Pontifikat mit dem Grundbegriff seiner Theologie, nämlich Liebe. „Gott ist die Liebe“ lautet der Titel seines ersten Rundschreibens, in dem er die Grundzüge seiner Glaubenslehre entfaltet. Diese Liebe ist kein Abstraktum, keine Idee, sondern Person. Gott ist diese Liebe. Er wendet sich als Person dem Menschen zu, der diese Liebe in Freiheit erwidert, auf diese Zuwendung, diese Anrede, antwortet.
In der Eucharistie begegnen wir Jesus, dem Sohn Gottes, persönlich. Das gemeinsame Schreiben der beiden Päpste zu Beginn des Pontifikates von Franziskus beinhaltet das „Licht des Glaubens“, die eine Wahrheit, den Sohn Gottes, Jesus Christus. Wahrheit und Liebe sind voneinander nicht zu trennen. Sie berühren das Herz des Menschen. Liebe reinigt und wandelt die Vernunft, sie vermenschlicht sie.
Die Wahrheit in Christus wiederum bewahrt die Liebe vor Fehlentwicklungen und Blendung. Christus führt zu wahrem Menschsein. Der durch strukturelle und individuelle Sünde belastete und entfremdete Mensch findet zu seiner Gottebenbildlichkeit, zu seiner Würde, zurück. Die Begegnung mit Christus vermenschlicht. In seinem nachsynodalen Schreiben zur Jugendsynode zitiert Franziskus Romero, das Christentum sei Person, nicht Lehre.
In seinem jüngsten Rundschreiben „Dilexit nos“ („er hat uns geliebt“) wirbt Franziskus für ein in der Kulturgeschichte grob vernachlässigtes Symbol, das Herz. Es macht den Menschen zum Menschen. Er will keine mit Glaubenssätzen überfrachtete Glaubenslehre, er setzt vielmehr auf die Begegnung von Herz zu Herz. Gemeint ist das Herz Jesu, das das Herz des Menschen anrührt. Jesus spricht zu mir. Er ist mein Freund. Er liebt mich. Seine Liebe ist bedingungslos und ohne Widerruf.
Wo Benedikt die Glaubenslehre inhaltlich entfaltet, setzt Franziskus auf geistliche Übungen. Das Gespräch mit Jesus im Blick auf das Evangelium ist ihm wichtig. Theologie mag gut sein, Spiritualität ist besser. Letztere bereichert das Leben, sie berührt das Herz und führt zu Hingabe, kennt das Hinhören, die Unterscheidung und die Entscheidung. Weggemeinschaft ist begründet. Christentum ist Herzensangelegenheit. Das Herz sucht den Menschen, nicht die Struktur. Das Herz sieht den Menschen, nicht den Sünder. Durch das Herz wird ein Ich Mensch. Es ist kein Ding und nicht käuflich. Das Herz ist die ultimative Wirklichkeit des Menschen.
Und Wirklichkeit wiegt mehr als Idee und Moralismus, als kalte, ausschließende Wahrheit. Nur wer liebt, verwirklicht den Plan Gottes und findet sein Menschsein als Person. Durch Gott, der die Liebe ist, wird Menschsein möglich. Er ist uns verbunden und bleibt es auch. Er ist unser Partner. Sowohl Benedikt als auch Franziskus zielen auf die Erlangung dieses wahren Menschseins durch den Mensch gewordenen Gott. Weil Gott ein Herz hat, wurde er Mensch und bleibt ihm verbunden.
Dechant Herbert Burgstaller