Pfarre

Spittal an der Drau

Heil ist mehr als Gesundheit

Geistlicher Impuls von Stadtpfarrer Mag. Ernst Windbichler zum 5. Sonntag im Jahreskreis

Als im Mittelalter die Pest wütet, da entsteht der uns allen geläufige Brauch, dass man sich beim Niesen „Gesundheit“ wünscht, oder „Helf Gott!“ sagt. Mit einem harmlosen Schnupfen nämlich hat diese unheimliche und damals unheilbare Krankheit begonnen und wenn da jemand niesen muss, da hat jeder gebetet und gewünscht, dass er wieder gesund werden und dass Gott dabei helfen möge. Gesundheit und Helf Gott! Aber nicht nur die Pest, auch die Cholera, die Ruhr, die Tuberkulose, bis hin zu Alzheimer, Parkinson, Krebs und Aids und nun natürlich Corona gehören zu den Krankheiten, die man als Geisel der Menschheit bezeichnen könnte. Dann auch der bohrende Zahnschmerz und das pochende Kopfweh, die Magenverstimmung und das Fieber, wer von uns kennt das nicht. Krankheit gehört zu den urmenschlichen Erfahrungen.

Wenn wir also zu Weihnachten feiern, dass Gott wirklicher Mensch geworden ist, dann weiß er auch um diese schmerzlichen Erfahrungen der körperlichen und seelischen Unvollkommenheit und Schwäche. Es wird zwar nie berichtet, dass Jesus selber einmal krank gewesen sei, aber ich kann mir vorstellen, dass jemand, der sich so wie er, den leidenden Menschen zuwendet, sicherlich auch selber solche Erfahrungen der Schwäche am eigenen Leib gespürt und dass er deshalb die Not solcher Menschen auch gut verstanden hat.

Warum er aber ausgerechnet auf diese Menschen so zugeht und sie sich von ihm so angezogen fühlen, das muss letztlich einen tieferen Grund haben. Nicht eine Verklärung des Leidens, wie man es dem Christentum oft vorgeworfen hat, sondern im Gegenteil: eine Ahnung davon, dass das Reich Gottes etwas mit Heil zu tun hat. Heil, das ist mehr als einen Körper zu haben, der muskulös und straff ist, gar mit Schönheitsoperationen gestylt, mehr als Fitness und Wellness, mehr als gute Blut- und Fettwerte, Heil im biblischen Sinn, das ist auch mehr als psychische Gesundheit. Heil, das ist tiefes Eins-Sein mit Gott, mit der Welt und mit sich selbst. Das hat etwas zu tun mit Urvertrauen, mit Befreiung von Angst und Hoffnungslosigkeit.

Der Gesundheitswahn unserer Tage lebt von dieser inneren Sehnsucht des Menschen nach umfassendem Heil. Aber er bleibt immer noch an der Oberfläche. Wir sagen zwar: „Hauptsache die Gesundheit“ und doch wissen so viele nicht, was sie dann mit dieser Hauptsache anfangen sollten. In Abwandlung eines alten Nietzschewortes müsste man sagen: Glücklicher müssten sie aussehen, die Gesunden. Denn sie haben ja die Hauptsache.

Vielleicht ist das auch der tiefste Sinn, den man jeder Krankheit abgewinnen kann, dass sie uns hilft, all das zu schätzen, was für viele von uns selbstverständlich geworden ist: dass wir uns am Morgen aus dem Bett erheben können, dass wir Hand und Fuß und Kopf und Zunge gebrauchen können, und dass wir jene Menschen nicht vergessen, die all das nicht oder nicht mehr haben können, dass wir die Gesundheit nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Und jede Krankheit weist auch hin, dass es eine innere Gesundheit geben kann, die man uns nicht so schnell nehmen kann, wie es im Gebet bei der Messe heißt: „Sprich nur (d)ein Wort, so wird meine Seele gesund“.
Jeder Schmerz erinnert uns auch unsanft daran, dass wir eben nicht in einer perfekten und heilen Welt leben und hilft uns so, die Sehnsucht wachzuhalten, nach jener Welt, in der, wie es der Evangelist. Johannes einmal schreibt, es keine Tränen, keine Krankheit und keinen Tod mehr geben wird.

Ich denke, dass die Menschen um Jesus das gespürt haben, dass da einer ist, der ihnen das vermitteln kann.
Ein junger Arzt, der eine Praxis eröffnet, hat heute oft Schwierigkeiten, bis er sich einen Ruf aufgebaut hat, bis er genügend Stammkunden hat, dass er davon leben kann. Bei Jesus ist es anders: die ganze Stadt war von seiner Haustüre versammelt, heißt es heute. Natürlich wird Jesus gewusst haben, dass es nicht immer die edelsten christlichen Motive sind, die diese Menschen bewegen, sie wollen schlicht und einfach gesund werden. Aber er schickt sie trotzdem nicht weg, er weiß, dass hinter jeder Krankheit oft viel innere Not und Ausweglosigkeit steckt. Das merken und das schätzen die Menschen an ihm, diese ganzheitliche Sicht.
Und dass dann da auch einer ist, der sie be-handelt. Im Wort behandeln steckt ja das Wort Hand: das hat etwas mit Berührung zu tun, mit persönlicher Zuwendung, mit Anteilnahme und Verständnis. Heute versteht man unter Behandlung oft nur mehr die Ausstellung eines Rezeptes, die Vermittlung an ein Röntgen- oder Ultraschallgerät, ein EKG oder CT. Oft haben die Ärzte auch nicht die Zeit für eine solche Be-Handlung im ursprünglichen Sinn.

Die Behandlung Jesu besteht darin, dass er selbst aktiv wird, dass er persönlich Hand anlegt, dass er alles in die Hand nimmt, was den Menschen ausmacht: Geist und Seele und Leib. Die fieberkranke Schwiegermutter des Petrus nimmt er an der Hand und richtet sie auf, ohne Worte. Sicherlich das unspektakulärste Wunder in der ganzen Bibel. Und den kleingläubigen Petrus, der in den stürmischen Wellen unterzugehen droht, den nimmt er an der Hand, und den Blinden und Lahmen und Aussätzigen legt er die Hände auf und wäscht beim letzten Abendmahl mit seinen Händen die Füße seiner Freunde. So redet er nicht nur, so handelt er. Das ist seine gute Behandlung.

Aber seine Behandlung hat auch Grenzen: er lässt sich nicht vereinnahmen, als Sprengelarzt für den Bezirk Kafarnaum, als Guru, Wunderheiler oder Medizinmann, er zieht sich an einen einsamen Ort zurück, um zu beten, heißt es. Er sammelt Kräfte, begibt sich selbst immer wieder in die Hände seines Vaters, zu dem er am Schluss seines Lebens sagen wird: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“. Und dann zieht er weiter, er will keine Praxis eröffnen, kein Krankenhaus bauen, er ist ein Mensch im Aufbruch.


Heute sind wir die Hände Jesu, wie es in einem alten Gebet heißt: Christus hat keine Hände, nur unsere Hände. Wir setzen seine Behandlung fort: in den vielen kirchlichen Spitälern, in sozialen und caritativen Einrichtungen, aber auch im persönlichen Umgang miteinander. Eigentlich müsste man in jeder Kirche und in jeder christlichen Gemeinde etwas davon merken, dass das genaugenommen ein Behandlungsraum ist, ein Raum, wo man handelt und wo man be-handelt wird. Das wäre dann praktizierendes Christentum, Christentum als Praxis, im Gegensatz zu Theorie. In diesem Sinne könnte man sagen: Christentum ist nicht nur ein Rede- und Denkanweisung, sie ist eine Handlungsanweisung.

So wünsche ich uns allen viel Handlungsbereitschaft, viel Gesundheit an Leib und Seele, die Kraft, uns selber und andere in Krankheit zu tragen, auch vor Gott zu tragen, den Mut, uns manchmal auch zurückzuziehen und die Erfahrung, dass wir gerade in Not und Krankheit von Gott getragen und begleitet sind.