UM-KEHR
Gedanken zum Ersten Fastensonntag von Dechant P. Gerfried Sitar
Kehrt um! Umkehr. Das klingt nach Resignation oder nach dem Eingeständnis, den falschen Weg gegangen zu sein. Umkehr hat scheinbar das Ziel nicht mehr vor Augen – sie drückt den Moment der Erkenntnis aus, an Grenzen gestoßen zu sein. Gleichzeitig aber schwingt das Wort Heimkehr mit. Wer umkehrt, geht zu einem Ausgangspunkt zurück und ebenso zu einem Punkt der Sehnsucht und Geborgenheit. Als man aufgebrochen ist, hatte man Sehnsüchte, Vorstellungen vom Ziel, die vielleicht zu idealisiert oder einfach falsch gewesen sind.
Umkehr verliert dort das Negative, wo sie mit einer neuen Chance verknüpft wird.
Sie symbolisiert das Neuausrichten und die Möglichkeit, in eine Richtung aufzubrechen, die wirklich ans Ziel führt. Wer umkehrt ist keineswegs gescheitert, sondern hat für sich ganz Entscheidendes erkannt. Die Umkehr ist nicht das Ende, sondern der Ausdruck einer neuen Orientierung. Sie kann Mut machen, wo sie aus dem Einlassen auf Lebensherausforderungen geschieht. Umkehr wird so zum Anfang von etwas Neuem und gehofft Besserem. Keinesfalls ist garantiert, dass der Richtungswechsel immer das Richtige ist, aber er schafft im Leben Veränderung, die Bewegung bedeutet und Stagnation verhindert. Die Umkehr im Sonntagsevangelium meint ein klares Besinnen auf Essentielles, ein Fasten im Sinne von Ballastabwurf, ein Reduzieren von Unnötigem. Vor einigen Tagen habe ich eine Parlamentsdiskussion verfolgt und war mehr als geschockt darüber, wie viel man sagen kann, ohne etwas auszudrücken und wie sich ein Konglomerat an Worten um den Terminus ICH legen kann. ICH will! ICH kann! ICH werde! Man hat das Ziel völlig aus den Augen verloren, das im WIR der Gesellschaft verankert ist. Im Blick steht die eigene Macht und das eigene Vorankommen – und das möglichst schnell und ohne Rücksicht auf Verluste.
Umkehr kann ein Neubesinnen auf das WIR sein.
Wenn uns das Gemeinwohl wieder mehr bedeutet, werden wir auch das ICH neu buchstabieren und in einen anderen Kontext stellen. Das vergangene Jahr war nicht unbedingt förderlich, was die Fortbewegung weg vom Egoismus betrifft. Auch wenn manche sagen, dass es den Zusammenhalt gefördert hat, so muss man mit einem nüchternen Blick doch feststellen, dass dem nicht so ist – vielleicht da und dort – aber nicht generell. Die Menschen sind viel aggressiver geworden, Rücksicht wird nicht groß geschrieben, und der Blick auf den anderen galt in erster Linie dessen Verfehlungen. Das Denunziantentum hat einen Höchstwert erreicht. Kehrt um! Das trifft uns heute mit voller Aktualität. Eine Rückbesinnung auf Werte der Gesellschaft ist notwendig, damit wieder mehr Vertrauen lebbar wird. UM-KEHR! Das Kehren im eigenen Leben wird zur Herausforderung und fordert EHRLICHKEIT.
UM-KEHR: ICH - DU - WIR / WIR - DU - ICH
Wir brauchen dringend gute Perspektiven, um nicht aneinander irr zu werden. Der Frühling lässt uns durchatmen! Reißen wir die Fenster auf und lassen den frischen Wind herein und Luft, die wir brauchen, um Lebensfreude zu tanken. Aggiornamento! So nannte Papst Johannes XXIII. den Aufbruch. Aufbruch zur Umkehr! Das ist eine gute Perspektive, die uns vielleicht wieder etwas mehr menschlich sein lässt – vor allem in den banalen Dingen: Beim Einkaufen, im Straßenverkehr, in der Familie, am Arbeitsplatz, im Heim, im Krankenhaus, in der Schule .... Es gibt viele gute Wege, die wir gehen können, wir müssen einfach nur aufstehen und den ersten Schritt wagen - und das GANZ BEWUSST.
Ich wünsche Euch einen guten und gelingenden Ersten Fastensonntag!
Herzlich, Euer P. Gerfried Sitar