Dekanat

Dekanat St. Andrä im Lavanttal

Neben der Spur?

Gedanken zum 2. Sonntag im Jahreskreis von Dechant P. Gerfried Sitar

Wo wohnst du?

Das ist eine entscheidende Frage auch für unser Leben. „Wo wohnst du?“ meint nicht einen Ort, ein Haus oder eine Wohnung, sondern hinterfragt mich als konkrete Person. Wo bin ich eigentlich zuhause? Wer bin ich?

Was so einfach klingt, ist doch wesentlich komplexer, als wir uns das zunächst vorstellen wollen. Zuhause sein bedeutet, da zu sein, angetroffen zu werden, wenn man besucht wird, zur Ruhe gekommen zu sein. Aus diesem Blickwinkel wird es schon schwieriger, eine echte Antwort zu geben, weil wir zugeben müssen, oft nicht daheim zu sein. Christian Morgenstern meint:

„Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird“.

Die Sehnsucht des Menschen, verstanden zu werden, ist eine wesentliche, die in jeder Beziehung eine große Rolle spielt. Menschen treten miteinander in Beziehung und erwarten sich, dass es keine emotionale Einbahnstraße ist, sondern ein fließendes Miteinander. Daher brauchen Beziehungen Zeit, um gefestigt zu sein und das Gefühl des Daheimseins zu geben. Die Beziehungsfähigkeit setzt aber in hohem Maß voraus, dass wir „in uns“, also „besuchsfähig“ sind. Das ist ein hartes Stück Arbeit, weil dafür eine gesunde Selbstreflexion nötig ist. Bei Beziehungen geht es nicht nur um Partnerschaften, sondern um alle Formen der Begegnung von Menschen. Wir fragen uns mitunter, warum die Zeit, die hinter uns liegt, Beziehungen schwierig gemacht hat. Wohl nicht deswegen, weil viele soziale Kontaktmöglichkeiten weggefallen sind, sondern wohl eher deshalb, weil wir ungewöhnlich intensiv auf uns selbst bezogen waren. Diese Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst bedeutet nicht selten, Eigenschaften an sich selber zu entdecken, die bislang fremd gewesen sind. Dieser Blick auf meine eigene Persönlichkeit ist aber unabdingbar der Schlüssel für mein „Wohnen“ und „Daheimsein“.

Sich selbst auszuhalten bedeutet, sich selbst anzunehmen und mit dem ICH ins Reine zu kommen. Daher ist die Frage „Wo wohnst du“ wichtig, um mehr über mich selbst zu erfahren. Wo wohne ich eigentlich? Wie lebe ich mit mir selbst? Bei dieser Frage kommt auch unweigerlich Gott ins Spiel und natürlich die Erkundigung nach seiner Rolle in meinem Leben. Wo ich allein bin, daheim, da sind Äußerlichkeiten und Anpassung plötzlich obsolet, und es geht nur um mich und das ehrliche Schauen auf mich selbst – es darf durchaus kritisch sein. Oft spüren wir dann auch sehr deutlich, dass Konflikte in Beziehungen – in der Partnerschaft, am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Familie - essentiell mit mir selbst zu tun haben und nicht durch andere initiiert wurden. Wenn mir jemand die Frage stellt „Wo wohnst du?“ und ich darauf antworte „Komm und sieh!“, dann bedeutet das, dass ich aufgeräumt haben muss und so bereit dafür bin, von mir herzuzeigen.

Beziehung zuzulassen heißt immer, den anderen teilhaben zu lassen am eigenen Sein.

Wenn das nicht ehrlich und ungeschminkt ist, dann wird eine solche Begegnung nicht tragfähig, sondern oberflächlich sein und nicht dazu führen, dass sie mich und den anderen bereichert. Daheim zu sein hat mit einer Willkommenskultur zu tun, die für uns Christen nicht wegzudenken ist, wenn wir authentisch leben wollen. Daher ist es wichtig, daran täglich zu arbeiten, ein Zuhause zu haben, das herzeigbar ist, um am Ende nicht zu vereinsamen.

Ich wünsche Euch ein wohnliches Zuhausesein!

Herzlich, Euer P. Gerfried Sitar