Pfarre

Karnburg

Symposium zum Thema GEHEIMNIS DES WORTES

15. bis 19. Juli 2024 im Pfarrhof Stockenboi

um 8 Uhr Impuls zum Tagesthema, tagsüber freie Diskussion mit Wandern, See

20 Uhr täglich eine öffentliche Veranstaltung: Lesung von Schriftstellern, Diskussion

  • MO 15.7., 8 Uhr: Siegmund Kleinl: Wort. Word. World

Wort und Mensch

I

Eine Vorstellung statt einer Vorstellung

Das tust du dir an? Ich bin fast entzückt über die Alliteration dieses prosaischen Satzes, es überwiegt aber das Bedenken. Ich bin zu einem Literatur-Symposium in Kärnten zum Thema Das Geheimnis des Wortes eingeladen, das sich über vier Tage erstreckt und nun vor mir liegt wie ein Brachland ohne begehbaren Weg. Der Weg muss erst gespurt werden und ich soll damit beginnen, den Anfang machen. Leute werden kommen aus der Region. Ich weiß nicht, was sie erwarten. Sie wissen nicht, was sie erwartet. Dazwischen liegt unsicheres Terrain. Übersetzt: Gebiet – Assoziation: gebieterisch,

Gelände: ländlich, Boden: bodenständig, Baugelände: aufbauend, Grundstück – Assoziation: gründlich. Das alles schwingt bei dem Wort Terrain mit. Die Bestimmung gibt der Unsicherheit eine Stimme, die Stimme der Erzählung.

Vielleicht ist von Interesse, dass ich vor Jahrzehnten in Wien Germanistik und Theologie studiert habe. Vermutlich nur bedingt. Und dass ich aus dem Burgenland komme, muss aus literarischer Perspektive für Kärntner Ohren, die bekannte Namen und große Literatur aus ihrem Land gewohnt sind, sich anhören wie von weit her und noch nie vernommen. Und Staunen, dass es dort Literaten und Literatur gibt.

Als ich (1988) eine Dissertation über die Literatur des Burgenlandes schreiben wollte, fragte mich der Professor, der Gegenwartsliteratur als Schwerpunkt hatte: Worüber wollen sie da schreiben?

Aus der Sicht des gebirgigen Kärntens, das sich literarisch auf der Höhe seiner Berge wähnen kann, liegt das Burgenland in der Tiefebene der Literatur. Ich komme aus dem Dorf Schützen am Gebirge, fünf Kilometer von Eisenstadt entfernt und neun Kilometer vom Neusiedler See. Mit Gebirge ist die Hügelkette des Leitha Gebirges gemeint mit der höchsten Erhebung von 448 Metern. Der höchste Berg des Burgenlandes ist der Geschriebenstein mit schwindelerregenden 881 Metern. Geschriebenes über diesem Niveau ist demnach in Schwebe.

Von dort Literatur nach Kärnten zu bringen, ist kein leichtes Unterfangen.

Warum tust du dir das an? Und was tust du den Menschen hier an? Was mutest du ihnen zu?

Meine Sprache: Spricht sie die Leute an, oder spricht die Sprache mir ab, auf ihrer Höhe zu sein?

Was ist das Maß für Sprachhöhe? Die Berge Kärntens? Da kann ich nur hinaufschauen. Ich stelle mir vor, ich stehe oben und schaue hinab. Kärnten zu meinen Füßen. Meine Füße haben Kärntner Boden betreten und scheuen sich, weiterzugehen. Sie fragen: Wie weit können wir gehen? Es sind erst die ersten Schritte zurückgelegt und schon die Frage: Wie weit?

Von Haus aus gehe ich nicht weit, nie zu weit. Lesungen im Land, in Wien, in Szombathely, Bayreuth, Frankfurt. Je weiter entfernt von zuhause, umso größer die Anspannung. Ich bin also gespannt. Worauf? Wie ich auftrete? Ich bin kein Schauspieler, habe nie eine große Rolle gespielt, auch keine kleine. Ich bin ein Leser. Ich kann ein Spiel gut lesen, das war meine Stärke als Fußballer, auch ein Sprachspiel kann ich gut lesen. Wittgenstein ist mein Großonkel. Ich bin ein Schreiber: Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss ich schreiben. Gedichte, Prosa, Stücke. Die Stücke führen sich gut auf. Auch ich führ mich darin gut auf, aber nur am Rand. Ich gehe laufen, fast jeden Tag. Ich bin am Laufenden: schreibend, lesend.

Die Vorstellung, vor einem fremden Publikum zu lesen, erschreckt mich nicht. Bei Lesungen sitze ich häufiger vor Publikum als im Publikum.

Ich bin ein Hörer der Sprache. Sie spricht und ich schreibe auf, was sie mir sagt. Was sie mir sagt, erfahre ich im Dialog mit ihr. Sagt mir die Sprache zu viel, löse ich sie auf in einen Text ohne erkennbare Worte. Ich bin kein Grafiker, ich nenne mich Grapheiniker. Ich schreibe Bilder. Vor allem aber bin ich Literat und als solcher der Schrift im Wort.

Das Geheimnis des Wortes ist ein offenbares Geheimnis in Form einer geheimen Offenbarung. Davor habe ich Angst. Wer fürchtet sich nicht vor der Apokalypse?

Bleibt nur die Hoffnung, dass das Wort nicht enthüllt wird und dann bloß dasteht. Das Wort soll nie bloß dastehen. Ich tu mir das Wort an, um nicht bloß dazustehen, herumzustehen und nicht zu wissen, warum und wohin.

Wohin geht das Symposium?

II

Wort. Word. World.

Gedicht

Wort. Word. World.

Das Wort ist ein Ort und Utopie.

Es lässt Rot sehen, wenn es provoziert.

Das Wort ist auch das Tor zur Welt,

durch sich selbst und vermittelt in Word.

Word ist beinah eins mit World,

unterscheidet sich buchstäblich

nur durch einen Buchstaben.

Das Wort ist die Welt

Und es ist nicht die Welt.

Es ist autonom, hat seine eigenen Gesetze,

wie die Welt ihre eigenen Gesetze hat.

Wer zum Wort kommt, kommt zur Welt.

Wer zur Welt kommt, kommt zum Wort.

Das Wort, das nur für sich steht, ohne Bezug

zur Welt, steht ohne Welt nur für sich,

ist sinnlos wie der Starrsinn der hohlen Phrase.

Was ist mit dem Wort Sinn los?

Hat es eine Realität?

Der Realismus sagt ja,

der Nominalismus nein,

da es keine konkrete Wirklichkeit ist.

Sinn ist konkret.

Ein abstrakter Sinn wäre einer,

der absähe vom Sinn.

Alles Leben ist widersprüchlich.

Je sinnvoller, umso widersprüchlicher.

Leben ist kein binärer Vorgang,

kein Entweder – Oder.

Es ist das eine und das andere.

Das Bindewort und ist ein essentielles Wort.

Es verbindet und befreit durch Verbindlichkeit.

Verwandeln es Schreiber und Leser sich an,

kommt das Wort zu Wort

und zur Welt. Es kommt zu mir.

Durch das Wort komme ich zu mir

und durch mich kommt das Wort zu sich.

Es ist im Anfang. Und am Ende

hat wieder das Wort das Wort?

III

Die Sprache spricht

Theorie

Sein oder Nichtsein ist hier eine Frage der Sprache. Menschliche Sprache gehört so essentiell zum Wesen des Menschen, dass sie sein Wesen ist. Wesen kommt von sein: sein, war gewesen. Verbal gebraucht, ist es gleichbedeutend mit sein. Gewesen ist die Vergangenheitsform von sein oder das zweite Partizip, demnach eine infinite, eine unbegrenzte Form des Verbs.

Als solche ist sie an keine Person gebunden, gleichzeitig aber offen für die Verbindung mit jeder Person.

In Ich bin wird das Sein konkret. Als Seiender habe ich teil am Sein. Heideggers Philosophie ist in ihrem Wesen Sprachphilosophie. In seiner Schrift Unterwegs zur Sprache schreibt er:

Die Sprache erörtern heißt nicht so sehr sie, sondern uns an den Ort ihres Wesens bringen: Versammeln in das Ereignis. (1)

Die Sprache ist demnach ein Ereignis, in dem wir uns versammeln, wo wir gesammelt und eben nicht zerstreut sind.

In weiterer Folge stellt er die Frage: Wie west die Sprache als Sprache? Wir antworten: Die Sprache spricht. (2)

Die Sprache sagt viel über den Sprechenden. Wenn sich jemand durch die Sprache verrät, dann ist ihm offensichtlich nicht bewusst, was er sagt, weil eben nicht er, sondern die Sprache spricht, oft in der verbrauchten Leerformel der Phrase. Die so sprechen, meinen dann nicht, was sie sagen, unbewusst aber doch. Eine solche Phrase ist zum Beispiel: Bleib, wie du bist! Das heißt, verändere dich nicht, wandle dich nicht! Eigentlich ein Todeswunsch. So will diese Phrase niemand verstanden wissen und doch enthält sie eine Wahrheit: Jemand soll so bleiben wie das Bild, das man sich von ihm gemacht hat. So muss man sich nicht mehr mit ihm auseinandersetzen. Bleibt hingegen jemand im Werden, sieht man sich herausgefordert, sich immer aufs Neue mit ihm zu beschäftigen, was oft Unmut erregt: Das hätte ich von dir nicht gedacht. (Du bist nicht so, wie das Bild, das ich von dir habe).

Die andere Form, die Sprache sprechen zu lassen, ist, darauf zu hören, was sie mir sagt und was sie bedeutet, worauf sie hindeutet. Indem die Sprache das Leben deutet, gibt sie ihm Bedeutung.

Sprache ist dann kein gedankenloses, nichtssagendes Sprechen in Phrasen, Worthülsen, Klischees und Leerformeln ohne Leben, Tot-Sprache, vielmehr lebendige Kommunikation. Im Dialog mit der Sprache erfahre ich mich und die Welt.

Am ausdrucksstärksten spricht die Sprache in der Literatur. In ihr teilt sie sich selbst mit und ist zugleich Mitteilung des Literaten. Indem er sich ganz auf die Sprache einlässt, kommt er ganz zur Sprache. Und mit ihm die Welt.

In ihrer Erzählung Kassandra reflektiert Christa Wolf über die Sprache:

Aber ist es nicht gerade das Wort, das die Herrschaft über unser Inneres angetreten hat? Macht sein Fehlen nicht, daß ich mir verlorengehe? Wie schnell wird Sprachlosigkeit zu Ich-losigkeit? (3)

Der Literat lässt zwar die Sprache sprechen, aber in der Literatur, denke ich, herrscht sie nicht, sie ist nicht Herrschaftssprache. Mit der poetischen Sprache ist es wie mit dem Geist: Geist herrscht nicht.

Sprache befreit durch ihre Autonomie von jeder Herrschaft. Die Eigengesetzlichkeit der Sprache sieht sich keinen äußeren Gesetzen und Normen unterworfen. Autonome Sprache unterwirft auch nicht, weder Schreibende noch Lesende.

Es gibt freilich die Herrschaftssprache. In ihr wird Sprache instrumentalisiert, verzweckt, um Menschen einer Ideologie zu unterwerfen. Meines Erachtens ist die Flut von Anglizismen sprachlicher Ausdruck für die Unterwerfung unter das Joch neoliberaler Herrschaftsideologie.

Während in vergangenen Zeiten Eroberer die Eroberten gezwungen haben, ihre Sprache zu übernehmen und die Unterjochten im Sprechen der eigenen Sprache Widerstand gegen die Fremdherrschaft leisteten, unterwerfen sich die meisten Leute heute freiwillig und widerstandslos der Weltmachtsprache, weil die Zwänge durch die digitale Technik viel sublimer wirken und deshalb auch nicht durchschaut werden.

Wenn Christa Wolf schreibt, das Fehlen des Wortes führe dazu, dass ein Ich sich verlorengeht, dann kann damit nur das Fehlen des herrschaftsfreien, poetischen Worts gemeint sein.

Indessen hat sich in der gegenwärtigen Welt und Gesellschaft, nicht zuletzt durch den exzessiven Gebrauch digitaler Medien und den damit verbundenen Verlust der Lesekultur eine globale Sprachlosigkeit verbreitet, durch die der Einzelne sein individuelles Menschsein verliert oder schon verloren hat. Womöglich liegt darin auch der Grund für den Egozentrismus. Wo kein Ich mehr ist, muss man es ständig medial inszenieren. Siehe die Selfie-Manie!

Der Dichter, sagt Joseph Brodsky, Literaturnobelpreisträger 1987, wiederholt in seiner Entwicklung die Entwicklung der Sprache, er beginnt mit einer Art von kindlichem Gestammel, gelangt dann zur Reife, zu immer größerer Reife und schließlich zur Sprache selbst. (4)

Wenn Brodsky die Sprache einerseits – wie Benjamin, Mandelstam, Celan – in die Sphäre des Sakralen hebt, andererseits ihr geschichtliches Werden im Blick hat, werden sprachtheologische Theorien mit sprachwissenschaftlichen Befunden verbunden.

Während im alltäglichen Sprachgebrauch, der auch in die Literatur einfließt, die Sprache in erster Linie der Information und Kommunikation dient und für verschiedene Zwecke instrumentalisiert werden kann, wird sie in der Literatur ihrer Dienstfunktion enthoben. Manche Autoren gehen sogar so weit, sich als Diener der Sprache zu verstehen, als ihr Sprachrohr und Instrument: Die Sprache spricht, der Literat hört und schreibt auf, was sie ihm diktiert. (Brodsky, Leiris u.a.)

Wenn sich in bestimmten Epochen der Geschichte gezeigt hat und sich gegenwärtig wieder zeigt, dass Missbrauch und Zerfall der Sprache Hand in Hand gehen mit dem geistigen und ethischen Zerfall einer Gesellschaft, könnte eine die Sprache ernstnehmende, das schöpferische Wort zur Wirkung bringende Literatur dem Geist wieder Raum schaffen und einer Ethik im Sinn eines menschlichen Zusammenlebens neue Impulse geben.

IV

Wie kommt das Wort zu mir.

Ahnsätze

Ehe ich selbst lesen konnte, sind mir Geschichten vorgelesen worden: Märchen, Sagen, biblische Erzählungen. In der Volksschule (4.Klasse) las uns die Frau Lehrer in der letzten Stunde am Samstag immer ein Kapitel aus dem Parzivalvor, nacherzählt von Auguste Lechner. Es war die erste Begegnung mit dem sagenhaften Stoff und der Gestalt eines zuerst scheiternden, zuletzt aber doch erlösten und erlösenden Helden. In der Oberstufe des Gymnasiums erfuhr ich Genaueres über den Parzival des Wolfram von Eschenbach im Deutschunterricht. Beim Germanistikstudium auf der Universität las ich den Parzival im mittelhochdeutschen Original und übersetzte große Teile davon ins Neuhochdeutsche. Als Deutschprofessor am Gymnasium und an der Pädagogischen Akademie las ich Auszüge aus dem Epos mit meinen Schülern und Studenten. Schließlich wurde es zum Referenztext für meinen Roman tot. lieben.

Das Wort kommt zu mir im Hören, Lesen und Übersetzen, und da zuerst durch den Klang. In der Sprachwissenschaft gilt als gesichert, dass sich die menschliche Sprache aus Lauten entwickelt hat, die durch Differenzierung, durch Stimmhöhe und – tiefe zu unterschiedlichen Bedeutungen führten.

So verhält es sich auch heute noch in modernen Sprachen, wie etwa im Chinesischen.

Die Bedeutung eines Wortes hängt nach dem Sprachphilosophen Wittgenstein von dessen Gebrauch im Sprachspiel ab. Das spielerische Moment ist für die literarische Sprache wesentlich. Damit ist nicht Beliebigkeit oder willkürlicher Umgang mit Sprache gemeint, vielmehr das, was Schiller in seinen ästhetischen Schriften unter Spiel versteht: Freiheit, durch die der Mensch ganz Mensch sein kann.

Literatur ist so gesehen ein Frei-Spiel im Frei-Stil.

Im Sprachspiel kommt das Wort zu mir. Im Wortspiel spricht die Sprache selbst. So nehmen wir Aufenthalt im Sprechen der Sprache, nicht im eigenen Sprechen. (Siehe Heidegger)

Lasse ich die Sprache sprechen, laufe ich nicht Gefahr, sie für meine Weltanschauung und Interessen zu instrumentalisieren. Es geht für mich als Literat nicht so sehr darum, für mein Wissen und meine Erfahrungen eine entsprechende Sprache zu finden, als durch das Hören auf das Wort neue Erfahrungen zu machen und mir Spracherfahrungen persönlich anzuverwandeln.

Durch Erweiterung der Sprache im Wort- und Sprachspiel geschieht Bewusstseinserweiterung. Im literarischen Schreiben kommt das Wort zu mir und ich durch das Wort zur Welt: Wort, word, world.

Voraussetzung dafür, dass das Wort mich erreicht, ist eine sensible Wahrnehmung, akustisch durch Hören, optisch durch Lesen. Ich höre oder lese ein Wort und es löst eine Fülle von Assoziationen aus.

Nehmen wir als Beispiel gleich das Wort wahrnehmen. Es hat einen bestimmten Rhythmus: Die Betonung liegt auf der ersten Silbe, der zwei unbetonte folgen: ein Daktylus. Klanglich ist das Wort wahrnehmen auf die hellen Vokale a und e gestimmt. Was man nicht hört, ist das sogenannte stumme h. Auf semantischer Ebene ist das h von entscheidender Bedeutung: war ohne h ist das Präteritum von sein: sein, war, gewesen.

Wahr mit h öffnet ein Feld von Wörtern mit der Bedeutung Wahrheit. Wahrheit heißt auf Altgriechisch Aletheia und wörtlich übersetzt Nichtvergessen.

Lethe ist der Fluss des Vergessens, das a davor bedeutet das Gegenteil: nicht vergessen, also erinnern. Wahrheit ist demnach keine Momentaufnahme, kein bloßes Faktum, kein Gemachtes, vielmehr ein Datum, ein Gegebenes, das sich über einen großen Zeitraum im Blick auf ein Ganzes erschließt. Das Ganze ist so gesehen das Wahre, nicht wie Adorno im letzten Satz des Abschnitts 29 seiner Minima Moralia moniert, das Unwahre. (5)

In einem Gedicht habe ich Gebeine durch das stumme h zu Gehbeinen gemacht, Totes in Lebendiges verwandelt.

Fügt man dem Rum ein h hinzu, wird es zu Ruhm. In einem Gasthaus im Burgenland (Oggau) habe ich eine mir bis dahin unbekannte Variante, auf eine Tafel mit weißer Kreide geschrieben, entdeckt: Rhum mit Pflaumen, das h gleich nach dem R. Vielleicht will man damit den Rum als geistiges Getränk anbieten, das, wenn man es trinkt, Ruhm bringt.

Gesellt man dem Wort Ästhetik neben dem einen h ein zweites nach dem t hinzu, bekommt es eine neue Qualität. Ästhethik bildet dann mit Ethik eine Einheit. Das könnte einen Diskurs anstoßen, dessen Ende nicht absehbar ist.

V

So kommt das Wort zu mir. Ein Gedicht

Der Evangelist

Laufend durchs Land, schafft die Erde neu die Rede

vom pfingstlichen Wald, den grünenden, blühenden

Fluren.

Es äsen, es äugen die Rehe und fliehen vor mir,

vor dem Löwen, der frisst das Wort aus der Hand

des Evangelisten, das eu angelion, die dienenden

Engel. Wer, wenn ich schriee, hörte mich hier bei

Schützen, das Dorf, die Menschen, die Tiere.

Angst läuft mit, langsamer werden die Schritte, je näher

ich komme dem ruhenden Raubtier zu Füßen des Markus.

Geh mit mir, Markus! Und es ist, als ob die Gestalt aus Stein

sich bewegte auf dem Marterl am Kreuzweg,

wo sich die Spuren der Geher im Staub überschneiden.

Die Säule ist schmal und hoch, ein Schritt nur und

der Evangelist stürzt mit der frohen Botschaft herab.

Er neigt den Kopf, als wär er geneigt, mir zu folgen,

aus dem Feld in die Welt zu bringen, was ihr fehlt.

Ich gehe im Geist mit dir, sagt er schweigend,

das Tier bleibt hier bei mir, damit jeder weiß,

wer ich bin und warum ich hier stehe:

Schützen das Dorf, die Menschen und Rehe auf freiem

Feld mit dem Wort.

Und gibt es mir mit auf den Weg, damit laufend

der Geist mir wird, der sagt: Ich bin das Wort,

das du in deiner Sprache schreiben wirst.

Wie kommt das Wort zu mir und wie komme ich zum Wort?

Das Gedicht gibt die Antwort: Laufend.

Manchmal sitze ich in meiner Bibliothek am Schreibtisch, den Bleistift in der Hand (die Handschrift ist mir wichtig), und es kommt nichts. Der Kopf ist voller Einfälle, es ist wie das Gesumme der Bienen in der Krone des Lindenbaums im Garten zur Zeit der Blüte, aber aus dem Gesumme löst sich nicht das Wort, einen Anfang zu setzen. Ich werde unruhig, gehe in der Bibliothek umher, setze mich wieder an den Schreibtisch und breche schließlich auf.

Das Gehen geht über in ein Laufen. In der Bewegung verändert sich die Perspektive, wirken immer mehr Dinge auf mich ein: da ist die Umgebung des Dorfes, in dem ich lebe, Schützen am Gebirge im Burgenland in der Nähe der Landeshauptstadt Eisenstadt, nicht weit entfernt vom Neusiedler See und der Grenze zu Ungarn. Eine Landschaft, die ich kenne, und doch schafft es das Land um das Dorf herum immer wieder, sich mir anders zu zeigen, in einem anderen Licht: einmal ist es sonnig, dann wieder trüb, an manchen Tagen ist alles nebelig und grau, an anderen grünt und sprosst es.

Das Summen der Ideen im Kopf macht der Realität Platz, die durch das Wort erst zur bewusst wahrgenommenen Wirklichkeit wird. Das Wort schafft, setzt die Wirklichkeit.

Das Wort Landschaft wird schöpferisch, indem die zweite Silbe -schaft transformiert wird in das Verb schaffen. So schafft die Landschaft die Erde neu, wie es im Gedicht heißt.

Erde wird anagrammatisch zu Rede, die vom pfingstlichen Wald und den grünenden, blühenden Fluren kündet, in dem der Anfangs-Vers von Goethes Epos Reineke Fuchs anklingt:

Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen; es grünten und blühten

Feld und Wald… (6)

Ein sechsfüßiger Daktylus, ein Hexameter, wie er für die epische Versdichtung charakteristisch ist.

So kommt das Wort zu mir als poetisches Wort. Initiiert von dem Marterl auf dem Weg, das, auf einer Säule stehend, den Evangelisten Markus darstellt, kommt das Wort als biblisches zu mir.

Am Anfang des Evangeliums wird von der Versuchung Jesu in der Wüste erzählt. Der Löwe gilt als Wüstentier, deshalb ist er das Bildsymbol für das Markus-Evangelium. In Mk 1, 12-13 heißt es:

Er (Jesus) lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.

Beim Wort Engel assoziiere ich im Gedicht den Beginn der ersten Duineser Elegie:

Wer, wenn ich schrie, hörte mich aus der Engel Ordnungen …

Weit außerhalb des Dorfes Schützen kann ich laut schreien, es wird mich niemand hören.

Hört mich überhaupt jemand? Liest wer, was ich schreibe?

Nicht wissend, wohin der Lauf geht, läuft Angst mit. Wovor? Vor dem ruhenden Löwen aus Stein zu Füßen des Evangelisten Markus? Nein. Es ist die Angst vor der Versteinerung des Lebendigen, vor dem nichtssagenden Klischee, der inhaltlosen Worthülse, der leeren Phrase.

Markus aus Stein mit dem aufgeschlagenen Buch seines Evangeliums aus Stein, das Wort in Stein geschrieben, wie die zehn Gebote, statt ins Herz, wie es der Prophet Jeremia verkündet, macht mir Angst.

Zu denken gibt auch, dass die Hälfte aller Menschen versklavt ist: Das Du sollst der Gebote wird in der Gegenwart ersetzt durch ein hartes, gnadenloses Du musst. Du musst immer verfügbar sein, rund um die Uhr. Das ist das Los des Sklaven. Milliarden sind weltweit an die elektronische Fessel des Handys gekettet.

Das Wort Angst kommt laufend zu mir, ständig, immerfort. Und wie das Wort Angst zu mir kommt, mich in der Bewegung hemmt, komme ich auf Kierkegaards Begriff Angst. (7)

Kierkegaard schreibt in seinem gleichnamigen Buch, dass man lernen müsse, Angst zu haben. Je tiefer die Angst, umso größer sei der Mensch. Für den Philosophen ist der Angstlose der Geistlose, weil er nicht weiß, was alles möglich ist. Das Wissen um das Mögliche öffnet die Endlichkeit auf das Unendliche hin.

Da steht also auf dem Feldweg, den ich entlanglaufe, an einer Wegkreuzung die steinerne Gestalt des Evangelisten Markus und jedes Mal, wenn ich an dem Marterl vorüberkomme, sage ich zu der Steinfigur: Geh mit mir!

Und der Evangelist antwortet schweigend (nicht stumm): Ich geh im Geist mit dir.

Und gibt mir das Wort mit auf den Weg. Wieder eine Möglichkeit, wie das Wort zu mir kommt:

Laufend, indem ich laufend die Bibel lese und mir das Wort anverwandle im Schreiben.

So sind zum Markus-Evangelium über 100 Gedichte entstanden, eingeleitet mit dem Gedicht

Der Evangelist.

VI

Im Dialog mit der Sprache

Lesen und schreiben

Es gibt im Hinblick auf die Sprache zwei gegensätzliche Zugänge zum literarischen Schreiben: Die einen sehen die Sprache als Instrument. Es dient ihnen, zum Ausdruck zu bringen, was sie denken, sagen und dichten.

Die anderen sehen sich als Instrument der Sprache. Sie stellen sich ganz in ihren Dienst und schreiben nach ihrem Diktat.

Für mich ist die Sprache weder Instrument noch absolute Herrscherin, der sich der (die)

Schreibende in Selbstaufgabe unterwirft.

Schreiben ist für mich ein dialogischer Prozess zwischen der Sprache und mir als Autor oder Leser.

Ich lese, höre auf die Sprache, die ein Autor, seinerseits im Dialog mit ihr, in eine entsprechende Sprachform und Formensprache gebracht hat, und antworte.

Ein Beispiel: Ich lese Peter Handkes Journal Das Gewicht der Welt. (8)

Lese: Was man Weltgeschichte nennt, sollte möglichst draußen bleiben …

Schreibe: Ist die Weltgeschichte nicht in mir? In kleinen Mengen, Gott sei Dank, in großen wäre sie tödlich.

Lese: Ohne Poesie merkst du das Sterben der Menschen um dich herum durch die Jahre nicht, ihre Agonie, weil es in dir selbst tot ist

Schreibe: Lesen ist eine Form höchster Energie gegen den Tod. Ich lese mich ein in das poetische Wort und siehe: Es blüht mir die blaue Blume.

Lese: Die vergessene, anonyme Sprache der Menschen wiederfinden und sie wird erstrahlen in Selbstverständlichkeit (meine Arbeit)

Schreibe: Die Sprache der freien Verbindlichkeit, der verbindlichen Freiheit, der Menschlichkeit. Schreibarbeit als Liebesakt, ein Handeln der Liebe.

Lese: Vorstellung, dass Leute, die nicht lesen, gar nicht wissen, was sie tun; daß sie auch gar nicht erreichbar sind

Schreibe: Leute, die nicht lesen, sind keine Eloitheroi, keine Freien. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die leben oder auch nur überleben.

Lese: Meine Angstvitalität

Schreibe: Meine Angst schafft Unruhe. Aus der Unruhe kann ein ganzes Buch werden, wie Pessoa gezeigt hat.

Lese: Friede. Ich bin unter Menschen

Schreibe: Menschen unter Menschen bei den Olympischen Spielen: Heiliger Friede?

Lese: Aufpassen, keine Lieblingswendungen zu kriegen

Schreibe: Ja. Auf der Vorhut sein vor der Phrase, sie ausfindig machen, noch ehe sie gefährlich werden kann.

Lese: Literatur: Die noch nicht vom Sinn besetzten Orte ausfindig machen

Schreibe: Das Unsagbare denken, das Undenkbare sagen.

Im Lesen komme ich zum Wort. Und im Schreiben kommt das Wort zu mir.

Siegmund Kleinl, Juli 2024

Literatur

(1) Heidegger, Martin: Unterwegs zur Sprache. Denkwege. Stuttgart: Klett-Cotta 2022, S.10

(2) Ebda, S.11/12

(3) Wolf, Christa zitiert in: Fix, Ulla u. Nalewski, Horst: Sprich, wenn du kannst. Leipzig und Weimar. Kiepenheuer 1989, S. 25

(4) Brodsky, Joseph zitiert in: Ingold, Felix Philipp: Der Autor am Werk. München/Wien: Hanser 1992, S. 270

(5) Adorno, Theodor W. : Minima Moralia. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1969, S. 57

Das Ganze ist das Unwahre

(6) Goethe, Johann Wolfgang: Reineke Fuchs. In: Werke in vier Bänden. Bd.3. Salzburg: Das Bergland-Buch 1981, S. 262

(7) Kierkegaard, Sören: Der Begriff Angst. Die Krankheit zum Tode. Wiesbaden: marixverlag 2011

(8) Handke, Peter: Das Gewicht der Welt. Ein Journal. Salzburg: Residenz 1977

  • MO 15.7., 20 Uhr: Siegmund Kleinl:

"PropheZeit" und "Frei gehen"

alle schichten des volkes richten es sich.

was für geschichten von pflichten, die sie

vernichten, denn idioten sind sie, idioten

der pflicht. kein licht auf den stirnen, kein

funke in hirnen, kein funke geist, und heilig

ist ihnen nichts. raubtiere, reißen sie alles

lebendige, reißen alles an sich. beugen recht

und gesetz. sie biegen gesetze zurecht nach

ihrem belieben. sie liegen im trend. verrennen

im schwachsinn von phrasen sich, die jedes

denken zerfressen: du sollst an einen markt

glauben. an einen, der mangel bewusst

produziert. konzentrationslager des hungers

errichtet in aller herren länder. kosmokraten

sind aller länder herren. sie ändern nichts an

einer ordnung, die sich treffend reimt auf das

unwort mordung. das unwort geistert durch

alle schichten, bis auf die knochen gerüstet.

es sichelt, es senst, es sendet verseuchte

e-mails. was sie senden fällt auf sie selbst

zurück, es zersetzt, worauf sie ihr leben

gesetzt bis zuletzt: zu biegen und brechen

alles, was recht ist, tödliche pflichten verrichten,

sichs richten. so richten sie sich.

Ez 22, 23-31

  • DI 16.7., 8 Uhr: Peter Deibler: Mut und Wahrheit in der Predigt

Mutiges Wort in der Predigt. Zum Begriff der Parrhesia

Lieber Pep, in deinem Vorwort zu meiner Predigtsammlung (Adam tanzt) hast du von Dialogpredigten erzählt, auf die du schließlich gekommen bist in deinem Auslandsjahr in Ecuador, dialogisch anstatt akademisch, fragen anstatt belehren, der von dir gelobte neue Grazer Pastoraltheologie hat es Kontakt genannt, Zugang zu den Menschen bekommen als pastorales Scharnier, ins Gespräch Kommen, relevant Werden, natürlich wollen wir gehört werden, wollen wir beachtet werden, ich höre dich ja nicht allzuoft predigen, bei der Firmung hast du gepredigt, hast in der gefüllten Domkirche gesprochen von diesem einen Jugendlichen, der mit dir zur Seite ging und dich fragte, gibt es diesen Heiligen Geist wirklich, und da war es augenblicklich still im Dom, die Jugendlichen hielten die Luft an, ihre Begleiter starrten nach vorn, du lachtest über die ungenierte Direktheit dieses jungen Menschen, seine offene Frage öffnete auch hier den Raum, offener Raum, offener Kirchenraum, offener Weltenraum, du hattest sie, ihre Augen, ihre Ohren, ihre Herzen, da hinein könnte die Antwort ergehen, wie der Geist kommt, wie er zu ihnen kommt, wie er von dir zu ihnen kommt, von dir und mir zu ihnen, denn ich stand damals neben dir, aber nach zehn Minuten angespannter Offenheit, als sich die Decke bereits wieder herunterließ, sagtest du, achja die Paten, und dann folgte ein Vortrag über die Aufgaben der Paten, und da war die Aufmerksamkeit und die Luft aus und dahin, und schließlich trabten die Kandidaten, geschoben von ihren Paten, in Reihen nach vorn und stiegen die Stufen hinauf und am Altar vorbei und empfingen das Procedere und kicherten mich zuweilen an oder blickten ermattet und ließen sich bezeichnen und trollten sich, der Kontakt war da gewesen, vielleicht genügt das, einmal Kontakt haben, der von dir geschätzte neue Grazer Pastoraltheologie nennt Kontakt und Präsenz die beiden Scharniere in der pastoralen Arbeit, erst dann kommen Programme und Aktionen, die ganze Betriebsamkeit nützt nichts ohne Kontakt zu den Menschen, aber lieber Pep, verwechsle das nicht mit Rhetorik, die Wirkung deiner Predigt war gerade die Abweichung von der Rhetorik, es war das Beiseitetreten, es war das wahre Wort jenseits der Show, das hat sie getroffen, das werden sie vielleicht mit heimnehmen, war das eine Parrhesia, in der Priesterversammlung hast du vom Machtwort gesprochen, es würde oft von dir ein Machtwort verlangt, sprich ein Machtwort, Machtwörter sind sinnlos, Machtwörter helfen nicht, schaut auf den Papst, Machtwörter provozieren Gegenpositionen, Machtwörtern wird widersprochen, die Zeit der Machtwörter ist vorbei, die Widersprecher haben Konjunktur, der Widerspruch hat einen langen Atem, und es kam der Widerspruch gegen deinen Vorgänger zur Sprache, dieser historische Widerspruch bekam heute Widerspruch, da und dort erwachte eine Gegenrede, dem historischen Widerspruch ging die Luft aus, der Widerspruch verstummte, das war die Stunde der Parrhesia, nach zwei Jahren Schweigen nun die offene Rede, drei Jahre nach dem Steinwurf, noch immer nicht bereinigt, noch immer offene Anschuldigungen, haltlos alle zusammen, angeschwärzte Kirchenleitung, dreckbeschmierte Kirchenleitung, in stolzer Erwartung der Entschuldigungsbitte des Gegners, im Schlamm versunken, im Schlamm erstarrt, die Parrhesia hat das klargemacht, uns allen klargemacht, wenn auch noch nicht bereinigt, vielleicht hat der Kardinal Parrhesia gesprochen in der Seminarkirche vor der Bischofsversammlung, er sprach über Schuld und Vergebung vor der halben Kirche Kärntens, er sprach von Schuld und Leid Israels seit Jahrtausenden, so haben sie Gott erkannt, an der eigenen Schuld und seiner Vergebung, es knisterte in der Seminarkirche, die Bischofsversammlung hielt den Atem an, die Bischofsversammlung blickte zu Boden, ein parrhesiastisches Spiel, der beschuldigte Bischof fehlte, die Beschuldiger fehlten ebenso, auch ich fehlte, ich hatte Ministrantenstunde in der Nachbarpfarre, wo ich arbeite, ich sah die Kardinalspredigt im Stream und hörte das Schweigen der Bischofsversammlung am Laptop, vielleicht eine Parrhesia, das Wagnis des Verzeihens, der Mut, sich lächerlich zu machen, das Risiko, ausgenützt zu werden, die Vergebung über die Gerechtigkeit zu stellen, und schließlich, das ist mir am ehesten Parrhesia, schloss er mit der beinahe schnippischen Wendung: beweisen kann ichs nicht, richtig, denn es erfordert Glauben, es erfordert Gottvertrauen, Demut wäre hier nötig, Demut ist ein größeres Wissen, ein größeres Wissen über die Situation hinaus, Demut ist die Übersicht über die Sackgassen, die eigene und die der anderen, der Mut, sich aus dem Loch herauszutrauen trotz der Katze, Demut ist der Schöpferblick übers Gelände, während man noch im Loch sitzt, ich selbst, lieber Pep, wurde durch solches Wort auf meinen Weg gebracht, ein Student steckte mir Biologiestudenten Kierkegaard zu, mein erstes theologisches Buch, Einübung im Christentum, eine Meditation, eine Polemik, eine Widerrede gegen erstarrtes, glaubensentleertes Christentum, das sich selbst nur mehr irgendwie mitmacht, so würde Robert Musil es nennen, eine Kirchenshow, so nenne ich es heute, Kierkegaard, der Streiter, vom Gottmenschen schreibt er, an dem man sich ärgern kann, an dem sich das Bestehende ärgert, sein Ärger am Gottmenschen zeigt seinen Abstand zu ihm, die Vergöttlichung des Bestehenden ist die Allverweltlichung, schreibt er, von der Verallgemeinerung des Menschen schreibt er, damit sie das Bestehende verkörpern, aber Gott will es nicht, er braucht den gerade entgegengesetzten Kriegsplan, er braucht den Einzelnen, das Bestehende aufzustöbern aus seiner Selbstgefälligkeit, so Kierkegaard, so auch ich, ein Einzelner zu werden war ich nun auf dem Weg und steuerte auf eine Entscheidung zu, als Einzelner mit Christus gleichzeitig zu werden, Menschen als Einzelne in die Gleichzeitigkeit zu holen, und bekam von Kierkegaard das Bild einer Predigt mit, das Zerrbild einer schöngeistigen Predigt, die das Opfer Abrahams verharmlost und verkleinert, die Lebenshingabe des Gottmenschen vernünftig durchdekliniert und die Auferstehung als eine Art Belohnung für ein braves, angepasstes Leben darstellt und an das Bestehende koppelt, eine richtig heidnische Predigt also, die geradewegs das Christentum abschafft, so Kierkegaard, und macht es an den Herrn spekulativen Theologieprofessoren und Pastoren fest, die so ergreifend zu predigen verstehen, dass den Christen die Tränen kommen und der Klingelbeutel voll wird und der Hörer zufrieden ins Bestehende zurücksinkt und den Prediger für einen großen Mann hält, nimm die Möglichkeit des Ärgernisses weg, so ist das Christentum abgeschafft, ruft Kierkegaard der bürgerlich gewordenen protestantischen Kirche des 19. Jahrhunderts zu, die ihn bezeichnenderweise heute gar nicht mehr kennen will, und der bürgerlich gewordenen katholischen Kirche des 20. und 21. Jahrhunderts, solche Predigt meide, solcher Predigt misstraue, solchen Wohlfühlveranstaltungen, solchen Weichwaschungen, solchen Behübschungen und Verniedlichungen, solcher Phrasendrescherei, solcher Vergöttlichung des Bestehenden, wo bleibt die Gegenrede, wo bleibt die Kritik, Kierkegaard ist hellsichtiger Kritiker, ergreifend unzufrieden mit dem Bestehenden und mit seiner Kirche, Parrhesiast Kierkegaard, die tiefgründigste und weitsichtigste Predigt aber, die ich kenne, ist die Predigt 2 des Meister Eckhart, er predigt zu Lukas 10,38, Jesus kommt ins Dorf und wird von einer Frau gastlich aufgenommen, die Frau sei bilderlos, sagt er, ohne Bilder im Geist, sonst hätte sie ihn nicht gastlich aufnehmen können, frei von Erwartungen und Vorstellungen, frei von den Eigenschaften der Bilder, âne eigenschaft zu sein, das war Robert Musils Schreib- und Lebensprogramm, frei davon, nach jemandes Bild zu werden und frei, ihn nach einem Bild zu sehen, nach ihrem eigenen Bild, frei von der Anhänglichkeit an Bilder, sodass sie Gott aufnehmen kann, ihre Freiheit ist die Voraussetzung ihrer Gastfreundschaft, ihre Unabhängigkeit vom Bestehenden, so frei, wie ich war, da ich nicht war, so die erste Freiheit, sodann Jungfrau, frei und bereit zur Vereinigung mit dem Herrn, und schließlich, so Eckhart, Frau und Jungfrau zugleich, sodass der Herr empfangen wird und aus der Gemeinschaft mit ihm eine Frucht hervorgeht, ein fruchtbares Leben also, das Gott empfangen hat und sodann dessen Werke wirkt, eine Gottesgleichzeitigkeit, ein ewiges Nun, eine Gottesgeburt aus der Seele, das Dorf, in das Jesus kam, ist die Seele, wo er einkehrt und darin wirkt, so Eckharts Parrhesia, keine Kritik darin?, kein Gegensatz?, kein Widerspruch?, doch, die Eigenschaftslosigkeit, die Unabhängigkeit von den Erwartungen der Menschen, die Abgeschiedenheit, das Weltfremde, die Weltdistanz, der quasi vorgeburtliche Zustand, so frei, wie ich war, als ich noch nicht war, eine radikale Parrhesia, die den Meister auch beinahe an die Inquisition ausgeliefert hätte, seine unerhört freie Rede von der Gottesgeburt in der Seele, und von der Eigenschaftslosigkeit Gottes selbst, der so weit jenseits des Begriffs ist, dass sich nicht einmal über sein Sein reden lässt, vom nichtseienden Gott zu reden als wahre Gottesrede brachte den Meister an die Inquisition, die er aber überstanden hat, eine mutige Parrhesia, die sich hinauswagt in die äußerste Zone des Wortes auf eigenes Risiko, vielleicht der radikalste Parrhesiast, das Urbild christlicher Parrhesia wird aber die Pfingstpredigt des Petrus sein, des Fischers, den unterm Kreuz der Mut verlassen hat und der nicht mehr mit Jesus in Verbindung gebracht werden wollte, gerade er schuf, vom Geist erleuchtet - seht doch seine Wendung vom Simon zum Petrus, so geht das existenzielle Spiel der Parrhesia - eine Verbindung vom David-König zum Christus, vom Psalmdichter David zum prophetisch verheißenen Auferstandenen, aber das Wort Parrhesia wird gebraucht, wenn Petrus vom Tod des David spricht (Apostelgeschichte 2, 29), der König ruht im Grab, doch Christus nicht, das wird die Parrhesia des Petrus genannt, Petrus, der freimütige Redner, der Wahrsprecher, aber die noch schärfere Parrhesia spricht Petrus zu Beginn dieser Predigt, wenn er den Juden Jerusalems ins Gesicht sagt, sie hätten den von Gott Beglaubigten ans Kreuz geschlagen, Gottesmord wirft er ihnen vor!, das schlimmste Verbrechen, die schlimmste denkbare Tat, so Petrus, der allein vor den Juden Jerusalems auf der Gasse steht, wieviele ähnliche Situationen führten zur Steinigung, z.B. des Stefanus, des Jakobus, beinahe des Jesus, und Petrus, der Ängstliche, steht schutzlos vor den Mördern des Gottessohnes, des Stephanus und vieler Propheten, und er sagt ihnen genau dies, Mörder seid ihr, doch sie steinigen ihn nicht, sind vielleicht überrumpelt, sind vielleicht von der Argumentation benommen, die ja bei ihren Propheten begonnen hat, bei ihren heiligen Texten, es ist aber diese doppelte Parrhesia des Petrus keine Anklage, er nennt ihre Schuld, aber er nennt ihre Schuld nicht auswegslos, er nagelt sie nicht an ihrer Schuld fest, er spricht keine Schuldzuschreibung, das ist bemerkenswert, sondern die Schuldfeststellung des Petrus an den Juden ist eine pastorale Predigt, er sagt ihnen nämlich, wie sie gerettet werden können, ihre Schuld ist nicht das Ende, so wie der Tod Jesu nicht das Ende ist, sie können gerettet werden, wenn sie sich bekehren, nebenbei relativiert Petrus die Schuldfeststellung, denn er nennt den ganzen Vorgang Gottes Plan, somit haben die Juden aus Unwissenheit gehandelt, sie haben Böses getan, aber aus Unverständnis, sie haben Gott ermordet, aber es gehört zu Gottes Plan, und in dieser pastoralen Wende der Predigt erblicke ich die dritte Parrhesia, obwohl das Wort nur einmal kommt im griechischen Text, eine Parrhesia, aber in drei Richtungen, in der freimütigen Verbindung von David und den Psalmen zu Jesus, das ist der homiletische Schriftbezug und die erste Parrhesia, in der mutigen und schutzlosen Rede vor den bis dahin feindseligen Juden, das ist das parhesiastische Spiel zwischen dem Wahrsager und den Hörern, sowie in dem Ausblick auf die Vergebung der zuvor erklärten monströsen Schuld, die pastorale Parrhesia, wenn ich Petrus, der das Maß christlicher Predigt gibt bis zum heutigen Papst, der ja übrigens einen weiteren christlichen Parrhesiasten im Namen trägt, als den größten Parrhesiasten darstelle, so übergehe ich keineswegs Jesus selbst, der im Johannesevangelium einige Male wörtlich Parrhesia spricht, am deutlichsten wohl im Verhör durch den Hohepriester kurz vor der Kreuzigung (Johannes 18,20), als Jesus auf dessen Frage nach seiner Lehre antwortet, er habe immer offen vor aller Welt gesprochen und gelebt, Jesu Parrhesia ist also die Einheit seiner Rede und seines Lebens, seine Eindeutigkeit sozusagen, und daran zerschellt sogleich der Übermut des Hohepriesters, dessen Diener ihn schlägt, Jesu Offenheit widersteht der Macht, der er ausgeliefert ist, insofern eine doppelte Parrhesia und wohl als Achse und Wendepunkt der ganzen Heiligen Schrift zu betrachten, doch derjenige, der mich auf die Parrhesia überhaupt aufmerksam gemacht hat, das muss endlich gesagt werden, und der seine Analyse in der griechischen Antike ausbreitet, ist Michel Foucault, und seine Vorlesung "Der Mut zur Wahrheit": sehr schnell kommt Foucault zu einem Verständnis der Parrhesia als Mut zur Wahrheit, also dem Mut, alles ohne Rücksicht zu sagen, besonders ohne Rücksicht auf sich selbst, ohne sich selbst zu schonen also, und unterscheidet die Parrhesia folgerichtig von Anfang an von der Rhetorik, der feinen Redekunst, die er als Technik darstellt, und Technik sei nicht wahrheitsfähig, wohl aber sei Parrhesia wahrheitsfähig, und das trete besonders an der Selbstauslieferung des Sprechers hervor, der schutzlos vor dem Mächtigen steht und ihm die Wahrheit ins Gesicht sagt; als großen Parrhesiasten nennt er Sokrates, eben weil er keine Reden hält, Sokrates ist kein Redner, sondern er stellt Fragen, er hinterfragt, er führt den Redner und den Angesehenen aufs Glatteis, er, der selbst nichts zu wissen vorgibt, überführt den andern des Nichtwissens, und das durchaus auf eigenes Risiko, nicht alle schätzen das, Sokrates wird schließlich hingerichtet wegen Verführung der Jugend zum Andersdenken, und er nimmt das Urteil an und tröstet die weinenden Frauen, in seiner Verteidigung nennt er zwar seine Gegner Lügner, aber geschickte Lügner, sodass sogar er selbst sich vergisst, wenn er ihnen zuhört, geschickte und gewandte Rede ist also das Gegenteil der Parrhesia, ist Verschleierung und Ermüdung, Parrhesia dagegen ist kurz, schlicht und direkt, und es ist interessant, wie Foucault auf das Orakel von Delphi zu sprechen kommt, das Sokrates den weisesten aller Menschen nennt, denn Sokrates will das Orakel selbst einer Wahrheitsprüfung unterziehen, indem er ihm Fragen stellt, und er entnimmt ihm den Auftrag, sich um die Menschen zu kümmern, um einzelne, also nicht um den Staat und um die Zukunft, sondern um das Verhältnis des einzelnen zur Vernunft, zur Wahrheit und zu seiner Seele: sein Auftrag ist das Selbst im Verhältnis von sich zu sich selbst , und deshalb sind die wohlgesetzten Reden eine große Gefahr, denn sie bringen mich dazu, mich selbst zu vergessen, so Sokrates, ein weiteres Beispiel möchte ich von Foucaults Analyse der griechischen Parrhesia noch geben, der letzten Rede und Vorlesung des Philosophen im Jahre 1984, bevor er starb, (wer weiß, was er uns noch offen gesagt hätte, er hat einige Fingerzeige in unsere Religion hinterlassen) nämlich den Kynismus, an dem Foucault die Einheit von Lebensweise und Wahrsprechen darstellt, etwa an Diogenes von Sinope, dem Mann im Fass, der dem Feldherrn Alexander ins Gesicht widersprochen habe, der nahezu bedürfnislos gelebt habe, ohne Besitz und Familie, heimatlos und frei, seine Reduktion der Konventionen und überflüssigen Meinungen legt das nackte Leben frei und ist in diesem Sinn die Wahrheit selbst, die kynische Parrhesia ist der Skandal um die Eitelkeit und Selbstgewissheit der Mächtigen, die Predigt von unten, vielleicht genügt das schon zu ihrer Kennzeichnung, unten, aber nicht einer von ihnen, am Boden der Tatsachen, aber unabhängig, den Hörern zugewandt, aber nicht gleich mit ihnen, siehe auf unsere kleine Gesellschaft, die schlicht zwischen diesen Steinmauern haust und bloßfüßig über Wiesen geht unter der Sonne mit den Schafen, "präge die Münze um" als Leitspruch bedeutet, die gängigen Regeln und Gewohnheiten zu durchbrechen und durch eine gegensätzliche Lebenspraxis sichtbar zu machen, dieses Andere stellt der Parrhesiast dar, wie wirst du also von einem anderen, freien Leben predigen?

  • DI 16.7., 20 Uhr: Peter Deibler: "Tanzen" und "Spiritualität"

Tanzen

Wie ich in Salzburg die Oper gehört habe, ja gehört, kaum gesehen, obwohl aus der vierten Reihe im Parkett, es gibt ja nur Parkett im Mozartsaal des Mozarteums, und kaum ein Wort erkannt habe, kein Wort und sogar kaum die handelnden Figuren, wer war denn der Francesco, war der andere sein Kumpan, späterer Mitbruder, oder war das gar der Vater, einfach weil es Italienisch war und konzertant, also die Figuren, die Sänger haben einige Schritte gemacht und sind einander von links oder rechts begegnet, sind zuweilen in Gruppen zusammengestanden, und ja, das muss gesagt werden, es gab immer wieder eine Erklärung von einer Sprecherin, und wie die Sänger und Sängerinnen an ihre Grenzen gegangen sind, da war ich beinahe ein staunender Ahnungsloser, obwohl sie mich danach auf die Bühne gebeten haben und behaupteten, das Libretto sei von mir gewesen, und den Sufi habe ich gar nicht erkannt, bloß die arabische Musik, als Hossam mit der Oud auftrat, das habe ich daheim kaum erzählt, und jedenfalls wurde mir kaum Glauben geschenkt, denn am nächsten Tag war ich erst am Nachmittag zum Pfarrfest erschienen, und andere hatten die große Prozession durch Dorf und Felder geleitet, und von der Zugfahrt hatte ich schon gar nicht erzählt, als wir, die nicht reserviert hatten, in Bad Gastein aus dem völlig überfüllten Zug geworfen wurden und dann dort am Bahnhof herumstanden, und wie ich einen Taxifahrer angesprochen hatte und mich nach Preisen erkundigte und sodann in Windeseile sechs Passagiere beisammen hatte, damit der Wagen voll wird, und wie sich der Fahrer als Kasache zu erkennen gab und eine Frau als Norwegerin und ich der einzige Einheimische war, falls überhaupt, und ich dann erzählte, ich müsse zu meiner Opernpremiere, und sie alle mitkommen wollten, das ließe sich immerhin besser erzählen und war auch ohne weiteres glaubwürdig, besonders in jenem Sommer, aber wie der Dirigent mich beschimpft hatte, als wir nach der Aufführung im Gastgarten saßen und ich auf seine Nachfrage gemeint hatte, eine Aufführung in deutscher Sprache wäre wünschenswert, und auch eine szenische Aufführung, und er gespottet hatte, vielleicht mit historischen Kostümen, das war ganz und gar unerzählbar, und erst recht, wie der Darsteller des Francesco, ein junger, ausgezeichneter russischer Tenor, schon im ersten Lokal mindestens fünf oder sechs Bier getrunken hatte und dann im besagten Gastgarten bestimmt nocheinmal soviele, und seine charmante ukrainische Freundin es nicht zu beachten schien, ebenso wie die ehrgeizige und neugierige junge Sprecherin, die mir von ihren Engagements erzählte, hingegen hatten die Jugendlichen, die mit mir durch den Wald auf Eremo Karceri zuschritten, keinerlei Mühe, die Dialoge zwischen Francesco und seinem Vater szenisch darzustellen am Stadttor von Assisi, oder mit dem Bettler oder dem General, weiter oben im Wald, Mühe hatte ihnen eher das Schweigegebot in der Einsiedelei bereitet, Mühe, aber auch eine innere Erfahrung, wie sie später sagten, Mühe ist also kein Argument, du mühst dich und wirst beschenkt, so dachte ich jedenfalls noch am Keeskopf, wo ich von der Nossbergerhütte kommend sozusagen hinauftänzelte, an schwitzenden jungen Frauen und Männern vorbei, dem ersten Dreitausender an jenem Tag, weniger sicher war ich mir dann am einsamen Anstieg zum Perschitzkopf, wo sich bald Spur und Weg zurückzogen und ein Steinmal vom Absturz einer Frau sprach, die am selben Tag geboren war wie ich, aber als ich mich durch die drei Felszacken hindurchzwängte zum Abstieg in die Gradenscharte am späten Nachmittag, immer noch unter der gleißenden Bergsonne, hunderte Meter hinunter über glatten Fels, bloß mit einem Stahlseil, das du mit nackten Händen greifst, da war es gar keine Frage von Mühe, sondern von Möglich und von Können, vielleicht aber dann, als es noch eine gute Stunde über wackelige Felsbrocken ging, wo jeder Schritte zu ertasten war mit den Füßen, hält der oder kippt der, und in welche Richtung kippt er, da wieder Mühe, beinahe eine Gehirnwäsche, eine Stunde jeden einzelnen Schritt bedenken, das strengt an, und in der Hütte war ich wahrlich bejubelt von den Wanderbegegnungen, eine Australierin wollte sich gar meinen Namen notieren auf der Sonnenterasse, wo wir dem Untergang entgegensahen, wie ich aber Bogota erkundete auf tastenden Füßen, wie eine Katze auf fremdem Terrain geduckt geradeaus schleicht entlang der Hauskante, und dann auf selbem Weg zurück und hernach in andere Richtung, so arbeitete ich mich in die Stadt hinein und sah Reihenhäuser hinter einer Gittersperre über die Straße und hatte meine erste Konversion mit einem Friseur, der mir einen Seitenscheitel verpasste, und am nächsten Tag sah ich von einem Dreitausender in die Stadt hinein, aber hier war das nur ein Hügel, das war kaum zu erzählen, höchstens, wie ich im Botanischen Garten am blaugrünen Schwirren den Kolibri erkannt hatte, gesehen hatte ich ihn ja schon am Ast sitzend im Gegenlicht, gesehen, aber noch nicht erkannt, und von Medellin hatte ich mehrfach von der Theateraufführung erzählt, zu der ich vom Direktor begrüßt worden war, und die Frage war, ob man ein Stück verstehen könne, ohne die Sprache zu sprechen, und es war tatsächlich gut zu verstehen, Thema und Einleitung standen ja am Prospekt, und die Szenen siehst du, aus Situationen entsteht die Wirklichkeit, begriff ich da, aus Situationen entsteht der Mensch, ja die ganze Welt, die Schöpfung erhebt sich szenisch, wo bleibt die szenische Theologie, schrieb ich auf meinen Reiseblog, der Papst hat ja schon begonnen mit seiner Schöpfungsenzyklika, aber wer macht weiter, nach dem Stück war das Publikum eingeladen, zum Thema Gewalt in Beziehungen mit den Schauspielern zu sprechen, und tatsächlich blieb die Hälfte da, sie besprachen dort ihre Paarprobleme, ich habe nachgefragt, das Theater macht Volksbildung, macht Seelsorge, Theater für die Menschen, ich fuhr in Medellin mit der Metro, gegenüber saß ein junger Mann, riesiger Wuschelkopf, unsere Blicke trafen sich immer wieder zwischen den stehenden Passagieren hindurch, lächelnd kreuzten sich unsere Blicke, als er sich schließlich erhob zum Aussteigen, raunte ich ihm zu: Jimmi Hendrix! - I know, antwortete er, aber dann beeindruckte mich, dass in der Metro Frauen fuhren, die hatten am Oberkörper nichts als einen BH, einen Spitzen-BH, weiß oder schwarz, so standen sie in der Reihe der Passagiere und hatten den allergewöhnlichsten Blick, als würden sie zum Supermarkt fahren oder ins Büro, und niemand schien das aufzufallen, ich zweifelte kurz, ob womöglich nur ich das gesehen hätte, eventuell das hineingesehen hätte in den Metroalltag oder in die Erscheinung der jeweiligen jungen Frau, aber nein, sie blickten abwesend durch den Raum wie eben Passagiere, stiegen ein und stiegen aus wie alle anderen, und ja, sie waren gut gebaut, nicht auffällig, aber gut gebaut, das war durch die Umrahmung gut zu erkennen, vielleicht sogar verbessert, wie ja auch bei jedem anderen Bild der Rahmen zur Erscheinung gehört, aber diese Metrogeschichten habe ich bei keiner Vorführung erzählt, der Orientabend, mit musikunterstützter Diashow und gelesenen Reisetexten, eingeleitet durch frisch zubereitete Speisen aus den bereisten Ländern, mit Arepas und Empanadas, Ceviche und Humitas, warum Orientabend, wurde ich gleich anfangs gefragt, ich habe den Namen beibehalten, die meisten Reisen waren ja tatsächlich in den Osten, aber Orient steht für Abenteuer und geheimnisvolle fremde Länder, und wenn man lang genug nach Osten fährt, kommt man tatsächlich nach Kolumbien und Ecuador, aber wo jedesmal die Aufmerksamkeit am größten war, bei der minutiösen Erzählung jenes Morgens in Quito, wie ich, in der Nacht zuvor angekommen, auf der Suche nach einem Geldautomaten und danach nach einem Frühstück, eine Kirche gefunden hatte und nach der Sonntagsmesse die leere Hauptstraße entlangging, die 12. Oktober-Avenue, in Richtung des Nationalmuseums, als plötzlich von einem Alleebaum, hier erzähle ich in Zeitlupe, von einem der Alleebäume etwas herunterprasselte und mich streifte, ich jedoch unbeirrt meinen Weg fortsetzte, bis hinter mit Rufe zu hören waren und ein Ehepaar mir nachlief und mir aufgeregt erklärte, Vogeldreck hätte mich erwischt, und mir schwarze Flecken gezeigt auf Schulter und Rücken, und nun begannen sie unter Beteuerungen, mich mit Papiertaschentüchern abzuwischen und sich zu entschuldigen für das Ungemach, und ich stellte mir einen Vogel vor, der soetwas macht, wunderte mich aber auch über die spontane Hilfsbereitschaft dieser Einheimischen und bedankte mich schließlich herzlich, unter Umarmungen und Küssen, und wandte mich zurück zum Hotel, um mich zu waschen, wo ich erst, und nun geht ein kundiges Raunen durch den Saal, die Abwesenheit meines Mobiltelefons bemerkte, und bei jeder Vorführung erfuhr ich, das so gut wie alle Reisenden in dieser Region bestohlen worden waren und gerade das sie immer noch, auch nach Jahren und Jahrzehnten, mit dem Land verband, weil man es überstanden hat und nichts Schlimmeres geschehen war, es war wie ein Entrinnen von einer noch viel größeren Gefahr, die sich erst später abzeichnet und eine Dankbarkeit für eine Rettung, und dann der Tanz am Pazifik, noch nicht die Boote, die hin und hergeworfen werden, manchmal fällst du drei, vier Meter hinunter auf Beton mit einem solchen Schiff, am besten mit den Knien abfedern, die Kamera in der Hand, und dann siehst du sie, siehst sie tanzen, sie werfen sich herum wie Kätzchen, wie sich Kätzchen auf den Rücken legen, damit du sie am Bauch kraulst, sie steigen auf und lassen sich auf den Rücken fallen, sodass die Gischt hoch aufspritzt, ein Getöse um sie, belustigt sehen sie in die Runde, zwischen den Booten tanzen sie, heute ist ihre Vorstellung, sie winken mit den Flossendeckeln, steigen hoch, werfen sich zurück mit dem Gewicht eines Sattelzuges, die Mutter, ihre halbwüchsigen Kinder, heute ist ihre Vorstellung, und wir sind ihr Publikum, das nicht genug kriegen kann, irgendwie mit einer Hand an der Reling, mit der anderen den Apparat, mit den Knien abfedern, die Sporteinstellung finden für die kurze Belichtungszeit, und rechtzeitig erkennen, von wo der nächste Aufstieg losgeht, wir hören es prusten, seufzen durch das Atemloch, wenige Meter neben der Bordwand, so tanzen wir alle, werden herumgeworfen, versuchen, den Kopf klar zu halten, während das Blut pocht, bis es genug ist und das Boot abdreht, und schließlich können wir raus und schnorcheln zwischen Korallen und gelben und grünen Fischlein, unbeschwert wie sie, taumeln zwischen Sonnenstrahlen, gehoben und getragen in einem Wellengang von Urzeiten her, und beim Raussteigen bemerke ich, dass ich die Gurttasche noch immer umgehängt habe und der Zehndollarschein nun wirklich sauber ist, Geldwäsche ohne mein Zutun, ich schwöre

  • MI 17.7., 8 Uhr: Lukas Pallitsch: Die Probe der Übersetzung auf den Abstand zur Offenbarung

  • MI 17.7., 20 Uhr: Engelbert Obernosterer: "Die Verwortung der Welt"

Engelbert Obernosterer. Die Verwortung der Welt

Auszüge aus meinem Buch „Die Mäher und die Grasausreißer“ ( Kitab, 2002) und Textauszüge aus anderen meiner Bücher

Vorbemerkung:

Ich war Lehrer an verschiedenen Schulen des Gailtales und habe mit gespaltenem Gewissen mitgeholfen, aus den angelieferten Kindern Gebrauchsmenschen zu machen, und zwar indem ich ihr kindlich magisches Wesen sukzessive unterdrückt und sie auf die Herrschaft von Zahl und Buchstabe eingeschworen habe.Hören Sie nun ein paar Textproben, die ich nach meiner Dienstzeit als eine Art Gewissenserforschung und letztlich als Bekenntnis verfasst habe.

Rechne ich einmal meine Erfahrungen mit Kollegen verschiedener Schultypen zusammen, kommt als Durchschnitt etwa Eva heraus, eine liebe pflichtbewusste Person. Soeben kehrt sie mit frischem Arbeitseifer aus den Ferien zurück und vertieft sich in die für das neue Schuljahr erlassenen Richtlinien. In der letzten Septemberwoche, liest sie, ist der „Tag des Apfels“ in geeigneter Form zu begehen. Gut, wird sie in dieser Woche eben mit Äpfeln rechnen, in Zeichnen Äpfel malen lassen, bei Gelegenheit über deren besonderen Nährwert sprechen und den Kindern in jeder Zehnuhrpause einen voressen. Um glaubwürdig zu sein, muss sie wohl auch tun, was sie sagt. So existiert sie als sie als gelebte Sprache: vormittags Amtssprache, nach Dienstschluss Umgangsprache. Immer aber verhält sie sich so, dass man über sie reden kann, ohne dass Unverständliches im Raum bleibt.

Anders die Kinder, die aus den umgebenden Ortschaften in Kleinbussen zur Schule gebracht werden. Dauernd muss sie sie dazu anhalten, anstatt ihr einzelne Dialektbrocken hinzuwerfen

ordentliche Sätze zu bilden. Überhaupt wollen die kleinen Wildlinge ihre Erlebnisse nur ungern der Schulsprache anvertrauen, weil sie spüren, dass sie auf dem Papier zu etwas anderem , etwas Entstelltem werden. Bei den unvermeidlichen Pflichtaufsätzen kratzen sie stöhnend eine Seite voll in Umlauf befindlicher Redensarten zusammen, setzen sie in die erste Person Einzahl und liefern sie als eigene Meinung ab.

Auch zum Lesen müssen die Schüler mit allerlei methodischen Kunstkniffen gebracht werden. Obwohl die Schweine und Kühe in den Büchern viel netter, sauberer und lieber sind als auf den Bauernhöfen, wollen die Kinder den Buchtieren nicht recht trauen.

Förmlich hineinstoßen muss sie die Kinder auch in die erbaulichen Weihnachtsgeschichten. Sie beginnen immer sehr stimmungsvoll, etwa mit einem verschneiten Dorf, auf das der Leser Wort für Wort zustapft, mit jedem Schritt tiefer einsinkend in die besinnliche, von Volksschuldirektor Waggerl meisterhaft vorempfundene Stimmung. Am Ende ist jedermann im wahrsten Sinne des Wortes ergriffen, nicht nur von der verklärten Weltschau des Poeten, sondern auch vom Zwang, Hände zu schütteln, Floskeln von sich zu geben und Leute zu beschenken, denen eher damit geholfen wäre, dass man ihnen einiges wegnimmt.

Im Vorjahr ist in Evas Schule plötzlich die Liebe zur italienischen Sprache erwacht und wird seither jeden Herbst durch Besuch und Gegenbesuch einer friulanischen Partnerschule vertieft.Ein wenig verlegen beessen, besingen und befussballen einander die Enkel von Vorfahren, die zufolge des damaligen Freund-Feindschemas einander von den Schroffen der Grenzberge zu schießen hatten.

Was soll`s! Die eingeteilten Lehrer geben sich Mühe, das Treffen wie angeordnet, herzlich zu gestalten.Zum Abschied wird“Wahre Freundschaft“ gesungen.

Ich kann mich trotzdem des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich bei der angestrengten Freundschaft um einen um 180 Grad verdrehten Krieg handelt, einen unter Lächeln und Herzlichkeit geführten Wirtschaftskrieg., der sich nun auf das bisher geschützten Gebiet der Kinderseelen ausweitet. In den Schulen okkupiert er bereits die Wände der Pausengänge. Cola und Puma voran, die Banken hinterher, dringt er in Räume ein, die einmal Abbildungen von Tieren und Pflanzen vorbehalten waren.

Rührend, wie einzelne Branchen sich um das Wohl der Kinder sorgen! Reinere Fussballdressen als je zuvor zieht man ihnen über, verabreicht ihnen noch wichtigere Aufbaustoffe, schützt sie vor bisher noch gar nicht erkennbaren Gefahren und lässt sie bei Wettbewerben gewinnen. Aber sie verlieren auf jeden Fall: ihre Unschuld nämlich. Zum Abbau von Warenbergen sind sie eingeteilt Mit der Zange der Zahlen packt man sie, die man früh zu Rechenmaschinchen umgebaut hat,packt die Eltern mit den vergünstigten Doppelpackungen und dem billiger gewordenen Schlagrahm.

Aus ihm heraus höre ich mythische Schläge niederklatschen auf ein Volk, das mit Übergewicht links und Abmagerungskuren rechts dahingeohrfeigt wird. Mit Blindheit und Gefühllosigkeit gegenüber den Verlierern der Wirtschaftsschlachten ist es geschlagen worden, mit Ratlosigkeit, was zu tun sei angesichts von Millionen auf Brauchbarkeit reduzierter Wesen, die ungebraucht aber zerschult auf dem Kontinent herumstehen, dem sie prägenden System immer noch dadurch dienend, dass sie es durch ihre Nutzstruktur affirmieren.

Überall im Lande sehe ich Opferschwaden aufsteigen, Menschenopfer werden dem Moloch auf den Altar gelegt. Kinder hat er am liebsten. Eva ist eine der Vestalinnen, die die Opferungen vornehmen. Auf nichts anderes hat sie dabei zu achten, als dass sie alle Vorschriften der Zeremonie einhält und die dazugehörigen Gebete schön und deutlich spricht. Dann darf sie sich abends reinen Gewissens zu Bett legen.

…Nachmittags beobachte ich Eva im Garten. Jede freie Stunde zieht sie dort an noch fügsameren und wehrloseren Wesen als die Kinder es sind, bearbeitet sie so lange, bis sie das hervorbringen, was nach hiesigen Begriffen als gesund, beziehungsweis schön gilt. Das dornige Gestrüpp hat sie dazu gebracht, Liebesbeteuerungen hervorzuknospen, in den Rabatten erheben Pfarrer Weidingers Gesundheitswärter ihre Speere gegen die Erreger von Katarrhen und Wintergrippen, rote Bohnen stehen reihenweise zur Blutbildung bereit, die Gladiolen zücken die Schwerter gegen all das Hässliche , das von allen Seiten her auf Eva eindringt.

Und wie sauber sie das Gärtlein hält! Unnatürlich sauber, scheint mir, während ich zusehe, wie sie selektiert, das Kraut vom Unkraut befreit, das als schön Geltende hätschelt und düngt und den Rest beseitigt. In dieser Gartenform liebt sie die Natur, so wie sie auch die Kinder erst in der von ihr bearbeiteten Form liebt.

Wenn ein Lehrer über Schule schreibt, so sollte er es nach Meinung der Schulverantwortlichen in einer in Schulen üblichen, also respektvollen Weise tun, sollte sich der herkömmlichen sprachlichen Konventionen bedienen, sodass im Ganzen ein sprachgesetzlich geregelter Strudel an Konsensteilchen entstünde. Man bräuchte, so angefangen, die Erörterung gar nicht zu Ende schreiben, denn bekennt der erste Satz sich zu den in Schulen üblichen Normen, so muss am Ende wohl etwas herauskommen, was sich im Einklang mit den Meinungen der Schulverantwortlichen befindet, zumal schon der sprachliche Rahmen es nicht zulässt, etwas anderes als Zustimmung auszudrücken.

Fortsetzung:

https://www.kath-kirche-kaernten.at/pfarren/detail/C3057/symposium-2-teil