Pfarre

Karnburg

Symposium 2. Teil

Unterstützt vom Robert Musil-Institut, vom Katholischen Akademikerverband und von der Gemeinde Stockenboi

  • Fortsetzung Obernosterer:

Von Fischen, die starrer Augen auf den Tellern liegen, schaudert es den Kindern. Sie bringen keinen Bissen von der noch erkennbaren Tötungsszene hinunter. Deswegen hat die Fischverwertung das Filet zu quadrischen Stücken zerschnitten, denn so sehen sie nicht mehr nach Tötung, sondern nach Stadtarchitektur aus. Diese Rechteckigkeit schmeckt aber bald nach nichts mehr als nach Freitag und Warenhaus. Also ist die Fischverwertung dazu übergegangen, das Filet nach einem simplen Fischchenschema zu zerschneiden. Diese lustigen Tierchen erfreuen sich dann bei den Kindern großer Beliebtheit. Sie verhalten sich zum Fisch, aus dem sie geschnitten sind, in etwa so wie ein durch den Sprachapparat geformtes Kind sich zu sich selber verhält. Es ist aus dem Sprachapparat neu geboren.

Was die Sprache in sich aufnimmt, liefert sie früher oder später an den Verbrauch ab. So gesehen beginnt die Waldzerstörung mit dem Besingen und Preisen des Waldes. Dann, ins Regionalprogramm des Rundfunks niedergeholzt, ist der Urwald nicht mehr sicher vor dem,

was in der Natur des Wortes „Wald“ zu liegen scheint.

Seine steigende Wertschätzung zieht zuerst auf ästhetischem und naturphilosophischem Wege die ersten Naturbewunderer, dann auch Zuwege und Hütten nach sich. So mischt sich „in des Waldes stilles Weben“ bald etwas Aktuelles ein: das Knattern von Motorsägen und Rattern von Schubraupen. Der ausgeschobene Güterweg hebt die Waldqualität im Sinne des Waldbesitzers; ein Wald mit höherem Wirklichkeitsgrad kündigt sich an.

Dass Bezeichnungen und Namen in erster Linie dem Erfassen von Objekten dienen, will eine Miniatur aus meinem im Herbst herauskommenden Buch mit dem Titel“ Wolke mit Henkel“ zum Thema machen:

Bier mit Henkel

Bauer mit Henkel

Henne mit Henkel

Gebirge mit Henkel

Wolke mit Henkel

Seele mit Henkel

Gott mit Henkel

Die Aulandschaft östlich von Wien, belebt von Hirsch und Frosch, seltenen Pflanzen und tausenderlei Gefleuch und Gekreuch,, soll in Gigawatt umgesetzt werden. Zur Verschleierung der groß angelegten Lebensvernichtung will man an gut sichtbarer Stelle ein paar malerische Tümpel anlegen, in denen einige eigens herbeigeschaffte Lebewesen ein Schaudasein vorzuführen haben. Sie leben innerhalb gewisser Absprachen und zufolge bestimmter Auflagen, wie auch die Stromverbraucher hinter den Stromangeboten herleben, zu mehr Verbrauch animiert, wenn es zu viel an Strom gibt, zur Tugend der Sparsamkeit ermahnt, wenn er knapp wird.

Alle Texte und Zahlen zusammen machen es sich untereinander aus, was die Lehrer den Kindern als Wirklichkeit vorzustellen haben. Deshalb muss ein gründlicher Umweltschutz mit dem Schutz vor Digitalisierung beginnen. Einmal beim Rechnen angelangt, haben sich die Wirtschaftsleute noch immer als die besseren Rechner erwiesen als die Naturschützer. Ja, man kann behaupten: Die maximalen Rechner sind die maximalen Veröder. Überdies sind sie auch die besseren Redner, zumal sie von Grund auf grammatikalisch strukturiert sind.

Nach der Verseuchung des Rheins durch die Chemischen Werke von Basel wird es zu einer Existenzfrage für die Kantonsregierung, ob von einem „einem einmaligen Ereignis“ oder einer „Katastrophe“ gesprochen wird. Ein eigens für den Fall eingesetzter Sprecher soll den Rhein reinigen, indem er die Sache auf ein “einmaliges Ereignis“ hinredet.

Ich habe soeben die Diskussion über das Geschehene verfolgt. Schon während die einzelnen Diskutanten sich an ihre Plätze begaben, merkte ich an Frisur, Kleidung und Verhalten anderen gegenüber, ob es sich um einen Ereignis-Vertreter oder einen Katastrophentyp handelte…Wenn ich die verbale Diskussion aber trotzdem verfolgte, so nur ,weil ich studieren wollte, durch welches Gehaben, welche rhetorischen Kunstkniffe, Schlagworte und dergleichen hindurch sich das jeweils feststehende Wort Geltung zu verschaffen versuchte.

Salman Rushdies „Satanische Verse“ werden von den Koranjüngern als Beschmutzung der Schriften empfunden, auf denen ihre Existenz aufruht. Man wird verstehen, dass reflexartig der Wunsch nach Beseitigung des Beschmutzers , konsequenter Weise durch seine Auslöschung , aufkommt. Angesichts solcher Reinigungsversuche wird man aber auch einmal bedenken müssen, wie viele Ungläubige und Häretiker im Laufe der Geschichte beseitigt werden mussten, wie viel an nichtkonformem Verhalten auch im Alltag unterdrückt werden muss, damit den starr dastehenden Buchstaben Genüge getan wird und von ihrer Statik so viel an Sicherheit ausgeht, dass man leuchtenden Auges an die Auslöschung derer gehen kann, die gegen die maßgeblichen Texte verstoßen.

Dass die Schriften unentwegt nach Reinigung verlangen – von den Schriftgläubigen zum Ausdruck gebracht durch Waschungen, gegenüber den Abtrünnigen und Hexen vollzogen durch deren Verbrennung - fällt auch bei anderen auf Schriften beruhenden Systemen wie Nationalsozialismus und Kommunismus auf. An eifrigem Reinigungspersonal hat es nie gefehlt.

Ähnliches gilt auch für manches textorientierte Kleinimperium einzelner Schulen und Internate. Bezeichnend dafür ist, dass in ihrem Bereich die vom Individuum ausgehende Lebendigkeit meist als störend und schlechtes Verhalten behandelt wird. Dem allenthalben spürbaren Unbehagen rückt man unbeholfener Weise dadurch zu Leibe, dass man sich noch strikter an die Vorschriften hält. Den betroffenen Zöglingen und Schülern mag so ein Ordnungshüter bisweilen als böswillig erscheinen, er selber sieht sich, wenn er verbietet, verneint und bestraft, als Vertreter des Guten…

Worauf Säuberungen im Extremfall hinauslaufen, habe ich in einem Film über die NS-Zeit vorgeführt bekommen. Gezeigt wurde eine Hinrichtungszelle, weiß verfliest, sauber bis in alle Fugen, nirgend eine Verunreinigung, an der die Schmutzigkeit des hier Geschehenen zutage treten hätte können. So manche Hausfrau hätte eine Freude an der hier waltenden Reinlichkeit haben können. Nur eine kleine Einzelheit störte: der am Oberboden befestigte Haken.

Seither frage ich mich bei mancher der unangenehm sauberen Wohnungen: Wo ist da der Haken?

Es liegt im Werden und Vergehen begründet, dass ein Mensch niemals etwas Vollkommenes werden kann, denn fehlerlos kann nur ein Apparat sein, etwa ein auf Logik aufgebauter, exakt geregelter Sprachapparat. Die an ihrer Instabilität leidenden menschlichen Wesen suchen Zuflucht bei ihm. Bei allen Anwandlungen von Seiten ihrer Körper fragen sie zuerst, was davon der Apparat, der unbeirrbare, gebrauchen kann und was als für ihn unbrauchbar zu unterdrücken ist.

Immer genauer errät das Vegetative, was von ihm erwartet wird. Als etwas Lustiges fügt es sich in die Belustigungen der Faschingszeit ein, wie es sich vorher in die anberaumte Besinnlichkeit des Advents und die hoffnungsfrohen Tage um Neujahr gefügt hat…

Den schier ins Endlose gehenden Forderungen gegenüber bleibt natürlich jeder einiges schuldig. Aber Schuldgefühle sind gut für das System. Sie machen den Schuldigen kleinlaut, sodass er zufrieden sein muss, wenn die Obrigkeit Gnade vor Recht ergehen lässt.

Vor der letzten Deutschschularbeit in der Mittelschule ermuntert der Lehrer die Schüler, sich einmal ganz frei und persönlich zu äußern. Jetzt, wo sie allmählich erwachsen würden, dürften sie ohne Furcht aussprechen, was sie an Schule und Gesellschaft störe, was ihnen persönlich wichtig sei und was sie als Erwachsene anders , besser machen möchten.

Einen dieser Aufsätze, beurteilt mit “sehr gut“, halte ich in der Hand. Ziemlich große Worte wie Verantwortung, Aufgabe, Pflicht, Gewissen werden in die üblichen Zusammenhänge gebracht, wobei die Sätze so glatt über das hingleiten, was die Worte im Grunde meinen, dass nach dem Durchlesen des Aufsatzes der Eindruck bleibt, dass da einer in aller Routine die Lieblingsbegriffe des Lehrers in einen grammatikalisch einwandfreien Zusammenhang gebracht hat. Und so weht mir anstelle von Jugend, die ich mir erwartet habe, ein Hauch von EU- Reife entgegen.

Ein Kind, das ist etwas, was man eigentlich gar nicht mit einem Wort markieren dürfte, weil es zwischen Knabe und Mädchen, abseits von Beruf und Gesellschaft, jenseits des Gailtalerischen, vor allem Anständigen und nach allem Gegenteiligen existiert…

Wenn es später einmal Zuflucht zu gewissen naheliegenden Hauptwörtern nimmt und sich beispielsweise als Gailtaler Arbeitertochter versteht, so wird sie von den entsprechenden Begriffen nach den ihnen immanenten Gesichtspunkten weiterbefördert: in sieben Reifenröcke hinein und hinaus zu den Besoffenen.

Es wird einmal ein Land sein, in dem die Kinder früher als bei uns “Guten Tag. Wie geht’s?“ sagen, in dem sie es in mehreren Sprachen sagen lernen und schon mit zwölf so vernünftig sind wie unsere Jugendlichen es mit zwanzig noch nicht sind, wodurch erstere sich den Leerlauf der Kindheit und somanche Jugendtorheit ersparen. Sie werden von Anfang an wissen, worauf es ankommt, wozu sie leben und wie man es anstellt, etwas zu werden. Alle werden sich in den wichtigen Angelegenheiten eins sein und das Gleiche denken.

Ein Schikurs mit Dreizehnjährigen. Zwei davon haben etwas miteinander. Als ich sie verturtelt auf der Bettkante antreffe, erschrecke ich. Nicht auszudenken, wenn Mitschüler das zu Hause erzählen, denn zur Sprache gebracht, heißt das ja, dass sie „miteinander im Bett sind“. Ich muss sie also bitten, sich in den Aufenthaltsraum zu begeben.

Soll ich die drei Senegalesen, die in der Nebenwohnung eingezogen sind, nur so, ohne Bezug auf Toleranz und Humanität wie alle anderen Nachbarn behandeln oder mich gewisser Bibelstellen besinnend, es aus moralisch-religiösen Gründen heraus tun?

Das Wahrnehmen ist vor allem ein Nehmen, ein Nehmen zum Zweck des Nützens und Verwertens. Sowie etwas an sich Unbekanntes aus der Umgebung herausgegrenzt und benannt wird, hat der Mensch schon seine besitzergreifende Hand dran.

Dies beginnt im Falle eines Christen mit der Taufe, wo das wehrlose Würmchen mit einem Namen erfasst und in die laufenden Vorgänge einbezogen wird. Der Name fungiert dabei als Henkel. Wird am Säugling zum Beispiel der Henkel Franz angebracht, meint der später, er sei durch und durch ein Franz und verliert so aus den Augen,wie er abseits davon existiert..

Ansprachen von Bürgermeistern, Festreden von Vereinsobleuten, Predigten und dergleichen: In meinem Alter ist davon nicht mehr viel zu erwarten, was über das Geklingel der Vokale und die Geräusche der Konsonanten hinausreicht. Deshalb gibt es mir zu denken, dass die meisten Ansprachen doch mit Dankbarkeit und Beifall aufgenommen werden. Das merkwürdige Verlangen nach einer Rede des Bürgermeisters anlässlich der Einweihung des Feuerwehrhauses kann ich mir am ehesten dadurch erklären, dass die Versammelten es schätzen, dass die sie zermürbenden Fakten für eine Weile mit etwas Wohlklingendem zugedeckt werden.

Große Worte wie Liebe, Vertrauen, Treue, Sicherheit und dergleichen soll man nur ohne einengende Grenzen denken. In der Realität freilich ist Grenzenlosigkeit nicht möglich. Die Sicherheit zum Beispiel gibt es nur innerhalb eines von der Innenpolitik abgesteckten Rahmens und was Treue, Vertrauen und Liebe anlangt, würde jeder dieser Begriffe, in seiner unbegrenzten Form angewandt, die entsprechende Person überfordern und ihre organische Struktur zerstören.

Im Bemühen, inmitten der kreuz und quer gerichteten Kräfte den Kopf über Wasser zu halten, hat der homunculus einen auf das Praktische zurechtgestutzten wirtschaftlich vertretbaren Ersatz für die Originale geschaffen, die entsprechenden Generika: Liebes-Generica, Vertrauens-Generika, Treue-Generika und so weiter.

(Die folgenden Kurztexte sind verschiedenen meiner Bücher entnommen.)

Was am Anfang war

Wurde zugedeckt durch das Wort,

weshalb die Wortgläubigen meinen,

am Anfang sei das Wort gewesen.

Sie sehen freilich nur bis zum Anfang des Wörtlichen.

Immerhin ist durch das Wort

Einfachheit und Verstehbarkeit in die Welt gekommen,

ein tragender Boden.

Weil der so menschengerecht und brauchbar ist,

hält man ihn auch für wahr.

Ich werde mitgeweht mit der Wolke aus Worten,

durch deren Buchstabengewimmel hindurch

ich kaum noch auf den Boden sehe.

Im Sinne der herrschenden Ideologie ist nur die Abweichung von ihr als Ideologie zu brandmarken.

Formulare sind Partituren der Unterwerfung

Das gesprächig Leutselige bildet eine schützende Haut über dem blutigen Körper der Tatsachen.

Wenn man etwas von „politischer Verantwortung liest, lässt man am besten die Silbe“ant“ aus, und die Sache wird klarer, denn es heißt dann „politische Verwortung“.

Etwas zur Sprache bringen heißt, es durch sie ersetzen.

Indem man eine Freundschaft beredet, also ins Wort hebt, schwächt man sie ab.

Im Verhältnis zu dem, was vorher war, ist jedes Wort eine Frohbotschaft.

Die selbstherrlich gewordenen Apparate fürchten nichts mehr als das Geistige, vor dem sie eben nur Apparate und nicht das Universum sind.

Ein schönes Abschlusszeugnis gehört bei den vierzehnjährigen Mädchen bereits in dieselbe Ebene wie Nagellack und Haartönung.

Es ist in die Beschränktheit inbegriffen, dass man sich ihrer nicht bewusst ist.

Es müsste den Leuten doch zu denken geben, dass man lieber dem Plaudern eines Bächleins lauscht als dem Ihren.

Was sich in das Wort „Natur“ hineingeschwindelt hat, ist erst durch die Wortwerdung so einfach geworden.

Ich treib die Maus/ leicht aus dem Haus/ mit dem einfachen Trick/ dass in die Sprach ich sie entrück./ Dort gelingt im Fall des Falles/ mir so ziemlich alles.

So manchem Buch merkt man an, dass es einmal etwas war, bevor es geschrieben worden ist.

Ein bisschen weniger reden, ein bisschen langsamer schauen und du hast wieder ein ganzes Land für dich allein

Ende

  • DO 8 Uhr: Vera Eßl - Die Gnade des Wortes
  • DO 20 Uhr: Franz Supersberger: Gebet - Worte der Not

GEBET, Worte der Not

Franz Supersberger

Gebet:Corona

Das Laufhaus in Hohenthurn im Bezirk Villach könnte das Trojanische Pferd sein, mit dem sich das Corona-Virus, welches in Oberitalien wütet, in Kärnten einschleichen könnte. Dieses wird hauptsächlich von Italienern frequentiert, bis zu zweihundert Freier an einem Wochenende. Auf die Gefahr, welche vom Bordell ausgeht, hat der Gebetskreis im Dreiländereck schon lange hingewiesen. Der Kreis der Gläubigen trifft sich einmal monatlich und will durch inniges Beten erreichen, dass das Freudenhaus geschlossen wird. Schwierig vorherzusagen, durch wen der Bordellbetrieb gestoppt wird: durch das Coronavirus oder durch das Beten?

Die Pandemiezeit beschwor besondere Lebenssituationen herauf. Dies begann im Mehrparteienhaus in der Eingangshalle, wir hielten Abstand zueinander und verzichteten auf einen Handschlag. Man vermied das gleichzeitige Lift fahren mit anderen Mitbewohnern. Die Gespräche beschränkten sich auf die Frage: „Wie steht es um deine Gesundheit?“ Hörte ich im Stiegenhaus jemanden in seiner Wohnung husten, fragte ich mich: Ist der Nachbar erkältet oder handelt es sich um erste Corona-Symptome? Bei Familienfeiern war fast nichts mehr erlaubt, es waren keine Geburtstagsfeiern mit mehreren Personen möglich. Bedeuten die Geschwister, die Nichten und Neffen eine potenzielle Gefahr? Wobei ich mir überlegte: Wie weit müssen wir alle Einschränkungen mitmachen? Bei der Verkündigung von neuen Verboten wurde mit dem Versprechen hausieren gegangen, im Sommer könnten wir leben, wie wir es bisher gewohnt waren. Es gab die Unsicherheit, ob durch Familienmitglieder das Corona-Virus in die Familie eingeschleppt wird; durch Verwandte in Berufen mit vielen Kundenkontakten ­­– im Lebensmittelhandel, in der Pflege und im Außendienst. Andere engagierten sich in der Pfarre und sorgten bei den Kirchenbesuchern für die Einhaltung des Babyelefantenabstandes. Der Coronakrise geschuldet, wurde in Kärnten die Firmung durch den Ortspfarrer im kleinen Kreis gespendet. Es hat im Coronajahr keine Firmungsevents gegeben, ein Schritt weg von hierarchischen Strukturen zur Hauskirche, zur „Individualkirche“. Dieser Begriff ist erstmals in der Corona-Zeit gefallen. Wer das Risiko einer Infektion vermeiden wollte, konnte dem Gottesdienst fernbleiben und sich zu Hause individuell der Bibel und dem stillen Gebet zuwenden.

Der Begriff Individualkirche passt zur heutigen Gesellschaft, wo jeder andere Bedürfnisse hat. Welchen Bereich ich auch auswähle, wo wir es uns leisten können, geht es um Einzigartigkeit. Dies beginnt bei der individuellen Zusammenstellung eines Frühstücks in einem Café, bei der Auswahl eines McDonald's-Menüs oder bei einem selbst designten Kleid im Internet. Die Forschung verspricht für die Zukunft Arzneimittel, welche in der Wirkungsweise speziell für eine Person und ihre Beschwerden hergestellt werden. Die logische Fortsetzung wäre, nach Persönlichkeit, Lebensverlauf und Beruf, ein maßgeschneidertes religiöses Angebot. Unterstützt durch KI eine personenangepasste Aufbereitung der Bibeltexte. Jedem sein persönlicher Glaube, seine maßgeschneiderten Gebete, wie sein persönlicher Webauftritt.

Thomas von Aquin sagte: „Gott kann mit der Vernunft erkannt werden“. Daraus folgere ich, dass ein Dogma, welches Glaubenswahrheiten einzementiert, nichts Endgültiges ist. Wie in der Biologie, der Astronomie oder in der Medizin ist jeder aufgefordert, neue Erkenntnisse beizutragen. Ein Dogma ist Endpunkt eines innerkirchlichen Erkenntnisprozesses, ein Kilometerstein im Glauben. Der Prozess kann fortgesetzt werden und es kommen neue Kilometersteine dazu. Jeder ist aufgefordert, einen neuen Randstein dazuzufügen.

Es schmerzte, wenn beim Gottesdienst kein Zusammenrücken, sondern Auseinanderrücken gefragt war. Viele ältere Menschen kamen nicht mehr zur Heiligen Messe aus Angst vor einer Covid-Infektion. Die Virologen betonten die Gefahr einer Ansteckung, welche durch Sprechen und Singen größer wird, dabei werden viele Aerosole ausgestoßen. Sollte jemand unter den Gottesdienstbesucher infektiös sein, würden dadurch andere angesteckt werden. Verschärfend kam hinzu, dass die Kirchgänger über eine längere Zeit gemeinsam in einem Raum ausharren. Bei keiner Messfeier fehlte ein Gebet um das Ende der Pandemie und für Vertrauen in Gott. Verabschiedet haben wir uns von der Geste der Nachbarin, dem Nachbarn, die Hand zum Friedensgruß zu reichen. Dies wurde ersetzt durch ein Kopfnicken mit Maske. Dabei gefror das Lächeln unter der Mund-Nasen-Schutzmaske.

Während der Pandemiezeit las ich die Erzählung „Die Freiheit der Fische“. Darin faszinierte mich der unerschütterliche Glaube der Figur Jakob an die einzige Stabilität: die Regelmäßigkeit der Natur. Sein Glaube an die Wiederkehr des Frühlings nach dem Winter, das Kommen des Sommers, dem der Herbst folgt. An die Abfolge des Lebens: Verendete eine Katze, folgt die Geburt einer neuen. Gewissheiten, welche wir in unserer technischen und bespaßten Gesellschaft im Alltag oft übersehen, hatten für mich in Coronazeiten einen sinnstiftenden Wert. Woran konnte ich mich in diesen Monaten festhalten? Nicht an den Maßnahmen der Politiker, die unter einer Handlungsneurose litten, etwas musste verordnet werden und geschehen. Dies waren sie ihrer Wählerschaft schuldig. Manche Verordnung, die abends verkündet wurde, hat das Morgengrauen des nächsten Tages nicht erlebt. Beständigkeit war, wenn in der Nachbarschaft im Frühling die Blätter an den Bäumen austrieben, über den Sommer die Äpfel reiften und im Herbst geerntet wurde. Über dem Villacher Becken der Mittagskogel thront und im wechselnden Licht der Jahreszeiten sein Antlitz verändert.

In Politzen lebte eine Magd, welche für uns Kinder nach ihrem Äußeren eine Hexe war. Eine schmale Gestalt, langes und strähniges Haar und sie trug immer ein graues geflicktes Kleid. Sie hinkte und lallte ständig vor sich hin. An manchen Tagen kam sie abends, gefolgt von einer Schar Katzen, in der Hand eine kleine Blechkanne, in den Kuhstall. Mit ausgestreckter Hand bat sie um „a Schalele Mülch“ für ihre Katzen. Über sie habe ich später erfahren, dass sie für Unterkunft und Kost bei einem Bauern bei der Feld- und Stallarbeit mitgeholfen hat. Ihre Schlafstelle war ein Bretterverschlag im Kuhstall, darin eine Matratze und eine Decke zum Zudecken. Eine Koje, wo die jungen Kälber aufgezogen wurden. Gewaschen hat sich die Dirn, im Sommer und im Winter, im nahegelegenen Bach.

Nach zehn Monaten Isolationszeit vermisste ich fremde Stimmen, es gab die Stimmen der familiären Personen und das Stimmengewirr auf öffentlichen Plätzen. Ich schätzte die Radiosendungen, wo Menschen miteinander plauderten. Was ich nicht hören wollte: Radiomoderatoren, die berufsmäßig gute Laune verbreiten. Ich konnte das Herunterleiern von den Vorteilen der digitalen Kommunikation, Vorträge über Zoom, Videotelefonie und die Übermittlung von Fotos per WhatsApp nicht mehr hören. Zu sehr stellen wir das Auge, die visuellen Eindrücke in den Vordergrund. Mit den Augen erfassen wir ein beschränktes Gesichtsfeld, mit den Ohren können wir rundumhören. Geschieht etwas außerhalb unseres Gesichtsfeldes, werden wir davon zumeist erschreckt, im günstigen Fall bekommen wir eine Vorwarnung durch den Gehörsinn. Die Geschehnisse an den Rändern des Gesichtsfeldes sind kaum wahrnehmbar. Der Gehörsinn alarmiert uns auch nachts im Schlaf, gibt es im Umkreis Vorkommnisse. Ein Geräusch kann uns aufschrecken und aufwecken.

Ein Todesfall war in der Pandemie eine besonders belastende Situation. Viele Familien mussten auf die Teilnahme eines größeren Trauerkreises verzichten und die Mitteilung, der Verstorbene wurde im engsten Familienkreis beigesetzt, verschickt. Zwischenzeitlich wurden die Vorschriften für Begräbnisse während der Pandemiezeit gelockert. Außer den engsten Angehörigen konnten auch Bekannte und Verwandte an der Verabschiedung teilnehmen. In der Aufbahrungshalle musste der Babyelefantenabstand eingehalten werden. Wer Stil zeigte, trug zur schwarzen Bekleidung eine schwarze Mundnasenschutzmaske. Dazu die menschliche Distanz: Es war nicht gestattet, den Angehörigen mit einem Händedruck meine Anteilnahme auszudrücken. Die Verstorbene war eine sangesfreudige Person. Der letzte Gruß von den Sangesbrüdern, Kärntnerlieder von Schmerz, Verlust und irdischer Vergänglichkeit, kam aus der Musikkonserve. Die leibliche Anwesenheit des Chormitglieder war untersagt. Die Menschen, welche sich in der Totenhalle versammelt hatten, blieben schemenhaft. Hinter der Gesichtsmaske erkannte ich fernstehende Bekannte oft nicht. Die kaum sichtbaren Figuren des Künstler Valentin Oman an der Stirnwand der Aufbahrungshalle am Villacher Zentralfriedhof weisen für mich auf die Ungewissheit vor und nach dem Leben hin. Wir wissen viel über unseren Körper, unsere Umgebung und unsere Welt. Trotzdem bleibt es rätselhaft, warum wir zum Menschen geworden sind, welche Kraft uns antreibt und was uns nach dem Tod erwartet. Während der priesterlichen Rituale fällt mein Blick immer wieder auf die Graffitos. Mir ist, als blicke ich in einen weit entfernten Teil des Alls. Bis zu den Spiralnebeln, wo unsere Blicke auch mit den besten Teleskopen nicht mehr durchdringen, in die Ursuppe des Universums. In einen Nebelschleier gehüllt, bleibt unser Wissen um das Jenseits. Werden die Türen der Totenhalle geöffnet und der Blick auf den Friedhof freigegeben, lichtet sich der Nebel. Allen wird bewusst, dass der Sarg mit dem Leib des Toten in einem Grab beigesetzt wird.

Die Verabschiedung der Toten wird aus den Häusern, den Miet- und Eigentumswohnungen ausgelagert in die Aufbahrungshallen – die Totenhallen, wie sie im Volksmund heißen. Selbst kleine Gemeinden haben ihre eigene Totenhalle. Auch die künstlerische Ausgestaltung kann den Geruch des Todes nicht vertreiben. Für den Neubau der Aufbahrungshalle in einer Untergailtaler Gemeinde gab es eine öffentliche Ausschreibung. Unter den eingereichten Entwürfen gab es den, die Totenhalle als rotes Herz zu gestalten. Dieser Vorschlag eines Künstlers war den lokalen Gemeindepolitikern zu gewagt. Macht eine Totenhalle in Herzform den Tod erträglicher: den Tod einer Künstlerin, die über Bauchschmerzen geklagt hat und diese den Aufregungen zuordnete? Es war Unterleibskrebs. Den Tod des Hoteliers, der immer ein fröhlicher Mensch war, der mit seinem Schmäh eine Tischrunde unterhalten konnte und überall Optimismus verbreitet hat? Vielleicht war er eine Spur zu optimistisch und hat einmal zu viel gelacht, bevor er sich selbst das Leben genommen hat. Statt der Herzform gibt es jetzt eine der Tradition entsprechende Aufbahrungshalle. Einmal im Jahr verfasst das zuständige Gemeindevorstandsmitglied einen Bericht über das Bestattungs- und Friedhofswesen in der Gemeindezeitung.

Ich erinnere mich an einen Todesfall während meiner Kindheit, in der Nachbarschaft in Politzen. Unterhalb von unserem Bauernhaus lebte in einer Keusche ein Arbeiterehepaar mit einem kleinen Sohn und einer Kuh. Der Mann war im vier Kilometer entfernten Heraklithwerk in Ferndorf beschäftigt. Er arbeitete dort im Schichtbetrieb und ging zu Fuß zur Arbeit. Einige Tage vor Weihnachten ging der Nachbar in der Dunkelheit von der Nachmittagsschicht nach Hause. Dabei wurde er von einem Auto erfasst und getötet. Die Arbeit und der Alltag waren auf dem Bauernhof im Winter beschaulicher als zu anderen Jahreszeiten. Zu den gleichbleibenden Arbeiten zählte die Versorgung der Haustiere, das Füttern und Melken der Kühe. Nach der abendlichen Stallarbeit ging ich gemeinsam mit dem Vater zur Totenwache. Ein steiler Steig führte hinab zum Nachbarhaus, der Himmel war sternenklar. Der Schnee glitzerte und knirschte unter unseren Schuhen. Es war kalt und still. Wir brachten der Witwe Kaffee und Zucker mit. Der Verunglückte war im Schlafzimmer der Keusche aufgebahrt. Das Zimmer war voll mit Blumen und Kränzen, es brannten viele Kerzen und im Raum war ein intensiver Tannenduft und der Geruch von Kerzenwachs. Viele Nachbarn hatten sich zum Wachen und Rosenkranzbeten eingefunden. Manche saßen plaudernd bei Kaffee und Kuchen in der Küche. Der Sohn des tödlich Verunglückten spielte im Kinderzimmer mit der Eisenbahn, welche er sich vom Christkind gewünscht hatte.

Über dem Ehebett der Eltern hing ein Schutzengelbild. Ein Geschwisterpaar überquerte auf einer desolaten Holzbrücke einen reißenden Bach. Hinter ihnen steht ein Engel, welcher seine Flügel über sie ausbreitet. Abends habe ich meine Hände gefaltet und davor gebetet: „Heiliger Schutzengel mein, lass mich dir empfohlen sein. Auch in dieser Nacht halte bei mir treue Wacht. Amen.“ Von der Mutter wurde ich danach in die Mitte der Betten, auf die mit Stroh gefüllten Bettsäcke gelegt. Tagsüber hatte der Hofhund „Wächter” ein wachsames Auge auf mich, er war der Schutzengel. Einerlei, ob ich mich im Obstgarten aufhielt, in der Holzhütte spielte oder auf den Heuboden ging, er trottete hinterher. Eines Tages war er nicht mehr da. Die nächsten Tage sah ich ihn abends beim Einschlafen als Schatten auf der Zimmerwand laufen. Im Traum lief ich ihm hinterher und rief nach ihm. Die Mutter hörte meine Rufe und tröstete mich, der „Wächter“ sei jetzt im Himmel.

„Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.“ MT 2.2 „Ein neuer Stern ist für die Menschheit aufgegangen: der COVID-19-Impfstoff.“

Gebet:Erhörung

Oft sagen wir, etwas sei der Sinn des Lebens und bei genauem Nachforschen erkennen wir, dass der Sinn öfter gewechselt hat. Es gibt kaum ein Gefühl, welches einen ein Leben lang begleitet. In der Kindheit sieht der eine heute den Sinn des Lebens in dem Besitz eines neuen Fahrrads, der andere im Besitz eines Smartphons. In der Jugend kommt die Pflege einer Freundschaft oder das Erreichen eines Schulabschlusses hinzu. Als Dreißigjähriger kann der Sinn des Lebens darin bestehen im Beruf vorwärtszukommen, in der Partnerschaft, Kindern und der Errichtung eines Eigenheimes. Ob es einen Sinn gibt, der sich durch das ganze Leben zieht, liegt außerhalb meiner Erfahrung. Kommt einem der Sinn in seinem Leben abhanden so ist es, als ob einem die Welt abhandengekommen ist. Aber wohin ist die Welt verschwunden? Wenn ich in der Früh aufstehe, ist sie noch da. So verlagert sich die Sinnfrage von einem Jahrzehnt zum nächsten, bis in die Zeit, ob es einen Sinn zum Leben braucht. Die Sinnsuche ist ein Antivirusprogramm für die Seele.

Wie gläubig kann ein Zweifler im fortgeschrittenen Alter werden? Ich erlebe, dass ich mit zunehmendem Alter religiöser werde. Im Leben erkenne ich zwei religiöse Phasen. Zur ersten gehört die Kindheit, wo von den Eltern und dann in der Schule religiöses Verhalten und Wissen vermittelt wird. Im mittleren Lebensabschnitt glauben wir, alles selbst in der Hand zu haben. Für den Erfolg, das Glück, die Liebe selbst verantwortlich zu sein. Den Fortschritt verbucht man auf sein eigenes Konto. Die zweite religiöse Phase setzt im fortgeschrittenen Lebensalter ein. Ich spüre, dass die körperlichen Kräfte, die Ausdauer und die Belastbarkeit nachlassen. Es ist nichts mehr so wie in der Lebensmitte. Jetzt wenden sich manche den geistigen und religiösen Themen zu. Damit wird die Hoffnung verknüpft, dass bei manchem Missgeschick, die jetzt häufiger werden, man aus dem Glauben und dem Gebet eine Unterstützung erfährt. Neben dem Partner, den Kindern, den Bekannten und Freunden holen wir uns einen Partner aus dem Überirdischen in das „Lebensboot.“

Beim Weichteilrheuma treten im Körper stufenweise an verschiedenen Stellen Schmerzen auf. Einmal in der Oberschenkelmuskulatur, bei den Sehnen im Schultergelenk, dann wieder im Hüftbereich. Angefeuert werden die Schmerzen durch Wetterumschwünge. Weniger bekannt und erforscht ist das Seelenrheuma. Die seelischen Verletzungen verursachen Magengeschwüre, begünstigen Herzrasen, Nackenschmerzen und Verspannungen in den Zehen. Wird es an einer Stelle ausgeräumt, dann tritt es an anderen Körperstellen erneut an die Oberfläche. Das Seelenrheuma ist ein ständiges Fließen im Körper. Wie können wir unsere Seele spüren? Die Hand und den Fuß nehmen wir wahr, wenn wir sie bewegen, oder sie verursachen Schmerzen.

Zwischen dem Straßennamen Mariahilfer Straße und der Bitte, „Maria Hilf!“ dürfte ein ideeller Zusammenhang bestehen. In der Nähe des Wiener Westbahnhofs, am Straßenrand, versammelte sich morgens eine Gruppe von etwa zwanzig Menschen, um gegen die Freigabe der Abtreibung zu protestieren. Die Gruppe setzte sich aus jüngeren und älteren Männern und Frauen zusammen. Ein junger, schlanker Mann hält ein lebensgroßes Marienbild in die Höhe. Dargestellt wird Maria in einen blauen Mantel gehüllt, mit einem Glorienschein und einem Rosenkranz in den Händen. Die Frauen zeigen vor ihrem Unterleib vergrößerte Fotos von Ungeborenen in der dritten, neunten und zwölften Schwangerschaftswoche. Gemeinsam ziehen sie die Straße entlang. Durch ein Megaphon verstärkt, beten sie den Rosenkranz und singen Marienlieder. Zeigt die Verkehrsampel rot und die Autos werden für Minuten angehalten, kann ich ihre Gebete und Lieder gut hören.

Beim Kuraufenthalt gibt es die Gelegenheit, sich mit den anderen Kurgästen am Mittagstisch oder beim Flanieren in der Fußgängerzone von Abano auszutauschen. Unter den Kurgästen befinden sich viele alleinstehende Frauen, in geringer Anzahl ältere Männer. Nicht alle haben zu Hause einen regelmäßigen Austausch mit Familienangehörigen oder einen Freundeskreis. Ältere Damen umgehen Männerbekanntschaften und wenn, dann ist es eine Partnerschaft, um einen Cappuccino zu trinken. Beim Kaffeeplausch schildern sie die vielerlei Unpässlichkeiten, welche sie im Laufe des Lebens erfahren haben, Begebenheiten aus dem Eheleben. Für viele Witwen war es dazumal eine Zeit der Unterwerfung, sie waren den Launen und der Willkür der Ehemänner ausgeliefert. Diese Erfahrungen werden immer wieder erzählt, sie lösen sich nicht wie eine Vitamintablette im Wasser auf. Eine Möglichkeit für den Zuhörer damit umzugehen ergibt sich darin, zu den Ereignissen Abstand zu halten, positive Erlebnisse gegenüberzustellen. Zur zeitlichen Einordnung bedarf es der Frage, wann sich die Geschehnisse zugetragen haben. War dies vor fünfzig oder vor sechzig Jahren? So kann ich die Erlebnisse in einen gesellschaftlichen Kontext einordnen. Bei Schönwetter sitze ich am Mittwochnachmittag in der Nähe von Abano auf der Terrasse des Klosters San Daniele. Mit Blick auf den blumenübersäten Klostergarten und die Eugenischen Hügel. Davor habe ich in der Klosterkirche dem Stundengebet der Klosterschwestern gelauscht. Das Beten und Singen kamen aus einem nicht einsehbaren Winkel im Altarraum. In der Nähe des Weihwasserbrunnens lagen Bleistift und Notizzettel. Auf diesen konnten die Besucher eine Gebetsmeinung hinterlassen, welche von den Klosterschwestern in ihr tägliches Gebet aufgenommen wird.

Ich bin Sonntagabends mit dem Intercity-Zug von Villach nach Salzburg unterwegs. Der Waggon ist gering besetzt, auf der anderen Gangseite sitzt eine ältere Frau mit ihrem Enkel. In Badgastein steigt eine junge Frau mit einer Reisetasche zu, eine Kurzurlauberin, denke ich. Sie blickt mich kurz an und setzt sich der Frau gegenüber. Die junge Frau spricht die Oma an. Wie ein Dampfkessel, der unter Druck steht, redet sie auf die Oma ein und klagt ihr Leid: „Ich bin so niedergeschlagen. Ich fürchte mich vor dem morgigen Tag, vor den nächsten Wochen und ich weiß nicht, wie es mit mir weitergehen soll. Mein Freund hat mich vor drei Monaten verlassen, ein anderer Freund ist aus dem Fenster in den Tod gesprungen und meine beste Freundin ist neulich an einem Gehirnschlag verstorben. Diese Schicksalsschläge sind zu viel für mich, kein Arzt konnte mir bisher helfen. In meiner desolaten Verfassung finde ich auch keinen Arbeitsplatz. Wenn ich in Schwarzach/St. Veit ankomme, dann mache ich Schluss, ich werfe mich heute noch vor ein Auto.“ Die ältere Frau hat ihr aufmerksam zugehört, versucht sie zu beruhigen: „Vielleicht können die Eltern oder die Geschwister etwas für dich tun. Denken sie an die möglichen Folgen bei einem Selbstmordversuch. In ein paar Wochen kann sich deine Situation geändert haben und du wirst wieder an etwas Freude finden.“ Der Zug näherte sich Schwarzach/St. Veit und die junge Frau erhebt sich und geht zum Ausgang. Beim Vorbeigehen fordert sie mich auf: „Beten Sie für mich“.

In der Kreuzkapelle in Arnoldstein ist Christus seit Jahrhunderten und für die nächsten Jahrhunderte aus einem Felsen herausgemeißelt. Der gekreuzigte Christus, mit seinen flehenden, nach oben gerichteten Augen ist mir sympathischer als der auferstandene Christus, weil er von dieser Welt und im Leid mit uns vereint ist; den Menschen einen Spiegel vorhält, zu welchen Taten sie gegenüber anderen Menschen fähig sind. Weltweit gehören Vertreibung, Hunger, Pandemie, Krieg und Zerstörung zur Tagesordnung. Dies erleben wir momentan hautnah in Europa und im Nahen Osten. Auf dem Gebiet der psychischen Gewalt sind wir subtiler in der Ausübung von Macht und Machtansprüchen, Demütigungen und Beleidigungen.

Beim Wandern vom Harzberg nach Bad Vöslau ist mir das Gehen mit dem neuen Hüftgelenk leichtgefallen. Der Wanderweg führte bei der Kapelle „Das Auge Gottes“ vorbei. Auf dem oberen Sims der Kapelle steht: „Gott hat geholfen, Gott hilft, Gott wird helfen“. Vor der Kapelle verrichtete die Frau von einem Ehepaar ein stilles Gebet. Danach komme ich mit dem Ehepaar auf die Inschrift an der Kapelle zu sprechen: „Hilft beten?“ Die Frau antwortet: „Aus ihrer Krankheitserfahrung weiß sie, das Beten hilft“. Sie räumte ein, dass manche in die Kirche gehen, ein kurzes Gebet sprechen und schon hilft Gott. Andere beten lange und ihre Bitte wird nicht erhört. Wie lässt sich die unterschiedliche Wirkung des Gebets erklären? Das Ehepaar hofft auch auf einen Frieden in der Ukraine. Hilft dabei die Gebetsoffensive in den christlichen Kirchen?

Wo bleibt die Wirksamkeit der aktuellen Fürbitten von den Gläubigen in den Gotteshäusern, welche an Gott gerichtet sind und um einen Frieden in der Ukraine und im Nahen Osten gebetet wird? Von Seite der Gläubigen ist es eindeutig, an wen sie ihre Fürbitten richten. Vielleicht versteht ER unsere Sprache nicht oder die Apostel und die Kirchenväter haben IHN nicht ergründen können? Mit unseren Denkmustern wollen wir es schaffen, unsere Fürbitten an SEINEN Thron heranzutragen, damit kommen wir höchstwahrscheinlich nur bis an SEINE Haustüre.

Auf dem Gail-Radweg zwischen Fürnitz und Villach gönne ich mir in der Nähe der Eisenbahnbrücke bei einem schlichten Holzkreuz eine kurze Rast. Am Holzkreuz steht die Inschrift: „Wanderer, gedenke des hier Verunglückten Rudolf S.“ Heute sind hier fast ausschließlich Radfahrer unterwegs. Von den meisten E-Bikern wird das einfache Holzkreuz übersehen, sie sind mit einem mehrfachen Tempo unterwegs als vor vierzig Jahren die Wanderer. Mir sind das einfache Holzkreuz und „das Bankerl“ seit Jahren bekannt. Komme ich mit dem Fahrrad vorbei, unterbreche ich die Fahrt, setze ich mich auf „das Bankerl“ und spreche ein kurzes Gebet. Ich habe Herrn Rudolf S. nicht persönlich gekannt. Mich beschäftigt der Gedanke: Wo wird jetzt seine Seele sein, weiß er davon, dass ich an ihn denke und für ihn bete? Die Fragestellung, ob Rudolf S. im ewigen Leben angekommen ist, wie es viele Religionen lehren, ist für mich auch nach Jahren unbeantwortet. Dieses Wissen hat er uns voraus oder ist er im Nichts gelandet? Ist das Weiterleben im Jenseits eine Hoffnung, welche das irdische Leben erträglicher machen soll? Thomas von Aquin sagte zum Wesen der Seele: „Sie ist im ganzen Körper gegenwärtig und es stirbt der ganze Mensch und steht als ganzer Mensch wieder auf.“ Nach meiner momentanen Gefühlslage brauche ich im Jenseits keinen neuen und nicht meinen alten Leib. Durch das Alter ist die Gebrechlichkeit des Körpers dazugekommen. Werde ich mich im Jenseits als „schrulligen Papierhändler“ erleben, wie mich der Redakteur Peter Zimmermann in einem Aufsatz auf der Ö1-Webseite beschreibt: „Hätte sich nicht zufällig der schrullige Papierhändler nach Arnoldstein verirrt, dann wäre die Literatur an mir abgeprallt wie die Fächer Chemie, Physik und Nachmittagsturnen. Im Geschäft des Papierhändlers habe ich zur Literatur gefunden“. Die Auferstehung kann aufregend werden, falls meine Seele die Attribute Spannung und Überraschung kennen wird, wie ich es im Heute erlebe.

Gebet:Hilfe

Den folgenden Gedanken liegt die Teilnahme an der Lehrveranstaltung „Das Gebet in der Religionsphilosophie“ zugrunde.

Es ist kein neues Phänomen, dass in Zeiten in denen Naturkatastrophen, Krieg und Pandemie uns direkt betreffen, die Frage gestellt wird: Wo ist Gott und hilft beten? Diese Frage ist jetzt bei vielen Menschen virulent geworden. Genügt dafür der Hinweis: Not lehrt Beten? Einerseits drückt dies unsere Hilflosigkeit bei solchen Ereignissen aus, anderseits die Hoffnung, dass Gott konkret in das Geschehen eingreifen könnte.

Hilft beten? Mögliche Antworten sind so breit gestreut wie die Charaktere der Gläubigen: Gott hat das Universum erschaffen und greift in seine Schöpfung nicht ein. Es könnte sein, dass Gott sich in seinem Schöpfungsakt selbst beschränkt hat und nur einen bestimmten Spielraum für Eingriffe offengelassen hat; sein Eingreifen für uns nicht empirisch messbar ist. Mit unserem freien Willen können wir zwischen Gut und Böse wählen, zwischen Frieden und Krieg entscheiden. Möglich wäre, dass Gott mit Europa andere Pläne hat als wir es uns wünschen und vorstellen können. Damit könnte erklärt werden, warum Gott auf Verlangen der Menschen Leiden und Ungerechtigkeiten nicht einfach aus der Welt beseitigt. Dies lässt erahnen, warum Gott in der jetzigen Situation trotz der vielen Gebete einen Frieden in der Ukraine nicht einfach herstellt. Das Gebet zielt nicht darauf ab, Gott zu verändern, sondern die Betenden zu besseren und hilfsbereiten Menschen zu formen. Erst durch das Gebet werden Teile des göttlichen Heilsplans aktiviert. Gott kann nur eingreifen, indem er mit dem Menschen in eine Beziehung eintritt, vorausgesetzt der Mensch will es. Aus christlicher Sicht ist das primäre Ziel die Erlösung der Seele. Gebete um persönliche Wünsche, wie um mehr Einfluss am Arbeitsplatz, könnten für das eigene Seelenheil kontraproduktiv sein. Zitat von Thomas von Aquin: „Denn wir beten nicht darum die göttliche Haltung zu ändern, sondern, damit Gott durch das Beten jenes bereitstellt, was durch die heiligen Gebete vorgesehen wurde.“

Jesus ermahnte seine Jünger, richtig zu beten und nicht zu plappern wie die Heiden. Er lehrte ihnen das Vaterunser. Jesus hatte keine Präferenz für das Bittgebet. In seinen Bitten an den Vater verwendete er zumeist den Zusatz: Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.

LV-Titel „Das Gebet in der Religionsphilosophie“; Univ. Prof. Clemens Sedmak; Universität Salzburg

Franz Supersberger, Villach, franz.supersberger@gmail.com, www.schlagloch.at

  • FR 19.7., 8 Uhr: Ivana Bogdanovic: Gottesvorstellung in der Literatur von Nihilismus bis Atheismus

  • FR 19.7., 20 Uhr: Florian Zambrano: "was? wenn nichts wird aus mir."

florian zambrano
was? wenn nichts wird aus mir.

figuren: Alayna
ort: Stadt, ein Hauch von Paris zeit: vorbei, aber nicht endlos

1
nimm einmal an, Du würdest mir nichts schulden.

Alayna.
ich sollte hier warten. aber wo doch jeder weisz, dass man nicht warten sollte. einen nie einer warten lassen sollte. lässt man Dich warten, dann geh bevor er kommt. wer kommt. wer kommt? schwer zu sagen.

ich kann mich in die Deine Angst verwandeln. das wovor Du Angst hast, das bin ich. leicht gesagt. ich hab es getan.

weshalb ich immer noch warte? möchte wissen wie es sich anfühlt.

solange wir warten ist alles möglich. verstehst Du.
da kann ich Dir ja erzählen, was es so mit mir auf sich hat. es ist nicht weiter kompliziert.

irgendwann habe ich bemerkt, dass alles, was ich so tagein und die Tage auch hinaus, so vor mich her gelogen und verbogen habe, tatsächlich auch wahr wurde. und alles sich genauso zugetragen hatte, wie ich meinte es erfunden zu haben.

das geht ja jedem so? bestimmt.

ich warte auf einen Anruf. ich warte auf den Anruf.

ich warte bis sie mir über das Telefon den Tod, den eigenen, verkünden. jeden Moment, sollte der Anruf kommen, um zu erklären mir, wie er von statten ging, der meine so herbeigelogene Tod, der meine.

auch den Tod, den eigenen, den habe ich erfunden. solange habe ich von ihm geredet, bis irgendwann er dann eingetreten ist in mich und mein Leben. oh, tritt ein, Tür auf, herein. zu. aus. tot.

weil ich aber, doch so aus einem Unmut so heraus, vermute und aus einer Ahnungslosigkeit heraus mich verahne, dass da so allein ich nicht Schuld sein kann an dem meinen eigenen Tod. bin ich auf der Suche nach einem Schuldigen, also in erster Linie, nach einer Schuld im Allgemeinen. denn eine Schuld kann immer nur Allgemein gehalten werden. für eine Schuld muss in erster Linie einmal die Allgemeinheit herhalten, dieser ausrangierte Watschenbaum, die Allgemeinheit.

ich lerne nichts.
also nichts dazu. oder nur ungern.

ist da was vor einiger Zeit stehen geblieben in mir. man soll sich ja nicht alles gefallen lassen, von einem selbst. sagen die Leute. wer genau? weisz ich nicht. aber es stellt sich die Frage; soll ich mir alles gefallen lassen? von mir?
ich kann mir ungefähr einiges gefallen lassen. so ungefähr einiges. alles nicht. bin ich stehen geblieben dem Anschein nach und der scheint aber so schön herein bei mir ins Hirnkastl. seit dem geht nichts mehr weiter. oder nur minimal und dann ein falscher Gedanke und alles ist wieder weg. und Denken in die falsche Richtung ist keine Lapalie. nicht.

fliegt hundert Jahre oder so einer gleich wieder zurück in Körper und Raum und hab ich bei einer solchen Reise mich mit mir selbst verwechselt und mich dann sogleich auf dem Gewissen gehabt. mich aus dem Weg geräumt also. mit reinem Gewissen. aber auf dem Gewissen hatte ich mich trotzdem.

so ist es also passiert. so ungefähr. ganz genau kann man das schwer sagen. selbst Schuld, wirst Du jetzt sagen.
aber wieso habe ich dann vorher gesagt, dass ich mir den eigenen Tod erdacht habe? wie erdenkt einen Tod man sich? erfindet man den Tod den eigenen? wo man den findet sich so schön, den Tod den eigenen? sich für die Sammlung im Küchenregal eine sich den finden kann, zum Anstarren, den werten Freund und Verfolger. sich diesen so prägenden Freund und Helfer neben den Kardamon ins Küchenregal stellt.

ihr versteht schon, ich koche auch gerne. das bleibt mir jetzt erspart. ich hätte vermutet, dass es mir schwerer fallen würde. aber auch das kann man fallen lassen. so vor die Füsze fallen lassen, wie das angebrannte Stück Fleisch. bumm.

ich habe ihn mir also erfunden und dann wurde er ausgeführt an mir ganz anders, als ich es erdacht hab. erfunden so eigentlich, dass ich wollte, dass wenn ich angebe damit, dass ich ihn mir herbeisehne, dass dann einer kommen wird und brav loben wird mich einmal. brav, lieb, gutes Hunderl. fein. oh. gutes Schwein.

soll ich Euch erzählen davon? was man da so sieht.

nimm einmal an, Du würdest mir nichts schulden. schön oder? oder nicht? seh ich Dich dann nie wieder?
eine Schuld ist ja in erster Linie ein Versprechen. ein Versprechen, dass die Welt einen nicht vergessen wird.

um mehr geht es nicht. schlag ich Dich; steh ich in der Deinen Schuld drinn da förmlich, bis zu den Knieen drinn; vergisst Du mich nicht mehr.

betrüg ich Dich; stell ich eine Narbe in Dich hinein, die ein Jucken macht in der Deinen Lunge und Du immer so nervös husteln musst, wenn der Schleim wieder hochkommt; unvergesslich.

nehm ich das Deine Geld, dann wird das ein Teil werden von mir, den ich irgendwo im Körper muss zwischenlagern und Du sorgst dafür, dass ein Vergessen unmöglich wird. und um zu sorgen, dass ich auch nirgendwo eine Vergessene werde oder mich gar selbst vergess, da und liegen lass so unverholfen.

geben auch meist die unseren Eltern eine Schuld in uns hinein, aus der allergröszten Führsorglichkeit einen dicken Brocken an der unschuldigst anmutenden Lieblings- Verschuldung, die unser eins dann glaubt in ein das eigen seine Gedächtnis hineinrufen zu müssen, aus stolzer Ergebenheit, versteht sich. um so den andern im Glauben zu lassen, er wird da schon nicht so leicht vergessen, wird da einander was versprochen. dann hält bald keiner mehr was davon und am Ende hält sich keiner mehr an irgendwas. aber vergessen fühlt sich keiner. deshalb haben den Negern da unten wir so konsequent und mit allerliebevollster Gewalt eine Schuld hineingestochen in die Herzen, zur Wiederbelebung sozusagen, damit sie ganz genau wissen, dass sie nicht vergessen werden und in der Vergesslichkeit dahin vegetieren müssen. ist ja kein Leben nicht. so erinnert sie die monatliche Zinserhögung und Steigerung der Schuld ins Unendliche, dass eines garantiert ist; nämlich, dass auch in 20000 Jahren sie nicht werden vergessen werden worden sein. das versichtert uns die Kalkulation, die eine Proportion hat zu der unseren immer gröszer werdenden Führsorge und unserem endlos scheinenden Mitleid und gigantischem Herzen.

na ja, um wieder zu mir zu kommen. komm zu mir hier her, brav!
Du darfst Dich nie abschrecken lassen. nicht einmal durch den Tod. Tod hin oder her, am Ende muss ein Opfer gebracht werden. oh, prachtvoll. bring her.
die Schuld, der Spruch, das Opfer. schön gesprochen. und an einer Schuld da verdrehen sich einem die Mägen so gern. dreht sich der Magen so von der Schuld weg manchmal und dann zum Übergeben, zum Entleeren dann halt zum Boden hin.

eigentlich hat alles begonnen, als ich bemerkte, dass ich auch eventuell sterben könnte.

das gab den Ausschlag. einen Ausschlag da auf der Nase. denn ich war davon ausgegangen,

dass ich nicht sterben würde. ich nicht. das war von mir recht früh so geplant worden. aber dadurch, dass ich dann wusste, dass ein Sterben einmal anstehen würde, habe ich dann

beschlossen, dass ich das schnell erledigt haben möchte, also gleich hinter mich gebracht haben wollte, damit getan einmal ist, was ohnehin getan werden wird müssen und ich dem Wesentlichen mich widmen kann. die Erkenntnis, dass ein Tod einmal ins Haus stehen würde machte mich ganz verlegen. fühlte ich mich gleich schuldig, also dass ich da was auszuliefern hätte, was abzuliefern. und eine Schuld die macht verlegen. denn die verlegt man ja auch so gern. lässt links liegen man dann. und da ich ja nichts verlegt haben möchte, weil ich gerne eine Ordnung hab und eine Hausaufgabe gleich erledig, bevor ich spielen geh. wollte ich gleich tilgen, was ohnehin bezahlt gehört.

eine Schuld ist ja dann auch ein Geschäft, das es zu verrichten gilt. Gewinn hin oder her.
und eben ein Versprechen, wie schon gesagt. spricht sich schnell herum so was. versprochen.

wie es dann weiter ging? es ging zumindest einmal weiter. davon ist auszugehen. gehen wir davon einmal aus, dass was weiter ging. geht es ja immer weiter.

vom Anfühlen her ist es nicht anders als das Leben selbst. auch das Totsein tut weh. anders halt. es tut richtig weh. weisz ich jetzt erst, was es heiszt, wenn was richtig weh tut.
die Zeit? Zeit wird hier keine verschwendet. auch hier hat alles seine Struktur. sonst würden hier alle ineinanderrennen oder übereinander. obwohl eigentlich.. na ja. es ist halt, empfindlich sind sie die Toten, muss man aufpassen. aber auch hier fehlt es an Zeit. fehlt mir die Zeit. an Fleisch fehlt es auch nicht hier. tot ist nicht die Abwesehenheit von Fleisch, im Gegenteil. auch hier nimmt das Fleisch zu viel Platz ein. es ist so, dass uns hier der Platz ausgeht. zum Atmen fehlt es an Luft, an geschmackvoller. hier glaubt eine zu ersticken an der faden Luft. und trotzdem bleibt das Gefühl, dass die Lebenden den Toten den Platz weg nehmen. die sind erst zufrieden, wenn alles nach ihrer Lebendigkeit stinkt. die sind wie die Götter; eingebildet, egoistisch, arrogant und wollen alles vögeln, was rumläuft. und wir Tote sollen dann alles wieder grad biegen. na ja, aber wie erklär ich das. also da wo man schlecht behandelt wird, da zieht es eine hin, oder? aus Mitleid mit dem, der Dich schlecht behandelt?

aber um zu erklären, also, dass auch Ihr versteht, was genau. sterben ist dann jener Moment, kurz bevor ich das Haus verlasse.

bevor Ich das Haus verlasse. muss bei Dir ja nicht so sein, automatisch. hat ein jeder ein anderes Leben sich ja gerne aufgehalst.
aber jedes Mal, wenn ich diesen HöllenRitt antrete und mich der so böse gesinnten Wildnis ausliefere, bereite ich mich vor auf den Tod. schau ich nach, ob alles hübsch und ordentlich ist. Tote haben es gern ordentlich.

wenn Du also gerne Ordnung hast, bist vermutlich tot auch schon. Ordnung muss schon sein, sonst könnt man ja noch auf den Gedanken kommen, der so schleimigen Lebendigkeit nach zu trauern. Leben ist bloßer Schleim. in jedem Loch blubbert was, aus jeder Pore trieft was. bist den Schleim los, kannst endlich wieder frei durchatmen.

nur ob viel freier eine ist hier in den toten Winkeln. in den toten Winkeln der Geschäftigen, der Welt der ach so Geschäftigen und Beschäftigten? vermutlich nicht. wir sind halt ein toter Winkel, sind wir. bin ich. gerade so jenes, das nicht mehr so recht reinpasst in den SeitenSpiegel. das man beim Überholen gerne mal übersieht. fetzt man vorbei an uns, weil wir uns nicht recht aufgeplustert haben. und bleibt nicht einmal ein Fleck ein echter übrig, wenn drüber gefahren wird über uns. sogar der Bussard, der vom PickUp niedergemäht wird, hinterlässt einen Abdruck, weil er die so flotte krawattentragende Schnittigkeit mit einem Regenwurm verwechselt hat, die er wollt sich reinempfehlen. Empfehlung des Tages, so empfiehlt es das Haus. oh, LockVogel. PutPut. Auto drüber, tot, aus. Maus. Mäusebussard.

eine Autobahn ist eine Regel. auch der Bussard wird sich an Regeln halten müssen, wenn er nicht Teil meiner Ordentlichkeit werden will. ausgestopft in meinem Wohnzimmer. hätt er halt sein Haus nicht verlassen. oder sein HeimatLand. ein Kontinent ist ja nicht umsonst ein

Kontinent. ein Bussard hat ja nicht umsonst Flügel. in der Natur hat immer alles seinen Sinn und Zweck. auch eine jede Hautfarbe.

2
aber wo eine Regel verläuft, da ist auch Blut

bemerkt, dass vielleicht auch ein anderer mir einen Tod will, hab ich, als ich begann den Menschen zu erzählen, wie sie es doch bitte richtig machen könnten. ich hatte es wirklich gut gemeint. schon bald war keiner mehr mir gut gesinnt.

es ist dann schon schnell einmal da ein Konflikt da.
es ist dann schon schnell einmal ein Konflikt da.
es ist dann schon schnell einmal ein Konflikt da, wenn man bemerkt, dass das eigene RICHTIG doch wirklich um einiges richtiger ist, als das der andern, und, obwohl sie soviel gleich besser wissen, alle auf einmal, obwohl sie so schnell alles gleich besser wissen wollen, ist es halt dann doch meist so, dass sie obwohl da manchmal ein zustimmendes Nicken sich durchringt durch ihre HalsStarre, dass da sie in Wirklichkeit überhaubt keine Ahnung von irgendwas, geschweige denn von irgendeiner Richtigkeit haben wollen. aber wo eine Regel verläuft, da ist auch Blut. das weiß eine jede Hausfrau.
richtig?
richtig.
wie kann also an meiner Richtigkeit gezweifelt werden? ich kenn eine jede Richtung und wenn ich richten muss, dann richte ich. es geht ja auch so schnell was kaputt. ein Mensch zum Beispiel. geht recht schnell kaputt. ist nicht für den Ernstfall gebaut. ein Fahrrad. geht recht schnell kaputt. ein Panzer und schon ist alles verbogen. ein Traum. geht recht schnell kaputt. eine Liebe. geht recht schnell kaputt.

es sehen bei Euch die meisten Dinge so leicht aus. aber das zählt nicht wirklich. ihr seid.. na ja, wie soll ich sagen? recht einfach gestrickt, würde ich jetzt einmal sagen. bei den dummen Leuten geht alles so unkompliziert. ohne jemandem zu nahe kommen zu wollen. Eure Nähe will ich gerade nicht. nicht allzu gern.

ich hab versprochen Euch ja zu erzählen, was man da so sieht. was seh ich hier?
also gesehen hab ich, dass hier die Menschen über allem drüberstehen wollen. die wollen, dass ihnen nichts was anhaben kann mehr. dass wenn jemand stirbt, dass das weh tun nicht mehr muss. dass wenn der eine, einen nicht liebt, dass das nicht mehr wichtig ist. das ist interessant. sie nennen das Klarheit. man muss nur klar sagen, was man will oder nicht mehr will und schon tut sich nichts mehr. oder einfach alles wollen, dann tut auch nichts mehr weh.

der Schock, dass alles, was ausgedacht ich hab, zu der einen Realität wird, ist nicht zu unterschätzen.

drüben und da; es gibt da Unterschiede. es gibt einiges zu unterscheiden. nur ich unterscheide mich nicht. von mir selbst, unterscheide ich mich nicht. ich erkenne kaum Unterschied zu mir selbst. nur so schön wie dort ist es nicht. bin ich nicht.

wie das mit den Sprachen aussieht? die Sprache ist eine andere. verstehe ich kaum etwas. aber darauf lege ich auch nicht viel wert. auch sonst kaum jemand. das mit dem Lügen fällt hier einfacher, weil da der Unterschied auch nicht allzu groß. zwischen dem, das gelogen & dem, das wahr ist. genaugenommen ist es das Gleiche. wie auf der anderen Seite es ja auch nicht anders ist. kaum.

also ich lerne schon. ich lerne schnell. nur kann ich es niemandem sagen.

man könnte es Erklärungsnot nennen. ich habe mehr Not mich zu erklären, als dass ich was erklären kann. so lass ich mich tragen. so kann ich gut und gerne es lassen. dachte ich.

wild, würde ich sagen, dass ich schon immer war. das Einzige, das immer den richtigen Takt mir gibt, ist mein Herz mein Wildes. das haben sie auch verwechselt, dem Schein nach. mit der Leber, der meinen und haben sie nach Paris verkauft. das Herz das meine, also meine Leber eigentlich. die italienische Mafia hat aufgegriffen mich, hat sich vergriffen an mir und in mich hinein. sie ist da schon anders, als als Kind sich eine Mafia man vorstellt. die sind wie die Verkaeuferinnen aus dem Supermarkt, nur dass die nicht im Einkaufssack herumwuehlen, sondern in mir. mein Herz war dann doch zu wild ohne eine Leber weiter zu machen. ich sprang also durch meine Rippen heraus aus mir. mein letzter Sprung, mit dem Körper, dem meinen, war aus den Rippen heraus. zu mir her, da. der meinen Leber nach, die in den Körper den anderen hier gebaut wurde und die in der Stadt der Liebe nicht ohne Herz bleiben wollte. eine Herzensangelegenheit. und legt man sich einmal an mit so einem Herzen, dann kann da schon schnell eindringen in eine solche Welt, jemand. eine Welt, die da so aussieht, wie eine Marzipan-Burg; voll mit rosaroten Vorkammern & Herzklappen. ich hab das Herz massiert mir auch gleich, vor und zurück. war aber zu machen nichts mehr. den Rhythmus brachte ich so nicht mehr hin. nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft. also da, wo ich so richtig glaubte in die Gegenwärtigkeit gekommen zu sein, da war ich dann tot.

wie das riecht das Totsein? schwer zu sagen. metallisch, irgendwie.so wie ich immer vermutete, dass eine echte Zivilisation muss riechen. ich, die eine von den Wilden ich bin. mein Großvater sagte immer, die riechen wie kaltes Blut. ich merke nur, dass die ziemlich stinken, nach Schweiß, nach Kuh- und Hühnermist, nach Hundeatem.

wir von den Wilden, wir können alles riechen. gegen den Wind schon. einen Tropfen Blut, den riech ich auf 5km Entfernung. aber hier stinkt es so, dass das Riechen einem vergeht. bei uns wird gesagt, dass es der Schmetterling ist, der von den Tieren am besten riechen kann. bei uns sind die Schmetterlinge so groß, dass es weh tut im Ohr, wenn sie schlagen mit ihren

Flügeln. der Schmetterling der verlegt so seinen Schlauch in alles hinein & der zieht mir dann die dreckigen Gedanken heraus. hier in Paris da gibt es wenige Schmetterlinge. er dem die Leber, die meine gegeben wurde, er ist ein seltsamer Vogel, aber Schmetterling ist er keiner.

vom Anfühlen her ist das TotSein nicht anders als das Leben selbst. gut?

Du kannst mir folgen. glaubte ich ja, dass jene, die sterben nicht recht haben. sie konnten ja nichts wissen. weil sie ja drauf gingen. dem Tod auf den Leim gingen, sozusagen. sich verführen liesen.

3

gummibären

er hier ist Philip. Philip malt wie ein Stier. ihm wurde meine Leber gegeben. in ihn hinein wurde meine Leber verlegt. er hat Beziehungen, hat er erklaert. hat er am Anfang gleich geklaert. sonst kommst an so ein Organ nicht ran, hat er erklaert. er ist ein erfolgreicher Kuenstler, sagt er. in Dubai. in Miami.

lass Dich nicht täuschen vom Erfolg, hat er mir gesagt. der Erfolg hat niemals recht, der Erfolg gibt keinem Recht.

und nach dem er den ersten Schock hatte überwunden, den tiefen, nachdem ich ihm sagte, dass ich hier bin, der Geist seiner Leber. seit dem sagt er immer, wenn er eine sogenannte InspirationsKrise hat, sagt er immer: fick mich Engel, fick meine Seele. und dann streckt er sich und grinst so zufrieden.

und braucht dann keine Gummibären mehr, er. keinen Wein mehr, er. keine blöden Witze mehr, er. reibt sich die Brust und beginnt zu malen.

und dann hat er begonnen zu fragen, so wie Ihr. ob das stimme, dass wenn tot man ist, dass man lernt die Wahrheit zu sagen. wie die aussieht die eine Wahrheit?

auch nicht viel anders. das einzige, was ich sagen kann; ich bin die reine Wahrheit. haha. und dann sagte er; das Sterben das lernt & übt man das ganze Leben.

ich hab erklärt ihm dann, dass das Sterben an einem Tag erlernt wird. das ist nicht weiter kompliziert.

dass einem dort die endlose Freiheit erwartet, eher nicht. das ist da, dort ist dort und da ist dort nicht anders. hier läuft das Spiel, das Gleiche. spielen wir was. schön. gern geschehen.

Danke. ist hier die Freiheit gröszer? Freiheit gibt es nur dort. hier stellt sich die Frage nach der Freiheit nicht. hier werden auch generell wenig Fragen gestellt. aber fest steht auch hier, dass alles, was man nicht an einem Tag erlernen kann, wertlos ist.

und dann glasig wurden seine Augen und sagte noch: Und was ist, wenn uns wer sieht? und ich sagte, aber wer sollte? und, mich sieht man nicht!

und dann noch, warum ich immer widersprechen muesste. kindisch, waere das.

und bestieg den Stuhl, auf dem er mich glaubte und draengelte sich in mich & das Luftschloss, das ich verkörpere, dessen Luft ich zum Körper bin, für ihn. und bekam so ein MutterGefühl. und glaubte fuer einen Moment ich, dass Haut ich hätte. eine Haut ich wäre, die ich als Geist mir aus dem Hut mir zaubern hab dürfen. und sasz ich da und schwitzte er. still war er wie ein Toter. und fühlt ich, wie seinen Drang, sein Drängeln er überall in mir verteilte.

wollte er noch wissen was. "frag nicht. frag nicht"
und schlief ein, dann, schlief. [sie deckt ihn zu]

Fortsetzung:

https://www.kath-kirche-kaernten.at/pfarren/detail/C3057/symposium-3-teil