Fastentuch Deutsch Griffen
In der Reihe der einszenigen Fastentücher kann jenes aus Deutsch – Griffen eine Sonderstellung beanspruchen, denn es zeigt eine völlig eigenständige Ikonographie. Im Zentrum des Bildes sitzt die trauernde Mutter Jesu, ein Nimbus umstrahlt ihr Haupt, Ihr Blick richtet sich andächtig nach oben. Breit hingelagert ruht der tote Sohn auf ihrem Schoß, den Oberkörper zum Betrachter gedreht. Hinter der Christus – Maria – Gruppe wird Johannes sichtbar, der Augenscheinlich betroffen auf die Szene blickt. Maria Magdalena kniet zu Füßen Christi, umgreift mit der rechten Hand seine Beine und hält mit der linken den rechten Arm Christi, an dem sie auch ihren Kopf schmiegt. Dahinter wird der Kopf einer weiteren Frau sichtbar.
Die Darstellung lässt sich ikonographisch nicht eindeutig festlegen, sie muss als Kombination von Vesperbild (Pieta, Marienklage) und Beweinung Christi angesprochen werden. Beide Themen beruhen nicht auf biblischen Motiven, sondern sind wohl im Gefolge des mystischen Nacherlebens der Passion Christi entstanden. Zuerst in dichterischen Marienklagen nachweisbar, findet sich die Darstellung in der Kunst seit dem 14. Jahrhundert. Vesperbild und Beweinung zählen zu den wichtigsten Andachtsbildern und sind so zahlreich gewesen, dass ihr seltenes Vorkommen in der Fastentuchikonographie auffallen muss. Einzige erhaltene Parallele ist das Fastentuch von Rheinfelden. Dieser Umstand muss betont werden, weil ja die nachmittelalterliche Frömmigkeit Marienthemen in besonderer Weise bevorzugt hat.
Das Bild der beweinung Christi ist zudem umgeben von Engelreigen, links und rechts Frauenengel, darüber schwebt eine Vielzahl von kleinen Putti und geflügelten Engelsköpfchen. Sie bilden eine kreisförmige Sphäre um die Klagenden. Die Engel tragen alle irgendwelche Leidensgeräte, die sog. Arma Christi. Links im Vordergrund zeigt ein kniender Engel das Schweißtuch der Veronika. Dahinter steht ein weiterer Engelmit Lanze und Schwamm in der einen, Hammer, Zange und Strick in der anderen Hand. Darüber hält ein Putto die Geisel, an deren Enden sich stachelige Kugeln befinden. Zwei weitere Putti zerren und ziehen an dem für sie viel zu großen Kreuz. Daneben schart sich eine Gruppe weiterer Putti um den Kreuztitulus INRI. Darunter steht schließlich wieder ein Frauenengel, der im Trauergestus ein Tuch vors Gesicht hält und mit der linken Hand auf die Geiselsäule weist. Daneben kniet eine letzter Engel, der lein Leidenswerkzeug trägt, sondern versucht, den Leichnam Christi zu stützen, ein Element aus der sogenannten Engelpieta.
Mit diesen Elementen besitzt das Fastentuch von Deutsch – Griffen in der Tat eine gewisse Nähe zu den Arma – Christi – Tüchern des alemannisch Raumes.
Wenn wir dieses Fastentuch dennoch nicht diesem Typ zuschreiben, dann deshalb, weil es ihn nicht rein verkörpert. ikonographisch handelt es sich ja um ein eklektizistisches Auswahlverfahren, das verschiedene Bildelemente hier frei variiert. Obwohl also innerhalb der einzelnen Bildelemente durchaus eine mittelalterliche Betrachtungsweise vorherrscht, kann das Bild in dieser Form nicht vor dem 18. Jahrhundert entstanden sein, ja, man möchte es aus stilistischen Erwägungen erst ans Ende des 18. Jahrhunderts datieren.
Aufgrund der besonderen Situation volkstümlicher Tradition scheint es nicht einmal ausgeschlossen, dass das Tuch erst im 19. Jahrhundert entstanden ist. Denn alle anderen Beispiele zeigen bis ins 18. Jahrhundert ein strenges Festhalten an der gewohnten Ikonographie des Kreuzigungsbildes für die Fastentücher.
Beitrag bearbeitet von Josef Herbert Krassnitzer, Deutsch - Griffen, Text entnommen aus dem Buch –Alpenländische Fastentücher- mit freundlicher Genehmigung von Reiner Sörries.