Diese Lösung wird von der Geschichte belächelt werden
Der Schrifsteller und Richter Janko Ferk über Ortstafeln, den Sieg des Rechtsstaates und das Bleibende in der Kunst.
Sie haben sich als Ort für unser Gespräch die Kirche in Tanzenberg ausgewählt. Warum ausgerechnet hier? Was gibt Ihnen dieser Ort?
Ferk: Es sind die Arbeiten des Malers Valentin Oman. Ich habe Valentin Oman kennen gelernt, als ich Schüler des Slowenischen Gymnasiums in Klagenfurt war. Er malte damals die Fresken an die Wände der Schule. Ich habe ihm bei der Arbeit zugesehen und war davon fasziniert. Viele Jahre später habe ich dann erfahren, dass er die Kirche in Tanzenberg gestaltet, wollte mir seine Arbeit ansehen und habe ihn immer wieder besucht. Wir haben uns über seine Kunst unterhalten, die Philosophie, die dahinter steckt. Das, was er an die Wände von Tanzenberg gemalt hat, ist deshalb so faszinierend, weil man zigtausende Gesichter und Geschichten daraus herauslesen könnte. Es ist ein monumentales Werk, das noch in 500 Jahren und mehr bestehen und die Menschen auch dann noch gedanklich beschäftigen wird. Ich glaube, dass jeder Mensch den Impetus hat, etwas Bleibendes zu hinterlassen, um nicht gleich, nachdem er diese Welt verlassen hat, zu werden.
Ist das auch Ihre Motivation?
Ferk: Mein Impetus ist die Lust am Schreiben und an der Sprache. Ich selber denke beim Arbeiten nie an die Ewigkeit.
Aber an Gerechtigkeit. Sie zieht sich durch ihr ganzes Werk ... Was ist Gerechtigkeit?
Ferk: Ich kann Ihnen die Frage nach der Gerechtigkeit natürlich nicht beantworten, sie ist nicht beantwortbar. Hans Kelsen, der große österreichisch–jüdische Rechtsgelehrte, hat dazu 16 Formeln erforscht. Er meinte, eine Formel sei die entsprechende: Jedem das Seine. Ich glaube, auf diesen Nenner kann man die Frage wirklich bringen. Wir können natürlich immer nur danach streben, dass wir in unserem Umfeld gerecht agieren und dass wir nicht selbstgerecht sind.
Ihr jüngstes Werk, die Biografie von Ulrich Habsburg-Lothringen, passt auf den ersten Blick nicht ganz in Ihr Werkverzeichnis. Doch geht es auch hier um Gerechtigkeit ...
Ferk: Dieses Werk fällt absolut aus meinem sonstigen Opus heraus. Dieses Buch zeichnet einerseits den Lebensweg eines Menschen nach, der ungerecht behandelt wurde. Andererseits ist es eine rechtsphilosophische Abhandlung mit dem Ziel, einen Unrechtszustand zu ändern. Ich habe hier ganz bewusst zwei Ungerechtigkeiten, die mir immer sehr weh getan haben, aufgezeigt.
Nun sind beide Fragen auf einen Schlag gelöst ...
Ferk: Ich habe gerade heuer zwei Lösungen miterleben dürfen, die den Rechtsstaat frohlocken lassen: einerseits die Ortstafellösung. Andererseits wurde die Frage des so genannten Habsburger-Paragrafen sehr gerecht gelöst. Ich habe nie verstanden, welche Kollektivschuld die Nachkommen der österreichischen Kaiser trifft.
Sie betonen die Gerechtigkeit bei der Aufhebung des Habsburger-Paragrafen. Bei der Ortstafellösung sind Sie weniger euphorisch?
Ferk: Zunächst ist es gut, dass man eine Lösung – wenn auch eine sehr fragwürdige – gefunden hat, und dass dieses Land wieder einmal zum Durchatmen kommt und weiter denken kann. In den vergangenen Jahrzehnten hatte man das Gefühl, dass alle vor einer gerechten Lösung davonlaufen und nicht zum Verschnaufen kommen. Ich glaube, die Lage wird sich beruhigen, und vielleicht wird dann eine tatsächlich gerechte Lösung gefunden – mit der hier angebrachten Großzügigkeit. Die jetzige Lösung ist aus meiner Sicht kleinkariert und wird von der Geschichte belächelt werden.
Was wäre gerecht? Ist angesichts der belasteten Geschichte eine gerechte Lösung zu erwarten?
Ferk: Was die Geschichte betrifft, so ist in den letzten Jahren von einigen Leuten Geschichtsfälschung betrieben worden. Im Zweiten Weltkrieg hat ja nicht Jugoslawien Österreich überfallen, sondern das Deutsche Reich ist in Jugoslawien eingefallen, und Hitler wurde ein paar Kilometer weit zurückbegleitet. Aber ich wiederhole: Ich bin sehr froh, dass es zu dieser Lösung gekommen ist. Ich hoffe, dass sich Österreich in den nächsten Jahrzehnten seinen Minderheiten gegenüber als großzügiger erweisen wird. Eine Lösung, die großzügiger wäre, wäre auch gerechter und würde einem Rechtsstaat wie Österreich doch besser zu Gesicht stehen als eine Lösung, bei der man die Rechte mit der Apothekerwaage ausgemessen hat.
Sie setzen sich in Ihrem beruflichen, privaten und schriftstellerischen Tun für Gerechtigkeit ein. Soll Literatur Werte vermitteln?
Ferk: Literatur soll vor allem gut sein. Schlechte Literatur verdient den Namen nicht. Man sollte erst einmal versuchen, gute Literatur zu schreiben, bevor man über andere Formen oder Botschaften nachdenkt. Es ist auch wichtig, dass sich nur gute Literatur durchsetzt. Sobald ich zu moralisieren beginne, komme ich vom Weg der guten Literatur ab. Es gibt nur einen, der in der Literatur moralisieren durfte. Das war Wilhelm Busch – und niemand anderer sollte es tun.