„Ich weiß, was Gott für dich will…“
Das Phänomen der spirituellen Gewalt
Wenn wir als Kirche Menschen auf der Suche nach ihrer eigenen Spiritualität begleiten, entstehen Vertrauen und Nähe. Es braucht einen sorgsamen und reflektierten Umgang mit den Bedürfnissen der Beteiligten damit eine gesunde, lebendige und tragfähige Gottesbeziehung entstehen kann. Verletzungen dieses Vertrauens können schnell geschehen – aus Unachtsamkeit, im Stress, auch aus „gut gemeinten“ Motiven, die nicht angebracht sind.
Wenn die Unachtsamkeit jedoch andauert und die Bedürfnisse des Begleiters / der Begleiterin sich zunehmend in den Vordergrund drängen ist Vorsicht geboten.
Ein Nachmittag mit Dr.in Beate Mayerhofer-Schöpf, Referentin im Bereich Christsein.Christwerden der Erzdiözese Wien, hat einer Gruppe von haupt- und ehrenamlichen MitarbeiterInnen unserer Diözese die Auseinandersetzung mit „Geistlichem Missbrauch“ – eine Tatsache, die oft sprachlos und hilflos macht – ermöglicht.
„Spirituelle Gewalt“ ist „eine besondere Form von psychischer Gewalt, die im allgemeinen Sprachgebrauch als „Geistiger Missbrauch“ oder „Geistlicher Missbrauch“ bezeichnet wird. Spiritueller Missbrauch wird ausgeübt, wenn mittels religiöser Inhalte oder unter Berufung auf geistliche Autorität Druck und Unfreiheit entstehen und Abhängigkeit erzeugt und ausgenutzt wird. („Die Wahrheit wird euch frei machen“, Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich, 2021, S. 14)
Das Phänomen der „Spirituellen Gewalt“ ist zwar nicht neu, aber dennoch nicht ausreichend wissenschaftlich erfasst und bearbeitet. So gibt es z. B. keine zufriedenstellende Definition oder klare Abgrenzung zu anderen Gewalt- und Missbrauchsformen. Bei Vorliegen neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse werden diese auch in den Rahmenordnungen gegen Missbrauch und Gewalt berücksichtigt werden.
Hannah Schulz, Beraterin und Supervisorin, versteht unter geistlichem Missbrauch „die andauernde Manipulation, Unterdrückung und Ausnutzung anderer ‚im Namen Gottes‘, um sie für das Erreichen eigener Zwecke und Ziele gefügig zu machen."
Dies geschieht durch emotionale Abhängigkeiten und mentale Manipulation, bei denen christliche Lehren, Werte und Begriffe entstellt und so als Machtmittel eingesetzt werden“. Das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung und das eigene Erleben nimmt beständig ab. Die eigene Urteilsfähigkeit wird kontinuierlich eingeschränkt.
Doris Wagner unterscheidet in ihrem Buch „Spiritueller Missbrauch in der Katholischen Kirche“ verschiedene Schweregrade:
Spirituelle Vernachlässigung:
Einer Person wird nur eine Deutung ihres Lebens bzw. Glaubens angeboten. Im Falle von „toxischer“ Spiritualität verfügt sie nicht über alternative spirituelle Ressourcen und kann daher spirituelle Angebote kaum einschätzen. Für sie ist es tendenziell „normal“, dass sie selbst keine spirituellen Entscheidungen trifft und eher spirituellen Vorgaben anderer folgt.
Spirituelle Manipulation:
Wer eine andere Person spirituell manipuliert, macht sie glauben, sie habe selbst und aus freien Stücken auf bestimmte Weise gehandelt, während sie in Wirklichkeit mit Hilfe bestimmter Techniken dazu gebracht worden ist.
Spirituelle Gewalt:
Die betroffene Person wird komplett unter die Kontrolle des Täters/der Täterin gebracht. Es geht darum, Macht über die betroffene Person auszuüben, sie von ihrem sozialen Umfeld zu isolieren, ihre Kommunikation zu überwachen, teilweise absurde Vorschriften zu machen, bei Grenzüberschreitungen mit brutaler Gewalt zu reagieren. Das funktioniert so lange als die betroffene Person glaubt, sie habe diese Behandlung verdient, die eigenen Bedürfnisse wären nichts wert oder verdorben bzw. schlecht oder es wäre ihre Pflicht, dem/der Täter/in treu zu bleiben.
Was tun, wenn mir geistlicher Missbrauch auffällt oder mir Betroffene von verstörenden Erfahrungen erzählen?
Ernstnehmen
Betroffene sind oft mit Misstrauen konfrontiert. Es ist daher wichtig zu signalisieren, dass man der Person glaubt.
Besonnen handeln Auch als Vertrauensperson ist die Situation enorm herausfordernd. Nicht aus Betroffenheit überstürzt handeln.
Nicht Detektiv/in oder Polizist/in spielen
V. a. Konfrontation des Beschuldigten der zuständigen Stelle überlassen.
Hilfe holen – handeln
Betroffene sind oft in einer Schockstarre. Eine wichtige Aufgabe ist, für sich und die betroffene Person Handlungsmöglichkeiten zu schaffen und Beratungs-stellen kontaktieren.
In unserer Diözese wenden Sie sich bitte an:
Stabsstelle für Prävention von Missbrauch und Gewalt
Tarviser Straße 30, 9020 Klagenfurt am Wörthersee
Mag.a Irina Kolland
Tel.: 0676/8772-6487
kinder-jugend-schutz@kath-kirche-kaernten.at
Umgehen mit Geheimhaltungswunsch
Einerseits wünschen sich Betroffen oft, das Erzählte geheim zu halten. Andererseits signalisieren sie mit dem Erzählen, Hilfe zu brauchen und zu wollen. Diesen Impuls gilt es im Gespräch zu stärken. Gleichzeitig dürfen Haupt- / Ehrenamtliche keine Geheimhaltung versprechen. Ein erster Schritt kann sein: zusammen mit der betroffenen Person oder mit ihrem Einverständnis eine Beratungsstelle zu kontaktieren und weitere Schritte abzuklären.