Auf der Suche nach dem Himmel auf Erden
Der Wiener Pastoraltheologe und Religionssoziologe sprach in der Volksmusikakademie in Liesing über die Familie heute und deren aktuelle Herausforderungen: "Viele Paare jagen dem Himmel auf Erden nach." Seit 20 Jahren erforscht Prof. Paul Zulehner die Entwicklung der Geschlechterrollen in Österreich und spricht in seinem Vortrag "Topwichtig und überfordert zugleich: Familie heute“ über die aktuellen Herausforderungen. „Die Lebenswelt der Familie hat sich in den letzten 100 Jahren tiefgreifend verändert“, schilderte Zulehner in der Volksmusikakademie Lesachtal in Liesing die derzeitige Situation, „und wir stecken erst mitten im Wandel drin“. „Viele Paare suchen den Himmel auf Erden, weil ihnen der Himmel verschlossen ist“, so der Religionssoziologe, „und viele werden Opfer dieser Jagd nach dem Himmel auf Erden“.
Großes Interesse am Vortrag
Ingrid Sommer, die Regionalreferentin des Katholischen Aktion, und die Obfrau des „Frauenkreises Lydia“, Marion Stabentheiner, organisierten den hervorragenden Vortrag. Unter den interessierten Zuhörern waren auch die Priester Robert Wajda und Rudolf Ortner, Diakon Josef Soukup, der Hausherr der Volksmusikakademie und Vorstandsvorsitzender der Raiffeisenbank Kötschach-Mauthen, Werner Lexer, und der Buchhändler Johannes Eder aus Hermagor, der interessante Druckwerke des Referenten ausstellte.
Impressionen aus dem Vortrag
Wie sieht nun die Familiensituation von heute aus? Es gibt eine wachsende „Verbuntung“, denn es zählt zu einer Familiengemeinschaft nicht mehr nur Frau und Mann, sondern auch Alleinerziehende und auch Gleichgeschlechtliche. Das ist aber noch nicht das Ende, denn die Polygamie ist auch noch ein Thema, so Prof.Zulehner. Früher wurde die Ehe unzertrennlich geschlossen. Heute ist diese scheidbar, genannt „konsekutive Polygamie.“ Ziel der früheren Eheschließungen war es, Kinder zu zeugen und diese so gut wie möglich in einer passenden Umwelt groß zu ziehen. Heute lebt die Familie mit oder großteils ohne Kinder, als Patchworkfamilie, als Alleinerziehende/r oder gar mit Leihmutter. Die Tendenz ist, alles zu legalisieren, jedoch sollte man sich immer die Frage stellen: Ist das kinderfreundlich?
Warum gibt es eigentlich so viele Scheidungen?
Zuerst geht Prof. DDr. Zulehner der Frage nach, was ist Familie? Familien sind Räume, geprägt von Stabilität und Liebe. Früher wurde ein Vertrag abgeschlossen und somit Stabilität geschaffen, die Liebe war nachgereiht. Heute haben wir die „Romantisierung“ der Liebe. Es handelt sich um Vertragen, um Gefühle und man trägt selbst die Verantwortung - die Stabilität fehlt in der Beziehung. Man sucht den Himmel auf Erden, weil der Himmel verschlossen ist. Viele suchen im Partner nach Gott und akzeptieren auch die Fehler des anderen nicht. Es herrscht eine vergebliche Suche nach dem maßlosen Glück, denn das romantische Treueverständnis ist auf „die guten Tage mit dem Partner“ beschränkt.Die Tugend der Liebe heißt Erbarmen - „dem anderen vergeben, dass er mein Gott nicht sein kann.“
Nun zur Überforderung der Familie. Die wachsende Wirtschaft lässt wenig Zeit für die Familie. Man verbringt die meiste Zeit in der Arbeitswelt. Die Wirtschaft möchte auch den Sonntag abschaffen und somit den Menschen als „Arbeitstier“ formen. Dies würde dann die Familien endgültig kaputt machen.
Kinder brauchen in erster Linie Vertrauen, um Bindungen aufzubauen und dies am besten mit beiden Elternteilen. Wenn ein Vertrauen nicht wachsen kann, herrschen Gewalt, Gier und Lüge. Die Folge davon sind Terrorismus, Finanzkrise und Korruption. Wir leben heute in einer kinderunfreundlichen Gesellschaft, wo Bildung statt Bindung gefördert wird und die Folge davon ist, dass sich immer mehr junge Paare entscheiden, keine Kinder mehr zu bekommen. Doch wenn man sich entschieden hat, keine Kinder zu bekommen, gibt es da noch immer die Älteren, also unsere Eltern und Großeltern, die zu pflegen sind. Die Pflegesituation ist noch ein offenes Problem, das die Politik in naher Zukunft anpacken muss.
Ein aktuelles und brisantes Thema, das Prof. Zulehner sehr beschäftigt und der großen Zuhörerschar in Liesing ans Herz gelegt hat, ist die Situation mit den Flüchtlingsfamilien, die er auch in seinem neuen Buch „Entängstigt Euch!“ behandelt. Dieses Thema ruft viele starke Gefühle wach - von Zuversicht bis Wut, von hilfsbereiter Solidarität bis zu Hass. Es verschwinden Tausende Kinder durch Organhandel, Prostitution und Menschenhandel und man hält Augen und Ohren zu! Man brauche keine Angst vor dem Zustrom der Flüchtlinge haben, denn dies fördere auch das Wirtschaftswachstum. Wohnungen und Häuser für neue Jungfamilien wären da, wenn die Flüchtlinge wieder in ihr Land gehen können. Wichtig sei es, dass der Krieg aufhöre, wieder Frieden herrsche und der Aufbau stattfinden könne. So wie Amerika mit dem „Marshall Plan“ Europa half, so ist es auch unsere Pflicht, in Afrika zu helfen - Nächstenliebe zu üben. Die westliche Wirtschaft beutet Afrika nicht nur mit den Rohstoffen aus, sondern auch mit den Ressourcen der Intellektuellen. Wie soll da ein zerbombtes und kaputtes Land aufgebaut werden, wenn „wir“ die „besten“ Leute behalten. Ein Projekt, das Prof. Zulehner persönlich unterstützt, sind Stipendien für junge Leute, damit ein Wiederaufbau stattfinden kann. Jede und jeder kann in dieser großen Herausforderung einen wertvollen Beitrag leisten. Das wird dann eher gelingen, wenn diffuse Angst in rationale Besorgnis gewandelt wird. Begründete Sorge kann kraftvolle Energie für eine zukunftsfähige Politik und einen nachhaltigen Einsatz freisetzen. Die Formel lautet: „Wird (diffuse) Angst kleiner, kann (liebende) Solidarität größer werden.“ Dann aber heißt die große Zumutung der heutigen Zeit: „Entängstigt Euch!“
Der Abschlusssatz von Prof. Zulehner zum Thema Flüchtlinge: Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränkt. Ich bin Gast gewesen, und ihr habt mich beherbergt. (Matthäus 25,35)
Text: Hans Guggenberger, Sandra Egartner
Fotos: Hans Guggenberger, Michael Egartner, Ingrid Sommer