Rumpelstilzchen im Pflegeheim Kreuzbergl
Die Liebe zur Schauspielerei steht schon seit 2005 im Mittelpunkt der Klagenfurter "Mitten-im-Leben-Gruppe"
Das Konzept von „Mitten im Leben“ (MIL) - auch im Alter lebendig und selbstbestimmt - ist bekannt: eine Gruppe von Seniorinnen und eine ausgebildete Gruppenleiterin treffen sich über einen längeren Zeitraum in regelmäßigen Abständen, um durch Training (Gedächtnis, Alltagskompetenz, Beweglichkeit) die Selbstständigkeit und Gesundheit zu erhalten und zu fördern, Kraftquellen im Glauben und in der Lebensfreude zu finden, Gemeinschaft zu erleben.
Die seit 2003 bestehende MIL-Gruppe Klagenfurt/Diözesanhaus hat darüber hinaus ihr eigenes „Rumpelstilzchen“: Gruppenleiterin Lieselotte Triebelnig und „ihre Damen“ entdeckten für sich die Liebe zur Schauspielerei und wagten ohne jegliche Schauspielerfahrung 2005 den Schritt auf die Bühne. Bei ihrem Auftritt am 23. Juli 2015 im Pflegeheim Kreuzbergl entführten die rüstigen Darstellerinnen souverän und selbstsicher, spielerisch mitreißend und wie selbstverständlich in eine aus Kindertagen bekannte Märchenwelt. Rund ums Theaterspiel ist dabei auch eine ganz reale, sinnerfüllende und bewegende Welt mit ihrer eigenen Geschichte entstanden:
Reinhilde Egarter, eine der Heimbewohnerinnen und vielen Zuschauerinnen, ist glücklich, schließlich wurde ihr ein langersehnter Wunsch erfüllt: Ein Freundschaftsdienst, denn ihre ehemaligen Kolleginnen sind gekommen, um mit der Aufführung den Alltag zu erhellen. Und wie in früheren Zeiten, stehen ihre Kolleginnen auf der Bühne und sie wird ein Teil davon, verfolgt wie immer vom Publikum aus die Vorstellung, um später ihre Wahrnehmungen mitzuteilen. Und Frau Egarter ist begeistert. Weiß sie doch, wie sich die schauspielerischen Fähigkeiten entwickelt haben, und die Gruppe an sich.
"Alles passt. Die Geschichte wird erzählt, wie ich sie in Erinnerung habe“, so Egarter, und: „Die Gruppe hat sich sehr entwickelt, die Bewegungen sind geschickt und [die Charaktere] gut dargestellt, jeder weiß, was er redet.“
Auch die Parallelen zum Leben spricht Egarter an: Mütter, denen die Kinder weggenommen werden. Männer und Frauen, die sich verkaufen, der Mangel an Menschenwürde und das Fehlen von Vorbildern. Das Motto „Geld stinkt nicht“ im Zusammenhang mit Geiz und Gier. Sie betont, dass Liebe dabei sein muss, dass man jeden Tag seine eigenen Gedanken prüfen soll, sich aber vor allem selbst so annimmt, wie man ist und sich selber treu sein soll.
Wie aber ist die MIL-Gruppe auf das Rumpelstilzchen gekommen?
Die Idee zum Schauspielern war von Triebelnig nach einem Besuch bei einem Seniorinnentheater in Salzburg geboren, das Märchen Rumpelstilzchen bewusst gewählt und ihre Begeisterung übertrug sich. Zu Fasching, damit es leichter fiel, erfuhr die damals provisorische Inszenierung ihre Premiere und im Laufe der Zeit entwickelte die autodidaktische Truppe einen Hang zur Perfektion: Requisiten und Kostüme wurden gemeinsam zusammengetragen, die Kulisse von Nadja Oberascher, nach einer Skizze von Mutter Triebelnig umgesetzt. Inhaltlich wurde das Märchen intensiv erarbeitet, die Rollen auf die Personen zugeschnitten, psychologische Interpretationen herangezogen. Sogar eine zweite Fassung entstand, in der die Müllerstochter ihren männlichen Gegenspielern den Spiegel vorhält, ihre Motivation als Eigennutz, Streben nach Macht, Gier, Einsamkeit usw. entlarvt und sich für ein selbstbestimmtes Leben ohne einen dieser Männer entscheidet.
Auch die Ursprungsgruppe hat sich verändert: einige sind verstorben oder ins Heim gezogen, neue sind dazu gekommen, wie Frau Wendl, die extra aus einer anderen MIL-Gruppe anreist. Einzig Frau Reichmann ist als Teilnehmerin von Anfang an dabei.
Bedenken, Hemmungen und Ängste, wie dass das Alter vor der Fantasie der Kinder scheitert oder dass sie ausgelacht werden, haben sich als haltlos erwiesen und gehören der Vergangenheit an. An ihre Stelle sind Bestärkung und erfahrene Akzeptanz, Wertschätzung und Anerkennung getreten. Wendl, einzige Darstellerin mit schauspielerischer Vorerfahrung ist sehr stolz auf Triebelnig
Sie hat uns unsere Ängste genommen und motiviert wunderbar. Wir haben sehr viel dazugewonnen.“, so Wendl.
Gespielt wird mittlerweile beinahe aus dem Stegreif. Es gibt Vorgaben, die inhaltliche Umsetzung darf jedoch gerne variieren. Geprobt wird nicht, lediglich eine Kurzbesprechung vor jeder Aufführung wird abgehalten, die Regie erfolgt anhand von Codewörtern.
Das geht nur mit dieser Gruppe“, sagt Triebelnig nicht ohne Stolz.
Sei es der Spaß am Spiel oder das spielerische Lernen, die Freude, dass der eigene Einsatz gelingt, die Zeilen gut transportiert werden, der Zusammenhalt und die Freundschaft innerhalb der Gruppe die das gemeinsame Schauspielern motiviert oder das Erleben der Freude, der aufblühenden Fantasie, im Publikum:
Wir sind einfach eine tolle Truppe“, lacht Reichmann.
Und dass eine enorme Wertschätzung von außen erfahren wird, wird als ein zusätzliches Glücksmoment beschrieben Vor allem wenn Kinder in die Welt des Märchens eintauchen, der Bühnen- und der Zuschauerraum miteinander verschmelzen, wenn Erwachsenen Freude erleben und für einen Augenblick den Alltag entrücken.
Auch Mödritscher ist stolz und fasziniert von dieser tollen Truppe: Auch sie durfte durch ihre Spontaneinsätze selbst erfahren, wie sehr der Einsatz volle Konzentration verlangt. Auf die Frage was sie am meisten an der Truppe fasziniert, überlegt sie kurz und resümiert:
Es ist das Einlassen auf das Abenteuer und dass dadurch ein reales, nicht defizitäres Altersbild vermittelt wird – auch im Alter gibt es Visionen und die werden umgesetzt. Die Faszination der Kinder fasziniert – sie kennen kein Alter. Nicht zuletzt fasziniert der generationenübergreifende Aspekt – durch intergenerationelle Begegnung entsteht intergenerationelles Lernen.
MIL zeigt wie es gehen kann: aufgeschlossen für Neues, mit einer gesunde Portion Mut und Zuversicht, Vertrauen in sich und andere und durch ein wohltuendes Miteinander kann viel bewegt werden.