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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Zeichnen gegen das Vergessen

Wenn Gesichter unter die Haut gehen

Von einer Ausstellung, die so ganz anders ist als herkömmliche. Manfred Bockelmann hat sie erarbeitet. von Ingeborg Jakl

Zwei Kinder, zwei Schicksale. Manfred Bockelmann hat ihrer Geschichte ein Gesicht gegeben. (© Foto: Eggenberger)
Zwei Kinder, zwei Schicksale. Manfred Bockelmann hat ihrer Geschichte ein Gesicht gegeben. (© Foto: Eggenberger)

Der Kontrast könnte größer nicht sein: Draußen vor der Tür lärmt der Verkehr, blinken die Lichterketten, locken Glühweinstände zum adventlichen Kommerz. Vorweihnachtshektik nennt sich das.
Drinnen, im Living-Studio der Stadtgalerie Klagenfurt, herrscht Ruhe, beklemmende Ruhe. Das liegt an den großformatigen Porträts von Kindern, die hier in diesem innenarchitektonisch schlichten Raum an den Wänden hängen. Kinder und Jugendliche in Sträflingskleidung, teilweise kahl geschoren oder aber richtig herausgeputzt in ihrem Sonntagsstaat. Es sind Porträts, die eindringlicher nicht sein können. Große Augen blicken die Betrachter an. Anklagend, aber auch neugierig und verstört.


Manfred Bockelmann, Maler, Fotograf und Künstler mit Kärntner Wurzeln, hat mit Kohlestift auf Jute die Gesichter gezeichnet. Junge Menschen, die alle Opfer des menschenverachtenden Naziregimes waren. Die in den Konzentrationslagern von Auschwitz und Theresienstadt und wie sie alle heißen vergast, erschlagen, erschossen oder mit der Giftspritze brutal umgebracht wurden.


Vom Glück der richtigen Wiege
Kinder und Jugendliche, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatten, aber aufgrund ihrer Herkunft oder Behinderung nicht leben durften. „Ich hatte das Glück, in die richtige Wiege geboren zu werden“, sagt Bockelmann fast demütig.
Der Künstler, der in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feierte, wollte mit dieser Arbeit, die er „Zeichnen gegen das Vergessen“ nennt, ein Zeichen setzen. „Ich dachte über mein Geburtsdatum 1943 nach und fragte mich, was ist mit all den Kindern passiert, die, als ich zur Welt kam, keine Chance hatten, ihre Träume zu leben und stattdessen umgebracht wurden?“


So reifte in ihm die Idee, mittels Fotos Porträts von den jungen Opfern anzufertigen. Bewusst wählte er dazu ein Format, „das sich selbst Raum schafft“, wie er betont. „Ich wollte mit der Größe zeigen, wie wichtig mir das Thema ist.“ Und das ist beklemmend wirkungsvoll gelungen. Bei manchen Kindern, die er gemalt hat, ließen sich Name und auch Familienzusammenhänge recherchieren. Die Legenden stehen dann jeweils bei den Arbeiten dabei. Ein Großteil der Bilder aber ist namenlos. Kinder, die keine Chance hatten, werden so von Bockelmann aus der Anonymität der Statistik geholt.


Was sagen in diesem Zusammenhang schon Zahlen aus! Unter den Millionen jüdischen Opfern des Holocaust waren über 1,5 Millionen Kinder. Sie wurden wie alle anderen auch mit Talenten, Träumen und Wünschen geboren. Wie alle Kinder lachten, spielten und weinten sie. Aber für sie alle gab es keine Zukunft. Stattdessen mussten sie täglich mit Tragödien fertig werden. Trennung von Großeltern, Eltern, Brüdern und Schwestern. Die meisten fanden den Tod.


Dankbar für die Begegnung
Als besonderes Geschenk bezeichnet Manfred Bockelmann ein Ereignis der besonderen Art mit zwei Menschen, die er auch gezeichnet hat. „Ich dachte, sie wären ebenfalls tot.“ Stattdessen gab es eine Begegnung mit ihnen, die ein außergewöhnliches Gefühl der Dankbarkeit frei setzte, eindringlicher nicht sein hätte können. Für beiden Seiten.
Und so geht es auch dem Betrachter dieser ganz ungewöhnlichen Ausstellung, die gleichsam der Lebensgeschichte unserer Gesellschaft einen unverfälschten Spiegel vorhält.

Zeichnen gegen das Vergessen von Manfred Bockelmann. Zu sehen bis 26. Jänner 2014, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Theatergasse 4, Klagenfurt. Infos: www.stadtgalerie.net/aktuelles.asp