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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Mauern überwinden – durch Bildung

Katholisches Bildungswerk engagiert sich für Erwachsenenbildung im Vollzug

Bildung hinter Gittern? Ja, natürlich! – Kärnten als Vorreiter mit einer Initiative, die buchstäblich Mauern überspringt.

Bildende Kunst, Musik, Sprach- und Computerkenntnisse – Persönlichkeitsbildung ist der beste     Weg, in die Gesellschaft zu finden. (© Foto: Haab)
Bildende Kunst, Musik, Sprach- und Computerkenntnisse – Persönlichkeitsbildung ist der beste Weg, in die Gesellschaft zu finden. (© Foto: Haab)

„Sieh, die Wüste lebt!“ singt der Chor des Gefangenenhauses. Edi Oraže, Musiker und im Zivilberuf Volksschuldirektor, hat dieses und andere Lieder mit ihnen einstudiert; Dieter Bucher, der mit seiner Bassgitarre begleitet, war mehr darauf spezialisiert, mit den Jugendlichen zu rappen, während Musikpädagogin Natascha Konzilia für die Percussion-Gruppe zuständig war. Den zahlreichen Besuchern, die sich an diesem heißen Juni-Tag hinter Gittern eingefunden haben, fallen aber auch die Kunstwerke ins Auge, die die Inhaftierten mit bildenden Künstlern angefertigt haben.
In der direkten Begegnung bröckeln die Mauern der Vorurteile langsam. Die Sicherheitsschleuse, die Gitter und mehrfach verschlossenen Türen hatten sie zunächst eher noch verstärkt. Aber die Darbietungen lassen andere Seiten dieser Menschen sehen, die die Gesellschaft weggesperrt hat: den Stolz darauf, etwas geleistet zu haben; die Aufmerksamkeit, mit der sie Kleinigkeiten wahrnehmen und Hilfestellung leisten;die Verletzlichkeit, die in ihren teils selbstgetexteten Liedern aufblitzt. Nach kurzer Zeit beginnen die Mauern zwischen Insassen und Besuchern zu bröckeln, der gemeinsame Kaffee nach der Aufführung lässt sie für eine Zeit ganz vergessen.

Realität mit Hintergründen

„Eine Tränengeschichte haben wir nicht zu bieten“, meint Susanne Axmann nüchtern, die mit dem Katholischen Bildungswerk (KBW) das Projekt begonnen hat, „niemand ist unschuldig hereingekommen.“ Was aber motiviert sie und die anderen Künstler und Pädagogen zu ihrem Engagement? Für Natascha Konzilia ist es die Freude, „mit Menschen zu arbeiten, denen diese Arbeit gut tut. Ich erlebe, wie sie sich beim Arbeiten aufrichten, stolz darauf sind, etwas zu lernen.“

Nicht Re-, sondern Sozialisierung

Ein Austausch mit der Vollzugsanstalt Bergen (Norwegen) – das Engagement des KBW wurde 2001 als EU-Projekt aus der Taufe gehoben, Best-Practice-Beispiele wurden mit Erwachsenenbildnern und Justizpersonal anderer Länder ausgetauscht – zeigte, dass Schule bzw. Studium dort seit langem im Vollzug fest verankert ist: Nicht „Absitzen“, sondern „Lernen“ lautet dort die Devise. „Ich werde nicht re-, sondern überhaupt erst sozialisiert“, hat Axmann dort ein „schwerer Junge“ erklärt: Erst in der Haft habe er gelernt, welchen Sinn gesellschaftliche Regeln haben, weshalb man z. B. nicht Schwarzfährt (was er übrigens beim Freigang aufgrund langer Gewohnheit fast wieder getan hätte). Dolma Breunig, Bildungsreferentin des KBW und Mit-Initiatorin des Projektes, unterstreicht ihrerseits, welch grundlegende Bedeutung soziales Lernen und Persönlichkeitsbildung gerade in diesem Bereich zukommt. Nicht um Freizeitgestaltung geht es, sondern um grundlegende Bildung, wenn nämlich Menschen über das Hilfsmittel Kunst lernen, wie sie konstruktiv miteinander umgehen, einander helfen, Verletzungen artikulieren lernen. „Wenn ein Jugendlicher niederschreibt, dass ihn die Verhaftung vor den Augen seiner Mutter am meisten bedrücke – und wenn er dann den Text anderen vorliest und niemand lacht“, erläutert Susanne Axmann. Rückfallquote und Statistik sind nicht die Antriebsfedern der Erwachsenenbildner und Justizbeamten, sich für Bildung im Vollzug zu engagieren. Hier ist spürbar mehr im Spiel. „Ich bin stolz auf Euch“, sagt Peter Bevc, Leiter der Justizvollzugsanstalt, zu „seinen“ Jungs und gibt jedem von ihnen die Hand. In der Klagenfurter Justizanstalt wird ein „wesentlicher Beitrag zum Wohl der Gesellschaft“ geleistet, gratulierte jüngst das Justizministerium Dolma Breunig und dem Kärntner KBW.

Drei Fragen an Peter Bevc

Leiter der Justizvollzugsanstalt Klagenfurt

Ist Kärnten Vorreiter, was Bildung im Vollzug anbelangt?
Bevc: Prinzipiell gibt es in allen Vollzugsanstalten in Österreich Bildungsangebote wie Deutsch, Englisch oder eine bestimmte Berufsausbildung, die durch Ängste und Vorbehalte mit einiger Zurückhaltung angenommen werden. Das Besondere an Kärnten ist die Zusammenarbeit mit dem Katholischen Bildungswerk, begonnen 2001 mit dem Projekt „hidden arts“. Durch die Verbindung von Freizeit, Kunst und Fortbildung ist es zum Renner geworden und nicht mehr wegzudenken. Dank der Bildungsreferentin Dolma Breunig und der Künstlerin Susanne Axmann konnten wir die Zusammenarbeit immer weiter festigen und ausbauen.

Ein Grund, stolz zu sein?
Bevc: Auf jeden Fall. Das Chor-Singen z. B. ist für mich eine faszinierende Fortbildung. Darin sind viele Ziele enthalten: Überwinden von Sprachbarrieren, Ängste abbauen, Umgang mit fremden Kulturen, Zusammenarbeit und vieles mehr. Und wenn Menschen einmal zusammengefunden haben, machen sie auch gerne zusammen weiter, z. B. einen Englisch-Kurs.

Welchen Nutzen sehen Sie darin?
Bevc: Intellektuell-statistisch ist das schwer zu erklären. Ich sehe den Nutzen in der Persönlichkeitsbildung. Sind es nicht Persönlichkeitsstörungen, die letztlich zur Straftat geführt haben? Wir haben gemeinsam mit dem KBW einen Weg gefunden, Persönlichkeitsbildung erfolgreich anzubieten, wo auch Aggressionsabbau und -prävention geschehen können. Es ist schwer messbar, was dadurch verändert wird, aber wenn Sie den Unterschied zwischen der ersten und der letzten Probe sehen würden, was in diesen neun Wochen passiert ist ... Das Wichtigste ist Menschlichkeit und dass es um Menschen geht. Das Bildungsprojekt hat wesentlich dazu beitragen, dass unser aller Umgang, Beamte eingeschlossen, dem spürbar nähergekommen ist. Tatsächlich passiert seitdem viel weniger, Aggressionen gegen Beamte und Selbstbeschädigungen sind massiv zurückgegangen.