Korruption darf uns nicht kalt lassen
Der Soziologe Manfred Prisching über "gekaufte Politik"
Der Soziologe Manfred Prisching über die Käuflichkeit in der Politik, die Macht des Marktes und die Positionierung der Kirche.
Herr Professor, Sie sprechen über „Die gekaufte Politik“, über Korruption. Ist es ein Naturgesetz, dass Macht korrumpiert?
Prisching: Historisch und im internationalen Vergleich spricht einiges dafür. Im Grunde gab es immer eine herrschende Klasse, die all das, was über dem Existenzminimum lag, selbstverständlich als ihr Eigentum betrachtet und eingezogen hat. So entstanden auch unsere großen und schönen Burgen, Schlösser und Dome.
Korruption ist also das Normale?
Prisching: Die europäische Rechtsstaatlichkeit mit gleichen Rechten und Pflichten für alle ist eine Ausnahmeerscheinung. Das ist für andere Zeiten und Völker völlig unverständlich. In Stammesstrukturen ist es Pflicht und Anstand, die eigenen Familienmitglieder zu versorgen und die anderen zu unterdrücken.
Manchmal hat man aber den Eindruck, diese Stammesstrukturen gelten auch bei uns noch immer. Gerade dort, wo sich Politik und Wirtschaft berühren, gilt doch: „Wer das Geld hat, macht die Regeln“ ...
Prisching: Soziologisch gesprochen gibt es verschiedene Codes. Die Politik funktioniert nach der Logik des Machterhaltes, die Wirtschaft nach der Logik des Geldes und Gewinnes. Wo sich beides verschränkt, passiert genau das, was wir Korruption nennen.
Ist Österreich da in einer besonderen Situation?
Prisching: In Österreich erzeugt eine durch und durch parteipolitisierte Gesellschaft eine korrupte Mentalität. Wir waren ja gewöhnt, dass Posten, Kindergartenplätze, Wohnungen etc. parteipolitisch vergeben werden. Man musste sich einem „Stammesführer“ anschließen, damit man zu etwas kam. Dieses korrupte System war so selbstverständlich, dass es gar niemand wahrgenommen hat.
Glauben Sie, dass die jüngsten Gerichtsurteile daran etwas ändern?
Prisching: Ich glaube wirklich, dass durch diese Geschehnisse ein gewisser Bruch eingetreten ist. Die Kärntner Urteile haben endlich gezeigt, dass es Politiker wirklich erwischen und dass man sich auf die Justiz verlassen kann. Das wird dazu führen, dass sowohl Vorstände von Unternehmen als auch Politiker vorsichtiger werden müssen. Irgendwo hinterlassen sie bei solchen Machenschaften doch auch Spuren. Sogar der Untersuchungsausschuss hat Positives bewirkt. Etwa das neue Transparenzgesetz.
Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass die Tatsache, dass es sich „die da oben“ eh immer richten können, auch in der Bevölkerung zu einem Schlendrian in puncto Korruption geführt hat?
Prisching: Das ganz sicher. Ich will aber die Leute insofern in Schutz nehmen, als sie ja gar nicht an sich korrupt sind oder sein wollen. Es kommt ein ganz anderer Mechanismus ins Spiel: Sie wollen nicht als die Dummen dastehen. Wenn das wirklich alle machen, ist man ja der letzte Depp, wenn man es nicht macht. Das hört man dann sogar von seinen Freunden – und das will nun wirklich keiner sein. Also greift man halt auch zum Hunderter. So haben wir eine Eigendynamik im System. Schauen Sie sich doch um. Wenn einer beginnt, dass er den Urlaub auf Kosten der Sozialversicherung macht, wollen das andere auch. Wenn sich manche Ärzte ihre Fernseher auf Kosten der Pharmafirmen aufstellen lassen, ist das ein schlechtes Beispiel, das Schule macht. Das sind die kleinen Geschichten, die eine korrupte Mentalität fördern. Aber ich denke, das ändert sich langsam. Jetzt haben wir im öffentlichen Bereich schon eine andere Sichtweise. Das ändert dann auch die gesamte Situation schlagartig.
Es gibt derzeit viele kirchliche Bestrebungen, Moral und Wirtschaft oder Moral und Politik auf einen Nenner zu bringen. Sehen Sie darin auch Hoffnungszeichen für die Zukunft?
Prisching: Die Kirche hat halt das Problem, dass es ihr im Moment generell nicht gut geht. Vor allem aber hat sie ein massives Problem beim Thema Glaubwürdigkeit. Denn wenn sie mahnend auftritt, werden ihr sogleich die eigenen Missbrauchsfälle etc. vorgehalten. Und dann sind jüngste Ereignisse im Vatikan – Stichwort Vatileaks – auch nicht gerade von der feinen Art. Insofern ist es für die Kirche gar nicht so leicht. Ich sehe darin aber ein wirkliches gesellschaftliches Problem. Trotzdem sage ich, dass die Kirche immer noch eine moralische Instanz ist. Daher sollte sie unbedingt zu Dingen wie Korruption klar und deutlich Stellung beziehen. Sie sollte versuchen, sich von der Welt nicht abzukoppeln. Das II. Vatikanische Konzil sollte da Richtschnur sein.
Heuer begehen wir das „Jahr des Glaubens“. Könnte dies auch ein Anlass sein, noch stärker die Zeichen der Zeit wahrzunehmen?
Prisching: Da gibt es eben Auffassungsunterschiede, ob man sich auf die 10 Prozent Kerngruppe zurückzieht oder doch auf die Welt einwirkt. Im ersten Fall muss sich die Kirche im Klaren sein, dass sie den Weg ihrer 2000-jährigen Geschichte verlässt. Denn eine kleine Sekte sollte sie von ihrer Gründung her nicht sein.