Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Ikonen – Zeugen des Glaubens

Der Wiener Jesuit und Ostkirchenexperte Iwon Sokolowsky über die Bildsprache von Ikonen, was sie dem/r Betrachtenden sagen möchten und weshalb sie ein Glaubensbekenntnis sind

Foto: Haab

Ikonen sind nicht einfach „Heiligenbilder der Ostkirche“. Möchten Sie ein wenig erklären, welche Bedeutung sie haben?
Sokolowsky: Ikonen sind auch Heiligenbilder. Sie sind entstanden aus der Verehrung der Märtyrer, aus Bildern, die man auf ihre Sargdeckel aufgemalt hat. Diese Sargdeckelbemalung wurde zu den ersten Ikonen: als Zeichen für das Bekenntnis des Glaubens; aus Dankbarkeit, dass der Glaube durch ihre Treue in Verfolgungszeiten überleben konnte und gefestigt wurde. Die Ikonenverehrung ist auch ein Glaubensbekenntnis an die Sichtbarwerdung des Ewigen als Mensch. Wie es ja schon auch bei den Sargdeckelbemalungen war: Man hat dort ein ideales Bild dieses Märtyrers gezeichnet, wie sein Charakter war, seine Geduld, seine Herzlichkeit. Zentrum war sozusagen: Der Ewige schuf den Menschen als sein Abbild. Welche Qualitäten hat ein Mensch, dass man das von ihm sagen kann? Das stellt vor die Frage: Wie stellt man Erbarmen dar? Wie Spiritualität? All diese Dinge, die eigentlich sehr schwer erfassbar sind?

Es geht sozusagen darum, das Wirken Gottes in der Welt darzustellen?
Sokolowsky: Die Ikone ist auch ein Bild der Zusage des Ewigen: Ich bin der, der dich aufrichtet und tröstet. Das verbindet sich mit dem Namen „Jesus“, sein Name ist Programm. Jeschua heißt: Jahwe richtet auf, er weist dir den Weg und verlässt dich nicht. So ist die Ikone auch ein Bild der Hoffnung und des Trostes. Wenn man eine moderne Ikone nimmt, z. B. eine Tschernobyl-Ikone, sieht man darauf, wie ein Atomkraftwerk explodiert; aber was dargestellt wird, ist Jesus, der die Kinder tröstet, die dem zuschauen. Die Aussage ist: Ich bin auch da, wenn eine Naturkatastrophe geschieht oder durch Menschenhand etwas völlig schiefläuft. Ich bin da, tröste euch und richte euch wieder auf. Ich bin Jesus. Deshalb suchen Menschen in Ikonen den Trost, der ihnen zugesprochen wird: Du bist nicht wertlos. Sieh mal die Heiligen, was die alles durchgemacht haben, erkundige dich um deren Biografie – sie haben einen Namen, sie sind nicht namenlos. Und wisse: Sie sind deine Vorbilder und deine Freunde, du kannst mit ihnen reden und in deinem Gewissen eine Antwort, einen Zuspruch von ihnen erfahren, wenn du vor einer Ikone stehst.

Es heißt, dass man Ikonen nicht malt, sondern schreibt?
Sokolowsky: Das Wort „schreiben“ müsste eigentlich ausgeweitet werden zu „beschreiben“. Es wird etwas beschrieben, was man im Prinzip nicht darstellen kann. In Jerusalem gibt es etwa die schöne Ikone der Blindenheilung. Da wird die Heilung eines Blinden kombiniert mit den beiden Jüngern, die von Jerusalem nach Emmaus unterwegs sind und niedergeschlagen sind, weil ihre Hoffnung zugrunde gegangen ist. Sie sind eigentlich der Blinde, den Jesus heilt. Das findet sich so nicht im Evangelium. Aber wer es betrachtet, merkt: Was dargestellt wird, ist die Heilung von verzweifelten Menschen, die alles nur negativ sehen, und er führt sie dazu hin, die Dinge im Licht der Auferstehung zu sehen.

Möchten Sie noch ein wenig mehr sagen zur Bildsprache, wie wir sie in Ikonen finden?
Sokolowsky: Bedeutsam ist z. B. die Handhaltung. Beim Segensgestus etwa liegen Ringfinger und Daumen immer so übereinander, dass sie ein X bilden, also das griechische Zeichen für „Ch“, Christus. Das verdeutlicht, was der Glaube sagen möchte, wodurch der Segen vermittelt wird.

Ikonen wirken manchmal unwirklich, bei Gebäuden scheint die Perspektive verzerrt?
Sokolowsky: Ikonen konzentrieren sich auf das, was hauptsächlich ist. Die Nebensächlichkeiten werden absichtlich ein wenig verformt, um zu sagen: Sie sind nicht das Zentrum. Wichtig sind das Antlitz, der Blick, die Gestik und die verschiedenen Zusammenhänge, die sich aus dem Dargestellten ergeben, die man erahnen kann.
Wenn etwa Johannes der Täufer so dargestellt ist, wie er sein eigenes Haupt betrachtet, das abgeschlagen auf einer silbernen Platte liegt, ist das vollkommen unrealistisch, aber es bedeutet: Er kann sich als Märtyrer seiner Überzeugung sehen, wenn er zu Herodes sagt, dass sein Vorbild für das Volk sehr schlecht ist – auch wenn ihn das den Kopf kosten könnte.
So kann der Betrachter erahnen: Welche Vorbilder habe ich? Was bringe ich zu einem guten Zeitpunkt geistvoll vor, um nicht sinnlos meinen Kopf zu riskieren? Viele Russen sagen zum Beispiel jetzt: So war Alexej Nawalny. Er hat sich gut überlegt, wiederum zurückzukommen, obwohl er nach seiner Vergiftung bereits im Westen war, und ist dadurch zu einem Beispiel inneren Widerstands geworden.

wikicommons/the yorck project
Andrej Rubljow, Dreifaltigkeit (um 1400, Moskau/Tretyakov-Galerie)

Es gibt eine sehr bekannte Ikone der Heiligen Dreifaltigkeit von Andrei Rubljow– möchten Sie uns diese ein wenig erklären?
Sokolowsky: Rubljows Ikone zeichnet sich aus durch den liebenden Blick, der Vater, Sohn und Heiligen Geist verbindet. Sie sind versammelt um den Tisch, den Abraham ihnen angeboten hat, und sind verbunden, indem sie einander liebenswert anblicken. Darin zeigt sich auch die Bitte, dass die Menschen, geschaffen als Abbild des Ewigen, in diesem liebenden Blick selbst erkennen, was sie mit ihrer Art des Anschauens anderer bewirken können: nämlich diese innere Spiritualität der Harmonie, der Freude, des Akzeptierens.
Die Ikone möchte das Zusammenwirken der Heiligen Dreifaltigkeit erahnen lassen: Beachte den Blick, die Kopfhaltung. Das Wirken durch die Hände: Der Vater gibt nur seinen Segen. Er berührt den Altartisch nicht. Der Heilige Geist berührt ihn nur mit einem einzigen Finger, d. h. er ist nicht Mensch geworden. Jesus berührt den Altar mit der ganzen Hand, er wirkt dort. Was in der Schale liegt, könnte man von der Farbe her als einen Klumpen Fleisch oder als Brotlaib sehen. Sieht man aber genau hin, ist es ein gewickeltes Kind: Man sieht das Köpfchen und den gewickelten Körper – die Menschwerdung ist dargestellt.
Die Farbgebung: Nur bei Jesus ist die Farbe konsistent. Er hat ein blaues Unterkleid, die göttliche Natur, und ein rotbraunes Oberkleid, die menschliche Natur. Braun als Erdfarbe, rotbraun als Erde und Blut, Menschwerdung und Passion. Beim Vater scheint ganz fein nur die Farbe durch die Kleidung, das dominierende ist die göttliche Natur, er ist nie sichtbar geworden. Der Heilige Geist in Grün, der Wiederbeleber, steht für alles, was Jesus zugesagt hat: Er wird euch an alles erinnern, er wird euch begleiten.
Die Stäbe: Der Stab des Vaters endet in seiner Hand. Das ist die Schöpferhand. Sein Wirken ist die Schöpfung. Er führt den Kosmos, der Stab ist die Repräsentanz des Führens. Der Stab Jesu endet beim Altartisch. Der Stab des Heiligen Geistes endet bei seinen Füßen: Er ist der Begleiter des Lebens.
Diese Details weisen darauf hin, dass es sich nicht um irgeneine Darstellung handelt, sondern um eine elementare Wesensdarstellung, die abzubilden versucht, was die Dreifaltigkeit ist und wie sie wirkt.

Interview: Georg Haab

Zur Person: P. Iwan Sokolowsky, geb. 1940 in Wien, ist Jesuit, studierte Theologie und vergleichende Religionswissenschaft und lehrt die Spiritualität der Ikonen und der orientalischen Kirchen.