Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Heute schon gestritten? – Konflikte in der Familie konstruktiv lösen

Richtiges Streiten will gelernt sein. Um Konflikte konstruktiv lösen zu können, müssen bestimmte Regeln eingehalten werden.

Streit ist vermutlich so alt wie die Menschheit. Wo Menschen zusammenleben, kommt es immer wieder zu Konflikten. In so herausfordernden Zeiten wie diesen stehen Streitgespräche an der Tagesordnung. Am Arbeitsplatz, im Bus, zwischen Tür und Angel – und vor allem in der Familie. Viele Menschen versuchen, der Harmonie zuliebe so gut es geht, Streit zu vermeiden. Doch ist das sinnvoll?

„Das hängt ganz von der Situation ab. Wenn man Streitereien immer vermeidet, werden auch viele Gefühle, die damit verbunden sind, unterdrückt. Irgendwann kann man die Emotionen nicht mehr im Zaum halten, und dann kann es zu einer Art Explosion kommen“, weiß Familienberaterin Romana Ravnjak. Daher sei es besser, sich der Auseinandersetzung zu stellen.

Doch es gibt auch Situationen, die man von vornherein verhindern kann. Im Familienalltag kann man einen sich anbahnenden Streit auch positiv beeinflussen. Dazu rät die Expertin, zunächst gemeinsam bestimmte Regeln, die von allen akzeptiert werden können, zu vereinbaren. Wie kann Streit gelingen? Dafür sind mehrere Faktoren wichtig. Meistens geht es in einem Streit um individuelle Bedürfnisse. „Jeder Mensch möchte, dass seine Bedürfnisse gestillt werden. Ist das nicht der Fall, kann es zu Streit kommen“, so Ravnjak. Damit ein Streit „gelingen“ kann, brauche es gewisse Konfliktlösungskompetenzen. Im Idealfall wird eine konstruktive Konfliktlösung erreicht.

Wie aber kann man konstruktiv streiten? Ravnjak: „Jede Streitpartei braucht genug Zeit, um ihren Standpunkt darlegen zu können. Es braucht gegenseitiges aktives Zuhören, um wahrnehmen zu können, worum es dem anderen wirklich geht. Und es braucht eine vorwurfsfreie Kommunikation.“ Ravnjak rät weiters: „ Am besten erzählt man seine Sichtweise in Ich-Botschaften und bezieht auch die Gefühle mit ein, die einen dazu begleiten. „Wie geht es mir damit?“, lautet dabei die zentrale Frage. „Diese Vorgehensweise führt dazu, dass mich mein Gegenüber besser verstehen kann und genauso umgekehrt.“

Richtiges Streiten will also gelernt sein, und je früher man in der Famile damit beginnt, umso besser. Wie kann man Kindern das beibringen?

Ravnjak: „Im Kleinkindalter ist es wichtig, dass Eltern den Kindern konstruktives Streiten vorleben und vorzeigen. Da können sich die Kinder viel abschauen.“ Vor allem im Kleinkindalter signalisiert das klare Nein der Erwachsenen dem Kind, dass das Verhalten nicht in Ordnung war. Danach sei es wichtig, dem Kind zu zeigen, „wie wir die Situation lösen können“. Wenn z. B. ein Kind dem anderen wehtut, dann kann man gemeinsam mit dem eigenen Sprössling das andere Kind, dem wehgetan wurde, die Hand mit folgenden Worten streicheln: „So machen wir das!“

Sind die Kinder größer, so ab dem 4. Lebensjahr, kann die Konfliktlösung „anspruchsvoller“ gestaltet werden, weil sich die Kinder sprachlich ausdrücken können. Muss oder soll man sich einmischen, wenn Kinder sich zanken?

„Wenn man merkt, dass der Konflikt eskaliert, sollte man als Elternteil eingegreifen. Aber: Ohne Schuldzuweisungen und Vorwürfe,“ rät Ravnjak. Die Frage „Kann ich euch helfen?“ wäre schon ein guter Einstieg. In weiterer Folge sollte man die Kinder erzählen lassen und versuchen, gemeinsam mit ihnen eine Lösung zu finden.Ganz wichtig in jeder Streitsituation ist es, die Ruhe zu bewahren. Und es ist nicht immer notwendig zu schlichten. Ravnjak: „Wir dürfen Kindern auch Verantwortung zutrauen und dass sie gewisse Situationen selbst klären können.“

Wer kann sich nicht an diesen Spruch erinnern? – „Der Klügere gibt nach ...“ Doch nicht immer ist es gut, wenn der Klügere nachgibt. Warum? „Soll ein Konflikt konstruktiv gelöst werden, ist es wichtig, dass die Streitparteien gleich zufrieden aus dem Gespräch gehen. Gibt einer nach, bedeutet das Verzicht, und damit bleibt eine Unzufriedenheit. Der Streit wurde nicht konstruktiv gelöst“, so Ravnjak.

Kinder haben oft eine sehr geringe Frustrationstoleranz. Das ist ganz normal, denn Kinder entwickeln ihre Frustrationstoleranz erst im Laufe ihrer Entwicklung. Erste Erfahrungen werden in der Trotzphase gemacht. Konstruktive Konfliktlösungen helfen, die Frustrationstoleranz zu erhöhen. Ravnjak: „Wenn Kindern nicht gleich alle Wünsche von ihren Augen abgelesen und erfüllt werden, steigert das auch ihre Frustrationstoleranz. Selbstverständlich kann es durch eine niedrige Frustrationstoleranz zu verstärkten Ausbrüchen der Gefühle kommen.“ Was kann man tun, um zu deeskalieren?

Die gute Nachricht: Wutausbrüche kommen und gehen auch wieder. Deshalb kann man kleinere Wutausbrüche auch sicher ganz gut aushalten. „Denn in der Wut hat man keine Chance, zum Kind durchzukommen. Das gelingt erst, wenn sich das Kind beruhigt hat. Je kleiner Kinder sind, desto wichtiger ist die Begleitung der Eltern in Wutausbrüchen“, so Ravnjak. „Damit sich das Kind nicht verletzt, damit es niemand anderen verletzt und nichts kaputt macht.“ Damit Wut nicht so eskalieren muss, sei es wichtig, mit dem Kind erst danach über den Vorfall zu sprechen.

Zur Person:

Romana Ravnjak Entspannungsoase „silence4you“ Familienberaterin, Gesundheits- und Achtsamkeitstrainerin, Entspannungsexpertin

von Anna Maria Bergmann-Müller