Fritz Orter: Friedensreporter
Der ehemalige ORF-Journalist im Gespräch über aktuelle Krisenherde und die Reaktion Europas
Der bekannte Journalist über die aktuellen Krisenherde im Nahen und Mittleren Osten, die Flüchtlingswelle und was man als "Friedensreporter" bewirken kann
Herr Dr. Orter, Sie waren an zig Kriegsschauplätzen weltweit als Reporter im Einsatz. Sie lehnen aber den Begriff des „Kriegsberichterstatters“ ab und sprechen vom „Friedensreporter“. Was kann man durch Berichterstattung bewirken?
Orter: Die Medienkonsumenten für das Grauen des Krieges sensibilisieren, Empathie wecken für die Opfer. Mehr kann ein „Friedensreporter“ nicht tun.
In Tainach sprechen Sie am 18. Februar über den „Arabischen Frühling“. Fünf Jahre danach herrscht in den meisten dieser Länder tiefster Winter. Wie ist dieser Wandel zu erklären?
Orter: Weil weder Demonstrationen, Wahlen, noch Kämpfe das Ziel erreicht haben, dass die alten Regime in dieser Region gestürzt werden konnten.
Wie weit werden in diesen Ländern Stellvertreterkriege gefochten, wie wir sie noch aus dem Kalten Krieg kennen?
Orter: 100 Jahre nach Aufteilung der Region durch die damaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien gelten die von ihnen gezogenen Grenzen nicht mehr. Die damals vermeintliche Neugestaltung des Nahen und Mittleren Ostens zerfällt in Blut, Rauch und Trümmer.
Sie waren ganz zuletzt noch in Syrien. Was macht diesen Krieg anders? Wie konnte er sich zu einem derartigen Flächenbrand entwickeln?
Orter: In Syrien sitzt die Regierung Assad den Aufstand aus. Assad setzt mit Hilfe Moskaus auf eine Eskalation und Militarisierung des Konfliktes. Um die Macht zu erhalten, nimmt er zynisch die Zerstörung des Landes in Kauf, spielt die internationale Gemeinschaft gegeneinander aus, mit dem paradoxen Ergebnis, dass aus Angst vor dem IS und weiteren Flüchtlingswellen inzwischen europäische Politiker Assad nicht mehr als Verursacher der Katastrophe sehen, sondern als wichtigsten Partner zu deren Lösung.
Apropos Islamischer Staat: Eine neue Wendung bekam der Konflikt durch die Erfolge des IS. Wie beurteilen Sie das Potenzial der Islamisten? Wie kommt es, dass sie so lange unterschätzt wurden?
Orter: Arroganz, Ignoranz und Dummheit westlicher politischer Eliten hat dieses Konfliktpotential unterschätzt.
Die EU scheint in diesem Konflikt machtlos. Auch gegenüber Russland gibt es ganz unterschiedliche Signale der Mitgliedsstaaten. Hat Europa außenpolitisch überhaupt ein Gewicht?
Orter: Nein, wir sind in der jetzigen Verfassung militärisch hilflos, ein Protektorat der USA – mehr oder weniger. Aus nationalistischen Eigeninteressen handlungsunfähig für gemeinsame Interessen.
Die EU stützt sich derzeit auf die Türkei als Verbündeten – sowohl bzgl. Syrien als auch als Auffangbecken für Flüchtlinge. Kann Erdogans Türkei ein echter Verbündeter sein?
Orter: Nein. Erdogan versucht den Politspagat. Nach gescheiterten türkischen Vermittlungsversuchen in Syrien 2011 vollzog er eine 180-Grad-Kehrtwendung. Er betreibt seither den Sturz Assads, suchte die Annäherung an Saudi-arabien, die Führungsmacht der arabischen Golfkoalition gegen Assad, den Hauptgegner des Iran am Golf und im Irak. Mit dieser Kehrtwende traf die türkische Politik frontal auf die russischen Interessen im Nahen Osten. Deren Folgen sind die syrischen Flüchtlingsstöme, die auch die Türkei zu destabilisieren drohen.
Wie bzw. woher können erfolgreiche Friedenslösungen für Syrien kommen?
Orter: Nur wenn der Iran und Saudiarabien in der Region wirklich Frieden wollen. Zur Zeit schaut es nicht so aus. Denn dieser Krieg ist auch ein Konfessionskrieg: Sunniten gegen Schiiten.
Manche meinen, man sollte mit Russland gemeinsame Sache machen und Assad unterstützen. Wie beurteilen Sie die Rolle der Russen in diesem Konflikt?
Orter: Die Russen bombardieren die Obergrenze der von der EU geforderten Flüchtlingsquote in Grund und Boden. Realpolitisch sind sie ein Partner für Friedensgespräche. Natürlich. Aber noch sind nicht genug Syrer tot oder vertrieben.
Aus Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens kommen täglich Tausende Menschen nach Europa. Sie haben in Ihrem Leben Flüchtlingsströme und zahllose Flüchtlinge gesehen. Wie beurteilen Sie die weitere Entwicklung?
Orter: Wir sind Zeugen einer Zeitenwende. Wir begreifen noch nicht, dass Europa in zehn Jahren nicht mehr dasselbe sein wird, das wir seit 60 Jahren kannten.
In Ihrem beeindruckenden Buch „Ich weiß nicht, warum ich noch lebe“ schrieben Sie 2014 u. a. über den Wandel des Reporter-Berufes. Wenn Sie heute Berichte von den Krisenherden der Welt sehen – wie geht es Ihnen dabei? Verspüren Sie manchmal noch Lust, selbst wieder als Reporter von Krisenherden zu berichten?
Orter: Das Bedrückende für mich ist: Ich habe Ähnliches als Reporter schon alles gesehen, miterlebt, mit gelitten, zu helfen versucht, darüber berichtet. Und nichts verändern können. Zum Guten oder gar Besseren.