Einen Platz für das Evangelium in der Gesellschaft suchen und finden
Josef Marketz im Gespräch mit Anna Maria Bergmann-Müller
Der Kärntner Bischof über Erneuerungsprozesse in der Katholischen Kirche: Vom weltweiten synodalen Weg bis zum Kirchenentwicklungsprozess in Kärnten
Lieber Herr Bischof! Weihnachten steht vor der Tür. Das Jahr endet fast so, wie es begonnen hat: Die Krisen sind geblieben, ein weiterer grausamer Kriegsschauplatz ist im Nahen Osten dazugekommen. Kann uns das Jesukind in der Krippe Hoffnung spenden?
BISCHOF MARKETZ: Der Krieg im Heiligen Land tut mir besonders weh. Ich lade alle Leserinnen und Leser ein zu einem kurzen Gebet unter dem Christbaum für die leidvoll betroffenen Menschen. Was kann Hoffnung spenden? Ich wünsche mir konstruktive Kommunikation, ehrliche Gespräche, auch zwischen jüdischen und palästinensischen Bürgern in Österreich. Nur so können sich Türen zur Überwindung von Gewalt öffnen. Ich wünsche aber auch allen Kärntner:innen, dass der Christabend von wertschätzenden, guten Gesprächen geprägt sein wird, bei denen jeder zu Wort kommt und alle aufmerksam zuhören, ohne sofort zu entgegnen und zu diskutieren. Teilen Sie mit Ihren Lieben, was Sie am heutigen Abend berührt! Was Sie tröstet, bewegt oder betroffen macht. Vielleicht beschließen Sie den Abend gemeinsam mit der Christmette?
Kirchenpolitisch hat sich weltweit, aber auch bei uns in Kärnten einiges getan. Der Synodale Prozess, den Papst Franziskus ausgerufen hat, schreitet voran. Der Kirchenentwicklungsprozess in Kärnten ebenso. Wozu braucht es diese Neuorientierung?
BISCHOF MARKETZ: Wir müssen uns fragen: Was ist uns wichtig? Vor allem aber: Was brauchen die Menschen? Wir wollen unseren Glauben in jede Zeit, in jede veränderte Kultur verkünden. Das ist die geistliche Dimension unseres Prozesses. Es ist aber auch so, dass die Kirchen leerer werden, wir weniger eigene Priester haben. Daher geht es auch darum, junge Menschen für die Nachfolge Jesu zu begeistern, Strukturen zu hinterfragen und Maßnahmen zu setzen. Das Neue an diesem Prozess, das mich wirklich freut, ist die große Beteiligung. Fast 5.000 Katholik:innen haben sich eingebracht. Ihre Rückmeldungen wurden in die Grundorientierung eingearbeitet. Jetzt geht es um konkrete strategische Ziele, die dann umgesetzt werden.
Muss sich die Kirche nicht den Vorwurf gefallen lassen, dass sie zu selbstbezogen ist, dass zu viel Zeit in Gremien verbracht wird, anstatt draußen bei den Menschen mit ihren Sorgen und Nöten zu sein?
BISCHOF MARKETZ: Das ist ein Vorwurf, der mich sehr ärgert. Wir hatten schon lange keinen Papst mehr, der so politisch war, der die großen Fragen der Welt aufgreift und kommentiert. Viel lauter als jetzt können wir, die Katholische Kirche, in der Weltpolitik nicht sein. Papst Franziskus redet mehr als jeder andere über Armut, Klimagerechtigkeit, Krieg und Frieden. Die Kirche ist am Puls der Zeit – weltweit.
Und in Kärnten? Was ist das Ziel des Kirchenentwicklungsprozesses?
BISCHOF MARKETZ: Ziel des Prozesses ist es, angesichts der Herausforderungen unserer Zeit als Kirche den Menschen mit ihren Hoffnungen und Sorgen auf zeitgemäße Weise zur Seite zu stehen und ihnen die Kraft des Glaubens erfahrbar zu machen. „Weil Gott Liebe ist ... Für eine Welt – in der die Menschen fürei-nander da sind“ – so lautet ja auch das Motto des Kirchenentwicklungsprozesses unserer Diözese. Die zentrale Frage lautet: Wie können wir Gottes Liebe in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen spürbar machen?
Ein Kirchenerneuerungsprozess löst bei vielen Gläubigen große Erwartungen aus. Sind konkrete Ergebnisse bei den sogenannten „heißen Eisen“, also Frauendiakonat, Pflichtzölibat etc., in absehbarer Zeit überhaupt erwartbar oder ist der synodale Weg schon das Ziel?
BISCHOF MARKETZ: Die sogenannten „Heißen Eisen“ werden auf weltkirchlicher Ebene gelöst. Da kann keine Diözese einen Alleingang beschreiten. Wer solche Erwartungen hat, muss enttäuscht werden. Es gibt aber auch andere, die um kirchliche Traditionen fürchten. Dass so ein Prozess – ob in der Weltkirche oder in einer Diözese – polarisiert, ist auch eine Wirklichkeit in der Kirche. Es geht nicht darum, dass man alle Meinungen auf einen Nenner bringt, sondern dass man miteinander redet und zuhört. Die Gesellschaft entwickelt sich sehr schnell. Darauf muss auch die Kirche Rücksicht nehmen. Denn Ziel ist es schon, einen Platz für das Evangelium in der gegenwärtigen Gesellschaft zu suchen und zu finden.
Es gibt ja auch einige große Themen in der Kirche, die gesellschaftlich relevant sind.
BISCHOF MARKETZ: Ja, die gibt es. Was mir bei unserem Prozess wichtig ist, sind etwa die Randgruppen der Gesellschaft. Sie haben jetzt im Synodalen Prozess einen Platz gefunden. Ein Beispiel dafür ist die Regenbogenseelsorge, der Umgang der Kirche mit der LGBTQ-Bewegung. Überall, auch in der Kirche, gibt es verschiedene Antworten. Wir müssen mehr aufeinander hören, miteinander reden, die anderen neben uns akzeptieren. Die Menschen wollen oft im eigenen Denken und Handeln bleiben, nicht nach links und rechts schauen. Die Frage ist: Wie geht es den anderen mit uns? Und umgekehrt.
Wie sehen Sie die Zukunft der Katholischen Kirche?
BISCHOF MARKETZ: Jesus sagt sehr oft: „Fürchtet euch nicht!“ Das sage ich auch im Zusammenhang mit der Kirche, aber auch im Zusammenhang mit Erneuerungsprozessen. In den 2000 Jahren ihrer Geschichte hat die Katholische Kirche schon viele Krisen erlebt. Aber ich sage auch: In der Kirche geht es um das gute Leben, das alle Menschen sich für ihre Zukunft wünschen. Es geht nicht nur um das Überleben der Institution. Wir sollten uns deshalb nicht an Strukturen krallen. Wir müssen neue, auch innovative Formen des kirchlichen Lebens suchen.
Kann der Entwicklungsprozess aus der Krise führen?
BISCHOF MARKETZ: Krisen helfen uns, auf das Wesentliche zurückzukommen. Wie erfolgreich die Kirchenentwicklung sein wird, hängt davon ab, wie sie nach außen wirkt: Spüren die Menschen in Kärnten auch, dass ihre Kirche mit ihnen neue Wege geht, offen auf sie zugeht und ihnen in guten wie schlechten Zeiten zur Seite steht? Aber ich bin optimistisch. In Kärnten ist jetzt im Advent und zu Weihnachten in jeder Pfarre so viel los. Die Pfarren laden Menschen ein, mit Bräuchen und Traditionen auf Weihnachten zuzugehen, um die christliche Kultur aufrechtzuerhalten. Die Einladung besteht. Die Frage ist: Reicht die Tiefe, um existenzielle Fragen, die jetzt durch die Krisen kommen, zu beantworten? Diese Zeit ist auch für Christen eine Herausforderung. Mit Gott werden wir es schaffen.
Die modernen Medien haben es möglich gemacht, dass man Gottesdienste ganz bequem auf der Couch jederzeit mitfeiern kann. Während der Corona-Pandemie war uns das nützlich, viele haben es sich zur Gewohnheit gemacht. Warum ist kirchliche Gemeinschaft in Präsenz wichtig für die Gläubigen?
BISCHOF MARKETZ: Ich bin froh, wenn die Menschen die Messen zu Hause mitfeiern! Wenn sie Gemeinschaft haben wollen, wenn die Angebote passen, werden sie auch gerne in die Kirche kommen. Für alte Menschen, Kranke und Gebrechliche ist es jedenfalls ein Segen, insbesondere jetzt im kalten Winter. Ich sehe daran nichts Negatives.
Gerade zu Weihnachten werden Erwartungen hochgeschraubt, werden zerbrochene Beziehungen, der Verlust von lieben Menschen, gescheiterte Lebensentwürfe, unerfüllte Träume besonders schmerzlich bewusst. Was kann trösten?
BISCHOF MARKETZ: Das alles gehört zu unserem Leben dazu. Was ist mit denen, die sterben, die schuldig werden, die trauern? – Auf diese Fragen versuchen alle Religionen eine Antwort, so auch die jüdisch-christliche. Gerade die Roratemessen im Advent mit ihren prophetischen Lesungen und ihrer Symbolik – die dunklen Kirchen mit den brennenden Kerzen, die wohltuende Stille – laden dazu ein, über Licht und Finsternis auch im Leben nachzudenken und auf das Kommen des Trösters, des Retters zu hoffen. Man wird gefestigt.