Der Laptop ersetzt keine Bildung
Klaus Schönberger im SONNTAG-Gespräch über die digitale Welt
Klaus Schönberger, Professor für Kulturanthropologie an der Universität Klagenfurt über die Digitalisierung, was Jugendliche in der digitalen Welt lernen sollen und warum der Laptop im Klassenzimmer nicht die Lösung aller Probleme bringt.
Bei den Toleranzgesprächen wurde die Frage nach Digitalisierung und Freiheit gestellt. Bringt die Digitalisierung mehr Freiheit oder mehr Einschränkungen, Überwachung und Gefahren?
Schönberger: So eindeutig kann man diese Frage nicht beantworten. Unter bestimmten Bedingungen bedeutet die Digitalisierung ein Mehr an Freiheiten und Möglichkeiten. Aber sie kann auch die Hölle sein. Nehmen Sie die Trennung von Arbeit und Freizeit: In der Gesellschaft hat sich der 8-Stunden-Tag durchgesetzt. Durch die Digitalisierung sind wir permanent erreichbar. Es hängt davon ab, welcher Tätigkeit Sie nachgehen. Sind Sie auf ständige Erreichbarkeit angewiesen und die Arbeit macht Ihnen Spaß, ist für Sie die Digitalisierung eine sinvolle und praktische Erweiterung. Müssen Sie aber dauernd zur Verfügung stehen und können gar nicht mehr abschalten, dann begeben Sie sich durch die Digitalisierung in völlige Abhängigkeit.
Besonders abhängig – so scheint es – sind Jugendliche. Ständig sind sie am Handy ...
Schönberger: Jugendliche, die dazu gehören wollen, können – und möchten – nicht abschalten. Wer Teil der Gruppe sein möchte, darf das nicht. Einerseits hört sich die Freiheit hier schon wieder auf. Aber die Nicht-Zugehörigkeit macht auch nicht freier.
Braucht es eigentlich neue, spezielle Kompetenzen, um im Internet und der digitalen Welt bestehen zu können? Was sollten junge Menschen in der Schule zum Thema Digitalisierung lernen?
Schönberger: Das ist mir ganz wichtig: Wenn ich junge Menschen für diese Gesellschaft ausbilden möchte, muss ich sie nicht vor einen Computer setzen. Ich muss sie in ihrer Urteilskraft stärken. Ich muss ihnen die Fähigkeit mitgeben, Entscheidungen zu treffen. Das lernen sie jenseits des Internets und das wäre eigentlich bis jetzt auch schon wichtig gewesen.
Was halten Sie von der Diskussion um die Laptop-Klassen?
Schönberger: Hier herrscht ein technikdeterministisches Verständnis vor. Ich sage ganz klar: Wir brauchen die Laptops in der Schule höchstens, um ins Internet zu kommen. Aber nicht zum Zweck der Bildung. Wir brauchen auch keine Lehrer, die auf dem neuesten technischen Stand sind. Wir brauchen Lehrer, die den Jugendlichen vermitteln, wie man sich fragend durch die Welt bewegt. Wenn die Schüler dafür den Computer benutzen, ist das gut. Aber zu glauben, nur weil ein Laptop in der Klasse steht, ist alles getan, greift viel zu kurz.
Gerade ältere Menschen sehen im Umgang der Jugend mit dem Internet ein Risiko. Gehen dadurch Kulturtechniken, wie das Lesen von Zeitungen, verloren?
Schönberger: Hätte ich heute die Jugendlichen gefragt, wer Zeitung liest, hätte wohl niemand aufgezeigt. Aber das war doch früher nicht anders! Erst ab einem bestimmten Lebensstil und -alter wird die Zeitung interessant. Ich meine, die heutigen Jugendlichen werden nicht ewig im Internet hängen, sondern abhängig von ihrer Lebensweise und ihrer biografischen Station werden sie je sehr unterschiedliche Informationsmöglichkeiten suchen und nutzen.
Sie sehen die Situation eigentlich sehr gelassen ...
Schönberger: Ich weigere mich, wegen jeder Entwicklung gleich „Alarm!“ zu rufen. Auf der anderen Seite falle ich auch nicht gleich in Euphorie. Diese Gelassenheit empfehle ich auch allen Eltern. Worauf wir aber schon achten müssen, das ist die Frage nach Datenschutz: Wem werden meine Daten noch zugänglich gemacht und was können Netz-Anbieter damit machen? Das sind die entscheidenden Fragen, wenn man sich im Internet bewegt.
Aber gerade jetzt ist viel vom Hass im Internet die Rede. Sehen Sie eine gesellschaftliche Verrohung durch soziale Foren, in denen anonym gehetzt wird?
Schönberger: Ich meine, dass die Sozialen Medien gewisse Diskurse, die es schon vorher gab, einfach sichtbarer machen. Ich halte nicht so viel von der These einer Verrohung durch das Internet. Die Leute haben schon vorher genauso gesprochen oder gedacht. Man darf nicht übersehen, dass wir hier ja nur von einer ganz kleinen Minderheit sprechen. Aber es wäre eine Illusion, dass mein Kommentar, und sei er noch so hämisch, politische Entscheidungen beeinflusst. Man würde Facebook grenzenlos überschätzen, wenn man meint, dass die dortigen Meinungen richtungsweisend wären. Insofern bin ich relativ gelassen. Ich halte das für eine verkürzte Sicht auf ein grundlegenderes Phänomen.
Manche Staaten sehen das anders. Wie beurteilen Sie den Einfluss Russlands etwa auf die US-Wahl?
Schönberger: Auch das ist nichts Neues! Wir kennen das schon aus dem Kalten Krieg. Die Sowjets und die USA haben jeweils versucht, die andere Seite medial zu manipulieren. „Radio Free Europe“ auf amerikanischer Seite war nichts Anderes. Aber weil es jetzt digital und für uns mit einer neuen Technik stattfindet, vermeinen wir, darin eine viel größere Gefahr zu sehen. Auch hier appelliere ich daran, nicht in Panik zu verfallen.
Spricht man von Digitalisierung, stehen sehr oft die Probleme im Fokus. Welche erweiterten Möglichkeiten sehen Sie?
Schönberger: Sicher gibt es durch den digitalen Zusammenschluss in Gruppen eine erweiterte Form der Teilhabe. Man kann sich zusammenschließen und austauschen. Auch das ist eine Form der Horizonterweiterung. Aber bestimmte Formen der Kommunikation laufen einfach nur im direkten, persönlichen Austausch. Das geschriebene Wort wirkt oft ganz anders. Wir werden sehen: Die Veralltäglichung wird neue Praktiken und Regeln hervorbringen. Ich empfehle, den Ball flach zu halten.