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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Das Wichtigste im Leben ist nicht Leistung

Barbara Schubert, Salzburger Theologin zum Welt-Downsyndrom-Tag und welchen Mehrwert ihr Sohn in das Leben der Familie gebracht hat

Foto: Schubert
Bildunterschrift (Bildrechte sind zwingend anzugeben!)

Der 21. März ist Welt-Downsyndrom-Tag. Was bedeutet Ihnen dieser Tag?
Schubert: Für mich ist es ein Feiertag, ein Tag, an dem ich die Freude über meinen Sohn Samuel – er ist mit dem Down-syndrom geboren – teile. Ich versuche heuer, mit einer Plakataktion zu vermitteln: Menschen mit Downsyndrom führen ein glückliches, gesundes Leben inmitten ihrer Lieben, sie wollen so weit wie möglich selbstbestimmt mitten in der Gesellschaft leben, und sie wollen sich einbringen.

Wie ist für Sie das Leben mit einem Kind mit Downsyndrom?
Schubert: Samuel ist das jüngste von meinen drei Kindern und mittlerweile 17 Jahre alt. Er bereichert unsere Familie, wie jedes unserer Kinder eine Bereicherung ist. Durch seine Geburt kamen zusätzlich neue Themen in unser Denken, und die beeinflussen nach wie vor unser Handeln. Das sind z. B. die Fragen „Was ist normal?“, „Wie wichtig ist Leistung in unserer Gesellschaft?“, „Wie schnell muss man sein, um dazuzugehören?“ Diese Fragen öffnen mir immer wieder den Blick in Richtung: „Was ist mir wirklich wichtig?“ Eine besondere „Qualität“ ist mir sein Langsam-Sein geworden, meistens zumindest. Es holt mich herunter und heraus aus mancher Hektik: Wenn ich gestresst bin, ist Samuel automatisch noch einmal langsamer und führt mir vor Augen, dass ich mich entspannen, durchatmen soll.
Wo steht geschrieben, dass man im Strom mitschwimmen und immer bei den Ersten, Besten und Schnellsten sein muss? Vieles ist Einstellungssache.
Ich würde sagen, manchmal hat das Leben mit Samuel etwas Kontemplatives, oft fühle ich mich so hingestoßen auf Wesentliches. Natürlich könnte ich Geschichten erzählen, die mich an den Rand des Erträglichen gebracht haben. Samuel hatte Phasen gehabt, in denen er viel weggelaufen ist, auch im Urlaub. Da hat er auf seine Langsamkeit vergessen und hat uns „Blut schwitzen“ lassen. Es ist immer alles gut ausgegangen, er war nie länger als 45 Minuten verschwunden. Für ihn waren das keine schlechten Erfahrungen, und wir waren immer so froh, wenn das Kind wieder da war, dass das Schimpfen und die Sanktionen vergessen waren.

Wie kann er sein Leben leben, früher, jetzt als Jugendlicher?
Schubert: Samuel ist 17 Jahre, er kann nach diesem Schuljahr noch ein Jahr zur Schule gehen, leider nicht mehr inklusiv – das sieht unser Schulsystem nicht vor. Die Schule spielte und spielt natürlich eine wichtige Rolle, in der IMS (inklusive Mittelschule) der Diakonie war er immer mittendrin. Die Dynamik seiner Klasse hat ihn mitgenommen und ihm gut getan, er hat immer dazugehört. Er war und ist beliebt bei seinen Mitschülerinnen und -schülern mit und ohne Behinderung, er erlebt sich als „normal“, er gehört dazu – das war und ist mir sehr wichtig! Die Orientierungsstufe der Diakonie, die er nun besucht, bietet sehr viel Vernetzung und, wo es geht, Inklusion im Schulalltag: schon durch die räumliche Nähe zur inklusiven Mittelschule und die Kooperation mit dem MORG (Montessori-Oberstufen-Real-Gymnasium), dazu gemeinsame Theaterprojekte, gemeinsamen Chor: Das gefällt Samuel sehr, und er ist mit Begeisterung dabei.
Freizeitprogramm ohne Eltern wird immer wichtiger. Das ist jedoch keine so leichte Aufgabe für uns alle. Diesen Winter waren wir viel Schifahren, und Samuel fährt jetzt schon sehr gut und schnell und ist stolz darauf.
Gleichzeitig braucht er Begleitung und Unterstützung bei allem, und das ist und wird die Herausforderung.

Wie ist das für seine Geschwister?
Schubert: Samuel hat einen Bruder, Jakob, 24 Jahre, und eine Schwester, Julia, 22 Jahre. Ich denke, wir haben das gut hinbekommen, Samuel hat uns als Kind nicht über die Maßen beansprucht, ein recht „normales“ Familienleben war und ist möglich. Seine Geschwister sind für ihn wichtige Bezugspersonen, und er für sie. Sie versuchen, ihn, so gut es geht, an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Sie haben von Anfang an gelernt, dass es normal ist, verschieden zu sein. Für uns alle gilt: Samuel ist Samuel, und es ist gut, so wie er ist. Wir haben Spaß und manchmal viel zu lachen miteinander.

Wie erleben Sie die Pandemie-Zeit?
Schubert: Samuel ist ein gemütlicher und eher ruhiger Zeitgenosse, die erste Welle vor einem Jahr haben wir erstaunlich gut überstanden: Radfahren, tolles Homeschooling-Programm mit Yoga-Videos und Kochrezepten zusätzlich zu den üblichen Arbeitsblättern ... Jetzt sind wir froh, dass die Sonderschulen immer Präsenzunterricht hatten, sonst wäre das ein sehr einsames Leben ohne Freunde für Samuel.

Ein Wort zu Pränatal-Tests, Schwangerschaft und Downsyndrom-Prognose?
Schubert: Menschen mit Downsyndrom können ein glückliches Leben führen, sie leiden nicht an ihrer Behinderung. Sie können uns neue, andere Qualitäten des Lebens vermitteln, wenn wir ihnen Teilhabe und Teilgabe ermöglichen. Das ist die eine Seite.
Die andere: Man kann werdenden Eltern so schwer vermitteln, welche Bereicherung ein Kind mit Downsyndrom sein kann. Es braucht Offenheit und nicht Angst, sich auf das einzulassen, was kommt. Die Herausforderung positiv zu sehen und nicht daran zu zerbrechen, kann man nicht erzwingen. Der Tenor in unserer Gesellschaft ist, perfekt zu sein, was auch immer das heißen mag. Sich auf das Nicht-Perfekte einzulassen, fällt daher schwer. Bei Frauen über 35 Jahren steigt das Risiko, ein Kind mit Downsyndrom zu bekommen. Daher wird ab diesem Alter fast flächendeckend eine Pränatal-Diagnostik angeboten. 98 Prozent der über Pränatal-Diagnostik gefundenen kleinen Wesen mit Downsyndrom werden abgetrieben.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was würden Sie sich wünschen?
Schubert: Eine Gesetzeslage, die es Samuel ermöglicht, mit persönlicher Assistenz, unterstützt und möglichst selbstbestimmt zu leben. Und: dass wir Menschen mit Downsyndrom und grundsätzlich Menschen mit Behinderungen als Zeugen der Vielfalt und als Bereicherung wahrzunehmen lernen.

Interview: Georg Haab

Zur Person: Barbara Schubert, geb. 1965, ist Referentin für Pastoral für Menschen mit Behinderungen. Nach ihrer Ausbildung am „Seminar für kirchliche Berufe“ 1987-92 arbeitete sie 1992-2015 als Pastoralassistentin, zuletzt 15 Jahre in der Pfarre St. Elisabeth. Sie ist verheiratet mit Michael Schubert und hat drei Kinder, Jakob, Julia und Samuel, der mit Trisomie 21, dem Downsyndrom, geboren wurde.

Link zur Downsyndrom-Selbsthilfegruppe Kärnten