Vom Zweifel zum Glauben geführt werden
Eine Hinführung zum SONNTAG DER BARMHERZIGKEIT ("Weißer Sonntag") von Klaus Einspieler
Zu Ostern feiern wir, dass Gott zu uns JA sagt, ohne Einschränkungen und Vorbehalte. Dass diese Erfahrung unser Leben bereichern kann und uns helfen kann, barmherzig zu sein, wie es auch unser Vater ist (Lk 6,36), schreibt Klaus Einspieler in dieser Hinführung zum Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit.
Am Weißen Sonntag blicken wir auf die heiligsten Tage des Kirchenjahres zurück. Am Gründonnerstag waren wir mit Jesus im Abendmahlsaal. Wir haben gehört, wie er seinen bevorstehenden Tod als Hingabe an uns gedeutet und als Herr seinen Jüngern die Füße gewaschen hat. Dieser Dienst war die Vorwegnahme seiner Liebe, die sich am Karfreitag am Kreuz offenbart hat. In der Osternacht haben wir mit den Frauen die Frage der Engel gehört: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Lk 24,5) Gott hat den Gekreuzigten auferweckt. In den darauf folgenden Tagen wurde erzählt, wie er Maria Magdalena, den Frauen und den Jüngern erschienen ist. Ihr Glaube ist zu unserem Glauben geworden, wie das Licht der Osterkerze, das wir in unseren Händen gehalten haben.
Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit
Papst Johannes Paul II. hat dem „Weißen Sonntag“ den Namen „Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit“ gegeben. Er wollte darauf hinweisen, dass die Ereignisse der österlichen Tage einer Deutung bedürfen. Sie sind Ausdruck der göttlichen Barmherzigkeit, die den Menschen von Beginn an begleitet. In den Lesungen der Osternacht ist uns dies eindrucksvoll vor Augen geführt worden. Sie erzählen vom Wohlwollen Gottes, das den Menschen und sein erwähltes Volk Israel am Leben erhält. Gleichsam als letzte und endgültige Bestätigung dieses Erbarmens haben wir das Evangelium vom Tod und der Auferstehung Jesu gehört. In ihm wird deutlich, was Israel seit den Ereignissen am Sinai geglaubt hat, dass Gott „ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue“ (Ex 34,6) ist.
Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit
Papst Franziskus hat uns eingeladen, unser Leben in diesem heiligen Jahr im Lichte des göttlichen Erbarmens zu betrachten. Vieles ist seither geschehen. Die Pforten der Barmherzigkeit stehen auch in unserer Diözese weit offen. Sie erinnern uns daran, dass Christus selbst diese Tür zum barmherzigen Vater ist. Viele Menschen haben in den Tagen der österlichen Bußzeit die Begegnung mit Gott im Sakrament der Versöhnung gesucht. Das heutige Evangelium erinnert uns daran, dass dies der erste Auftrag des Auferstandenen an seine Jünger ist: „Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben“ (Joh 20,23). Ostern ist das große Fest der Versöhnung Gottes mit dem Menschen. Gott ahndet den Tod seines Sohnes nicht nach Menschenart – durch ein Strafgericht und den Entzug seiner Liebe. Im Gegenteil – die Schuld Adams, die in der Passion Christi ihr dunkelstes Gesicht zeigt – wird von Gott zur glücklichen Schuld gewandelt. Der Evangelist Lukas erzählt in seiner Passion, die wir am Palmsonntag gehört haben, wie Jesus am Kreuz um Vergebung für seine Peiniger bittet und dem Schächer das Paradies verspricht. Ein Übermaß an Barmherzigkeit, das sich in dieser Stunde zeigt: einer gescheiterten Existenz wird der Himmel zugesagt. Anstatt zu verfluchen, segnet der Gekreuzigte und durchbricht so die Spirale von Schuld und Vergeltung.
Jesus als Lehrmeister der Barmherzigkeit
In diesem heiligen Jahr ist vielfach auf die Werke der Barmherzigkeit hingewiesen worden. Sie machen deutlich, dass Barmherzigkeit keine Einbahnstraße ist. Wer Vergebung empfangen hat, wird sie auch weitergeben. Wem Gutes getan wurde, der wird auch selbst Gutes tun. Im heutigen Evangelium wird uns Jesus als Lehrmeister der Barmherzigkeit vor Augen gestellt. Zu den Werken der Barmherzigkeit gehört es, die Betrübten zu trösten. Johannes erzählt uns, wie sich die Trauer und Furcht der Jünger nach dem Gruß des Auferstandenen – Friede sei mit euch! – in Freude verwandelt. Er macht den Jüngern keine Vorhaltungen, warum sie ihn vor wenigen Tagen verlassen haben und sich aus Angst immer noch einsperren. Mit der Zusage des Friedens befreit er sie aus der Enge ihrer Furcht. Obwohl er um ihr Versagen weiß, traut er ihnen zu, Boten der Vergebung zu werden. Auch Papst Franziskus hat daran anknüpfend betont, dass uns oft gerade die Erfahrung unserer eigenen Unzulänglichkeit zu Boten der Barmherzigkeit macht. Wir müssen allerdings wagen, uns auch selbst in die Arme des barmherzigen Vaters zu begeben. Wie können wir für die Welt Frieden erhoffen, wenn es uns selbst nicht gelingt, jenen, die uns nahestehen, in Würde zu begegnen?
Thomas, der Jünger der nicht glauben konnte, legt das erste Glaubensbekenntnis ab
Ein weiteres Werk der Barmherzigkeit ist es, Zweifelnden recht zu raten. Dies wird uns an der Gestalt des Apostels Thomas deutlich gemacht. Die Türen, hinter denen sich die Jünger aufhalten, sind noch immer verschlossen, obwohl alle bis auf Thomas dem Auferstandenen schon vor acht Tagen begegnet sind. Doch der Auferstandene hat einen langen Atem. Er kommt wieder und grüßt sie mit denselben Worten. Viele, die Trauernden oder bedrängten Menschen beistehen, teilen diese Erfahrung. Es braucht Zeit und Geduld, um den Menschen zum Vertrauen und zur Hoffnung zu führen. Dann wendet sich Christus Thomas zu. Er weiß um seine Glaubensnot und bietet ihm an, ihn zu fassen, um so das Geheimnis von Ostern zu er-fassen. So wird der Jünger, der nicht glauben konnte, zu jenem, der im Namen der Apostel das erste Glaubensbekenntnis nach Ostern ablegt – „Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,28). Thomas erscheint in diesem Evangelium wie ein Mensch unserer Zeit. Die moderne Wissenschaft hat uns viele wunderbare Einsichten eröffnet, unser Wissen wird immer weiter. Angesichts dessen sind aber nicht wenige auch zu Zweifelnden geworden. Sie wollen auch in Fragen des Glaubens vieles genauer wissen und hinterfragen, was von vielen lange Zeit fraglos geglaubt wurde. Im Apostel Thomas wird uns einer vor Augen gestellt, der durch das Fragen und Zweifeln zum Glauben gekommen ist, weil er offen war für die Begegnung mit Christus. Barmherzig zu sein heißt auf diesem Hintergrund auch, die Fragen der Mitmenschen auszuhalten, auch wenn sie einen selbst verunsichern. Aber auch zu vertrauen, dass uns Christus selbst in seinem Erbarmen vom Zweifel zum Glauben führt.
Gott sagt JA zu uns, ohne Einschränkungen und Vorbehalte
Zu Ostern feiern wir, dass Gott zu uns JA sagt, ohne Einschränkungen und Vorbehalte. Diese Erfahrung kann unser Leben bereichern und uns helfen, barmherzig zu sein, wie es auch unser Vater ist (Lk 6,36).