Synodaler Prozess für gesamte Menschheitsfamilie bedeutsam
Tschechischer Theologe Tomáš Halík eröffnet Prager Kontinentalversammlung mit spirituellem Impuls - Plädoyer wider die Angst vor Veränderungen
Prag, 06.02.2023 (KAP) Mit einem Plädoyer wider die Angst hat der tschechische Priester und Religionssoziologe Tomáš Halík zum Auftakt der Prager Kontinentalversammlung zum Synodalen Prozess den Delegierten aus 39 Ländern Mut zu Veränderungen in der Kirche gemacht. Halik hielt am Montagvormittag zu Beginn der Beratungen einen ausführlichen spirituellen Impuls. Er setzte dabei große Hoffnungen in die "Wiederbelebung des synodalen Charakters der Kirche" in Europa. Halik weitete aber auch den Blick darüber hinaus: Die Hinwendung der Kirche zur Synodalität könnte einen positiven Einfluss auf das Schicksal der gesamten Menschheitsfamilie nehmen.
Der Theologe ging in seinen Ausführungen u.a. auf die "dunkle Seite der Globalisierung" ein. Er sprach von der "Ausbreitung von Gewalt, von den Terroranschlägen auf die Vereinigten Staaten im Jahr 2001 bis zum Staatsterrorismus des russischen Imperialismus und dem aktuellen von Russland begangenen Völkermord in der Ukraine". Er benannte Pandemien, die Umweltzerstörung, aber auch die "Zersetzung des moralischen Klimas durch Populismus, Fake News, Nationalismus, politischen Radikalismus und religiösen Fundamentalismus".
Man befinde sich global in einem entscheidenden Moment, so Halik. Die Hinwendung des Christentums zur Synodalität und die Umwandlung der Kirche in eine dynamische Gemeinschaft von Pilgern könnte Einfluss auf das Schicksal der gesamten Menschheit haben. "Synodale Erneuerung kann und sollte eine Einladung, Ermutigung und Inspiration für alle sein, gemeinsam zu wandern, zu wachsen und zu reifen", so der Theologe wörtlich.
Es stelle sich die Frage, ob das europäische Christentum heute den Mut und die spirituelle Energie habe, die Bedrohung durch den "Kampf der Kulturen" abzuwenden, indem es den Globalisierungsprozess in einen Prozess der Kommunikation, des Teilens und der gegenseitigen Bereicherung verwandelt. Halik sprach in diesem Zusammenhang auch von einer "Schule der Liebe und universellen Brüderlichkeit".
Prophetische Warnung
Selbstverständlich sei das freilich nicht: "Als die durch das Coronavirus ausgelöste Pandemie Kirchen leerte und schloss, habe ich mich gefragt, ob dieser Lockdown nicht eine prophetische Warnung sei. So könnte Europa bald aussehen, wenn unser Christentum nicht wiederbelebt wird, wenn wir nicht verstehen, was der Heilige Geist den Kirchen heute sagt."
Wenn die Kirche zur Verwandlung der Welt beitragen soll, müsse sie selbst ständig verwandelt werden. Die Kirche als Gemeinschaft von Pilgern sei ein lebendiger Organismus. Sie sei immer offen, wandle und entwickle sich weiter. "Synodalität, ein gemeinsamer Weg, bedeutet fortwährende Offenheit für den Geist Gottes, durch den der auferstandene, lebendige Christus in der Kirche lebt und wirkt", erklärte Halik: "Die Synode ist eine Gelegenheit, gemeinsam auf das zu hören, was der Heilige Geist den Kirchen heute sagt."
Tschechische Erfahrungen
Der Theologe hob positiv hervor, dass die europäische Kontinentalversammlung zum Synodalen Prozess in Prag stattfindet. Die Kirche könne von den Erfahrungen in Tschechien lernen. "Wir begegnen uns heute in einem Land mit einer dramatischen religiösen Geschichte", so Halik. Dazu gehörten die Anfänge der Reformation im 14. Jahrhundert, die Religionskriege im 15. und 17. und die schwere Verfolgung der Kirche im 20. Jahrhundert: "In den Gefängnissen und Konzentrationslagern unter Hitler und Stalin lernten die Christen praktische Ökumene und den Dialog mit Nichtgläubigen, ebenso wie Solidarität, das Teilen, Armut und die 'Wissenschaft des Kreuzes'."
Tschechien habe infolge soziokultureller Veränderungen drei Wellen der Säkularisierung erlebt: eine "sanfte Säkularisierung" im Zuge des raschen Übergangs von einer Agrar- in eine Industriegesellschaft, eine harte, gewaltsame Säkularisierung unter dem kommunistischen Regime und eine weitere "sanfte Säkularisierung" beim Übergang von einer totalitären Gesellschaft zu einer fragilen pluralistischen Demokratie in der Postmoderne. Halik: "Es sind gerade die Wandlungen, Krisen und Prüfungen, die uns vor die Herausforderung stellen, neue Wege und Möglichkeiten hin zu einem tieferen Verständnis für das Wesentliche zu finden."
Raum für spirituell Suchende offen halten
Der Theologe erinnerte an den Besuch von Papst Benedikt XVI. in Tschechien 2009. Der Papst habe damals als Erster die Idee geäußert, dass die Kirche nach dem Beispiel des Jerusalemer Tempels auch einen "Vorhof der Heiden" errichten sollte. Während Sekten nur diejenigen akzeptieren, die umfassend gläubig und dem jeweiligen Bekenntnis verpflichtet sind, müsse die Kirche einen Raum für spirituell Suchende offen halten, "für diejenigen, die sich zwar nicht vollständig mit ihren Lehren und Praktiken identifizieren, aber dennoch eine gewisse Nähe zum Christentum verspüren".
Diese Aufforderung, den "Vorhof der Heiden" innerhalb des Tempels der Kirche zur Integration der Suchenden zu öffnen, sei ein positiver Schritt auf dem Weg der Synodalität im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils gewesen. Heute müsse man jedoch noch weiter gehen. "Es ist etwas mit der Tempelform der Kirche insgesamt geschehen, und wir dürfen das nicht ignorieren", so Halik und weiter: "Vor seiner Wahl auf den Stuhl Petri erinnerte Kardinal Bergoglio an die Worte der Heiligen Schrift: Jesus steht vor der Tür und klopft an. Aber heute, fügte er hinzu, klopft Jesus von innen an. Er will hinausgehen, und wir müssen ihm folgen. Wir müssen unsere derzeitigen geistigen und institutionellen Grenzen überschreiten, um vor allem zu den Armen, den Ausgegrenzten und den Leidenden zu gehen."
Der tschechische Theologe griff das Bild der Kirche als Feldlazarett auf. Diese Idee von Papst Franziskus müsse weiterentwickelt werden. "Ein Feldlazarett braucht den Rückhalt einer Kirche, die in der Lage ist, eine kompetente Diagnose, also die Deutung der Zeichen der Zeit, zu stellen; zweitens Prävention zu betreiben, das Immunsystem gegen ansteckende Ideologien wie Populismus, Nationalismus und Fundamentalismus zu stärken; und drittens Therapie und langfristige Genesung einschließlich des Prozesses der Versöhnung und der Heilung von Wunden nach Zeiten der Gewalt und Ungerechtigkeit zu ermöglichen.
Für diese äußerst anspruchsvolle Aufgabe brauche die Kirche dringend Verbündete, mahnte Halik: "Wir dürfen nicht mit dem Stolz und der Arroganz derjenigen, die glauben, im Besitz der Wahrheit zu sein, auf andere zugehen. Die Wahrheit ist ein Buch, das noch keiner von uns zu Ende gelesen hat." Die Kirche bzw. die Christen seien nicht im Besitz der Wahrheit, "sondern Liebhaber der Wahrheit und Liebhaber des Einzigen, der sagen darf: Ich bin die Wahrheit." Und nochmals: "Nur Jesus kann sagen: Ich bin die Wahrheit. Und gleichzeitig sagt er auch: Ich bin der Weg und das Leben."
Einige Formen der Kirche sterben
Halik zeigte sich auch davon überzeugt, dass man keine Angst davor zu haben brauche, "dass einige Formen der Kirche aussterben". In jeder Phase der Kirchengeschichte gelte es, sich in der Kunst der geistlichen Unterscheidung zu üben "und am Baum der Kirche die lebendigen von den vertrockneten und toten Zweigen zu unterscheiden". Ein wichtiger Teil der christlichen Existenz bestehe in dem Abenteuer, "den lebendigen Christus zu suchen, der in vielen überraschenden Formen - und manchmal anonym - zu uns kommt. Er kommt durch die verschlossene Tür der Angst; wenn wir uns in Angst verschließen, werden wir ihn verpassen."
Er komme auch "als eine Stimme, die zu unseren Herzen spricht". Aber: "Wenn wir uns vom Lärm der Ideologien und der kommerziellen Werbung betäuben lassen, werden wir sie überhören." Und: "Er zeigt sich uns in den Wunden unserer Welt; wenn wir diese Wunden ignorieren, haben wir kein Recht, mit dem Apostel Thomas zu sagen: Mein Herr und mein Gott! Er zeigt sich uns als der unbekannte Fremde auf dem Weg nach Emmaus; wenn wir nicht bereit sind, unser Brot mit anderen, auch mit Fremden, zu brechen, werden wir ihn verpassen."
Umfassende Beratungen
In Prag beraten diese Woche rund 200 Personen vor Ort sowie 390 Online-Delegierte aus 39 europäischen Ländern im Rahmen des Synodalen Prozesses. Ausgangspunkt für die mehrtägigen Beratungen ist das Vorbereitungsdokument "Mach den Raum deines Zeltes weit" (Jes 54,2), das Ende Oktober 2022 vom Vatikan veröffentlicht wurde. Die mehrtägige Konferenz in Prag teilt sich in zwei Phasen: Die erste dauert vom 5. bis 9. Februar, an ihr nehmen 200 Personen vor Ort sowie 390 Online-Delegierte teil. Erklärtes Ziel ist die gemeinsame Erarbeitung und Verabschiedung eines Abschlussdokuments. Anschließend tagen von 10. bis 12. Februar die 39 Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen in Europa. Sie werden sich mit dem Abschlussdokument befassen und planen dazu eine Stellungnahme.
Österreichische Delegation
Österreich ist in Prag durch den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Erzbischof Franz Lackner, die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak, die Innsbrucker Hochschul-Rektorin und Theologin Petra Steinmair-Pösel und den Salzburger Theologen Markus Welte vertreten. Zusätzlich sind zehn weitere Personen aus Österreich online zugeschaltet. Es sind dies (in alphabetischer Reihenfolge) Lukas Albert (Seminaristen), Anja Appel (Entwicklung und Mission), Erzabt Korbinian Birnbacher (Ordensgemeinschaften), Angelika Hirschenberger (geistliche Bewegungen), Victoria König (Jungschar und Jugend), Prof. Wolfgang Mazal (Laienrat), Hermann Miklas (Ökumene), Maria Plankensteiner-Spiegel (Schule), Angelika Ritter-Grepl (Frauenbewegung) sowie Nora Tödtling-Musenbichler (Caritas). Verantwortlich für die Konferenz ist der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE).