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Internetredaktion der Diözese Gurk

»Synagoga« und »Ecclesia« im Fresko von Thörl-Maglern

Wie können Christen heute angemessen über das Judentum sprechen? Ein Beitrag von Klaus Einspieler und Michael Kapeller zum Tag des Judentums am 17. Jänner

Am 17. Jänner begehen die Kirchen in Österreich den Tag des Judentums, um ihre die Verbundenheit mit dem Judentum ins Bewusstsein zu rufen. Zugleich soll auch das Unrecht an jüdischen Menschen und ihrem Glauben in der Geschichte zur Sprache kommen. Dazu gehören auch Darstellungen in unseren Kirchen.

https://youtu.be/TRWh7mOL5ho

Thomas von Villach hat im Altarraum der Pfarrkirche Thörl-Maglern Fresken geschaffen, die für die Kunstgeschichte Kärntens von großer Bedeutung sind. Besondere Aufmerksamkeit genießt dabei das „Lebende Kreuz“, das von biblischen Motiven vom Palmsonntag bis zum Pfingstereignis umrahmt ist und drei Ebenen umfasst. So ragt aus dem Fuß des Kreuzes eine Hand, die mit einem Hammer das Tor des Totenreiches zerschlägt. Dadurch kann der auferstandene Christus die Gerechten, die vor ihm gestorben sind, aus den Fängen des Todes befreien. Die Hand an der Spitze des Kreuzes weist nach oben und öffnet mit einem Schlüssel das Tor zum himmlischen Jerusalem, dem Ort ewiger Vollendung. Die dritte Ebene, hierbei handelt es sich um den Bereich links und rechts vom Kreuz, bietet eine Deutung menschlichen Lebens. In weiterer Folge werden wir uns ausschließlich mit dieser Ebene beschäftigen. Das Geschehen wird von vier Frauengestalten geprägt.

Thomas von Villach: Fresko vom “Lebenden Kreuz“ (Foto: KH Kronawetter / internetredaktion
Thomas von Villach: Fresko vom "Lebenden Kreuz" (Foto: KH Kronawetter / internetredaktion)

Eva und Maria

Gehen wir bei der Beschreibung von außen nach innen vor. Zwei Frauengestalten werden einander gegenübergestellt – Eva und Maria. Eva ist nackt, Maria gekrönt und bekleidet. Eva, der die Schlange das Herz durchbohrt, pflückt die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis und reicht den Menschen einen Totenkopf als Sinnbild des Todes; Maria hingegen erntet Hostien vom Baum des Lebens – das Brot, das ewiges Leben schenkt. Dabei handelt es sich um folgende Zuschreibung: Maria ist die neue Eva, so wie Christus der neue Adam ist. Dieses Geschehen wird durch zwei weitere Frauen, die sich unmittelbar beim Kreuz befinden, noch einmal gedeutet. Maria ist eine Frauengestalt mit der Bezeichnung „Ecclesia“ zugeordnet, bei Eva aber befindet sich eine Frau, die als „Synagoga“ bezeichnet wird.

Ecclesia und Synagoga

Die Gestalt der Ecclesia wird von der rechten Hand, die aus dem Kreuz hervorgeht, gekrönt. Dabei blickt sie vertrauensvoll zum Angesicht Christi auf, das sich ihr zuwendet. Sie hält eine Kirche in der Hand, mit der anderen trägt sie die Siegesfahne der Auferstehung. Dabei reitet sie auf einem Mischwesen. Löwe, Stier, Adler und Mensch weisen auf die vier Evangelisten, aber auch auf das edelste hin, das die Schöpfung hervorbringt. Ein Spruchband erzählt von der Erwählung der Ecclesia und ihrer Rettung aus dem Tod. Ihr gegenüber steht die grün bekleidete Frauengestalt der Synagoga. Ihre Augen sind verbunden (sie kann das Kreuz also nicht sehen) und ihre Krone stürzt zu Boden. Das gelbe Banner, das sie in der Hand hält, ist zerbrochen und sinkt nieder (grün und gelb sind in der mittelalterlichen Malerei die Farben des Judentums). Die Synagoga reitet auf einem Esel, der in diesem Fall wohl für Halsstarrigkeit und Dummheit steht. Seine klaffenden Wunden an den Beinen und im Nacken machen ein Vorankommen jedoch unmöglich. In ihrer Linken hält sie den abgetrennten Kopf eines Ziegenbocks. Was er bezeichnet, bleibt offen: Lasterhaftigkeit, das Versöhnungsritual im Buch Levitikus …? Aus dem Querbalken des Kreuzes geht ein Arm hervor, der Arm Christi. Er durchstößt den Kopf und die Brust der Synagoga mit einem scharfen Schwert. Auch hier deuten Spruchbänder das Geschehen. Das eine bezieht sich auf die Hand, ist nicht eindeutig zu entziffern, könnte aber bedeuten: »doch die Linke schenkt die Fäulnis« (im Gegensatz zur Rechten, die krönt). Im Spruchband hinter der Synagoga wird das Geschehen folgendermaßen ausgelegt: »Weh, ich bin geblendet, durchbohrt und der Krone beraubet. (Der zweite Vers ist unklar). Blut der Böcke hat mich bedrücket so wie die Schlange« (Friedrich Zauner).

Das Leid jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger

Das Fresko spricht eine deutliche Sprache. – Christus hat die alte Heilsordnung, der die Synagoga angehört, an ihr Ende geführt und vernichtet. Das Heil ist nur in der Ecclesia zu finden. Um dies deutlich zu machen, werden Ecclesia und Synagoga einander gegenübergestellt. Da die Fresken von Thörl zu den Höhenpunkten gotischer Bildkunst in Kärnten gehören, ist eine Auseinandersetzung mit ihrer Botschaft unerlässlich. In den meisten Publikationen kunstgeschichtlicher Herkunft wurde die Art der Darstellung der Synagoga nämlich bisher kaum kritisch reflektiert. Heute wissen wir, dass Bilder eine verheerende Wirkung entfalten können. 1496, also nicht einmal eine Generation nach Fertigstellung des Freskos, wurden die Juden auf Drängen der Stände aus Kärnten vertrieben. Das nahe liegende Villach war im Mittelalter eines der Zentren jüdischen Lebens in diesem Land gewesen. Erst nach dreieinhalb Jahrhunderten bildete sich allmählich wieder jüdisches Leben, dem durch das NS-Regime abermals ein jähes Ende bereitet worden ist. Abwertung und Geringschätzung des Judentums standen am Beginn dieser Entwicklungen. Es folgten Pogrome sowie die planmäßige Verfolgung und Ermordung jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Auf diesem Hintergrund können Bildwerke wie jenes vom »Lebenden Kreuz« nicht unkommentiert bleiben.

Die biblischen Bezüge des Lebenden Kreuzes

Dem Fresko liegen zahlreiche biblische Bezüge zugrunde, vor allem zu den paulinischen Schriften. Biblisch ist es damit jedoch keineswegs. Heute ist man sich dessen bewusst, dass Ecclesia und Synagoga in der Zeit des Neuen Testaments noch keine getrennten Wege gegangen sind. Viele Themen des Völkerapostels entstammen der innerjüdischen Auseinandersetzung. Daraus später einen Gegensatz zwischen Ecclesia und Synagoga zu konstruieren, wird ihnen also nicht gerecht. Zudem ist festzuhalten, dass die Logik dieses Bildes nicht stimmt. Denn Eva wird in der Genesis, dem ersten Buch der Bibel, als die Mutter aller Lebenden bezeichnet. Durch den Sündenfall gilt sie zudem als Urbild der Menschheit, die sich Gott widersetzt hat. Ihr wird auf dem Fresko die Synagoga zugeordnet. Die Synagoge führt sich aber auf Abraham (Beschneidung) und Mose (Tora) zurück. Mit ihnen sind die Motive der Erwählung und des Bundes verknüpft. Dieser Bund wurde von Gott nie gekündigt. Israel bleibt also Volk des Bundes und Gottes besonderes Eigentum. Insofern ist das Bild falsch. Adam und Eva eignen sich nicht als Sinnbilder, um das Wesen der Synagoga zu erhellen. Sie stehen für alle Menschen. Die Synagoga bildet nicht den Gegensatz zur Ecclesia, denn ihre Erwählung steht auf dem Boden der Treue Gottes zu seinem Volk Israel bis zum heutigen Tag. Daher hat sie ihre Krone – um das Fresko zu zitieren – nie verloren.

Repräsentantinnen und Repräsentanten des glaubenden Israel

An der Stelle Evas müssten also Abraham, Isaak, Jakob, Mose und die Propheten stehen, die das glaubende Israel repräsentieren. Dann würde sich auch der Gegensatz auflösen, der in diesem Bild dazu dient, die Ecclesia zu erhöhen und die Synagoga abzuwerten. Denn auch Maria steht in dieser langen Tradition glaubender Menschen in Israel. Ihr Ja verbindet sich mit jenem der großen Gestalten der Bibel, die Gott zu einem besonderen Dienst erwählt hat. Wer wollte leugnen, dass Maria Jüdin gewesen ist, wie auch Jesus selbst und die Apostel, die das Fundament der Ecclesia bilden? Die lange Geschichte der Geringschätzung des Judentums durch die Kirche liegt wohl auch darin begründet, dass fast ausschließlich der Bruch betont und nicht auf diesen gemeinsamen Ursprung hingewiesen worden ist.

Thomas von Villach: Fresko vom “Lebenden Kreuz“ (Foto: KH Kronawetter / internetredaktion)
Thomas von Villach: Fresko vom "Lebenden Kreuz" (Foto: KH Kronawetter / internetredaktion)

Ein neues Verständnis

Im 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) wurde von der offiziellen Kirche eine abwertende Sicht des Judentums überwunden. In der Erklärung „Nostra aetate“ (= In unserer Zeit) wird ausdrücklich das gemeinsame Erbe von Juden und Christen betont. Auf dieser Grundlage werden alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Formen des Antisemitismus beklagt und entschieden zurückgewiesen. Inhaltlich wird auf das Band verwiesen, mit dem die Kirche mit dem Stammvater Abraham geistlich verbunden ist. Weiters wird das Bild in Erinnerung gerufen, das der Apostel Paulus im Römerbrief für das Verhältnis zwischen Christinnen und Christen, die vor ihrer Bekehrung keine Juden gewesen sind und dem Volk Israel verwendet: Sie sind wie ein wilder Reisig, der auf dem Ölbaum des Volkes Israel aufgepfropft wurde und von seinen Wurzeln genährt wird (Röm 11,13-24). Daraus ergibt sich ein anderes Bild als jenes des „Lebenden Kreuzes“: Die Ecclesia wächst hier aus dem Wurzelstock der Synagoga und beide streben, verbunden durch den gemeinsamen Baum, auf unterschiedlichen Ästen ihrem Ziel, der Fülle ihrer Erlösung, entgegen.

Karfreitagsfürbitte als Maßstab

Diese veränderte Haltung zum Judentum soll das Sprechen der Christen mit und über Juden prägen. Dies kommt in einer der bedeutendsten Feiern des Kirchenjahres, der Karfreitagsliturgie, deutlich zum Ausdruck. Die Fürbitte für die Juden gehört zu den zehn großen Anliegen, für die in der Kirche gebetet wird. Somit sind sie auch der Maßstab für ihr Denken und Handeln. Jüdinnen und Juden werden in diesem Gebet als Kinder der Verheißungen Gottes bezeichnet, die seit Abraham gelten. Gott hat dieses Volk zu seinem Eigentum erwählt und ist ihm bis heute in Treue verbunden. Wie Christen warten auch Juden darauf, dass sie einst zur Fülle der Erlösung gelangen. Wenn das folgende Gebet jedes Jahr am Karfreitag gesprochen wird, darf es als klare Absage an die Darstellung der Synagoga im Fresko vom »Lebenden Kreuz« verstanden werden. Zugleich aber weist es den Weg zu einem neuen, wertschätzenden Miteinander:

Allmächtiger, ewiger Gott,

du hast Abraham und seinen Kindern

deine Verheißung gegeben.

Erhöre das Gebet deiner Kirche für das Volk,

das du als erstes zu deinem Eigentum erwählt hast:

Gib, dass es zur Fülle der Erlösung gelangt.

Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.

Hinsehen und lernen

In der Pfarre Thörl-Maglern hat man sich entschieden, die Problematik dieses Bildes nicht länger zu verschweigen. Unter dem Fresko wird ein Informationsständer auf seine Botschaft hinweisen und zum Nachdenken anregen. Zudem wird der Kirchenführer durch ein Einlageblatt mit weiterführenden Gedanken ergänzt. Wir können die Geschichte und was sie hervorgebracht hat, nicht ungeschehen machen, wohl aber die Schattenseiten zur Sprache bringen, um daraus zu lernen.

Die Autoren Michael Kapeller (ganz links) und Klaus Einspieler (ganz rechts) mit Pfarrassistentin Barbara Velik-Frank und PGR-Obmann Grubelnik von der Pfarre Thörl-Maglern (Foto: KH Kronawetter / Internetredaktion)
Die Autoren Michael Kapeller (ganz links) und Klaus Einspieler (ganz rechts) mit Pfarrassistentin Barbara Velik-Frank und PGR-Obmann Grubelnik von der Pfarre Thörl-Maglern (Foto: KH Kronawetter / Internetredaktion)