Geistiger Erfolg mitten im Festspielsommer
Eine Rückschau auf die Salzburger Hochschulwochen 2019 von Stadtpfarrer Richard Pirker
In der Woche von 29. Juli bis 4. August gab es in Salzburg nicht nur die Aufführungen des alljährlichen „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal mit neuer Buhlschaft, eine hervorragende Inszenierung des Berliner Ensembles von „Jugend ohne Gott“ von Ödon von Horvath im Salzburger Landestheater, sondern auch eine geistige Inszenierung in mehreren Akten mit neuen Publikumsrekord: Die diesjährigen Salzburger Hochschulwochen 2019.
Komplexität der Welt und Sehnsucht nach Einfachheit
Bereits „Angst“, das Thema des letzten Jahres, traf den Nerv der Zeit, und die grandiose Zeitdiagnose des Zeit-Redakteurs Bernd Ulrich zum Festakt am 5. August 2018 deutete an, dass Theologie in sich zu verschlossen ist, um unsere Realität abzubilden und auf ein größeres Geheimnis hin zu öffnen. Das diesjährige Thema „Die Komplexität der Welt und die Sehnsucht nach Einfachheit“ war dem Spürsinn des Vorbereitungsteams unter Assoz.-Prof. Dr. Martin Dürnberger geschuldet und stieß wiederum auf die Aufmerksamkeit vieler Zuhörer. Wie können wir angesichts einer immer komplexer werdenden Welt gegen (zu) einfache Antworten und Schlagwörter gerüstet werden? Welche Ressourcen birgt der Glaube, um nicht fundamentalistischen Verlockungen zu erliegen, so die Eingangsfrage im Programmheft.
Die einzelnen Akte wurden mit liturgischen Feiern eingerahmt, den Anfang und Schluss setzten zwei Bischöfe (Peter Kohlgraf aus Mainz und Ivo Muser aus der Diözese Bozen-Brixen), den täglichen Predigten gab der Dominikanerpater und Studentenpfarrer Max Cappabianca aus Berlin Gestalt und Ausdruck.
Reflektierter Glaube - vernunftnotwendig und heilsunabhängig
Was nun die inhaltliche Ausrichtung betrifft, wurde mit Magnus Striet der streitbare Freiburger Fundamentaltheologe ans Rednerpult geholt, der sich nicht lumpen ließ und die Schlagworte „Neuevangelisierung“ und das „Beharren auf überzeitliche Wahrheiten“ als antiintellektuelle Komplexitätsreduktion benannte. Damit verwies er die Theologie des Lehramtes, insbesondere der Päpste Johannes Pauls II. (ersteres) und Benedikts XVI. (Wahrheitsbeharren) auf ihre Plätze. Sein eigentlicher Kritikpunkt lag jedoch auf jenem „Religionspopulismus“, der den „wahren Glauben“ als Unterscheidungsmerkmal einführt, und das zumeist auf Kosten der Vernunft. Dezidiert erklärte er den theologisch reflektierten Glauben als vernunftnotwendig, dafür heilsunabhängig. Damit stellte er sich konträr zur großen Theologiegeschichte und Augustinus wie Thomas von Aquin bleiben außen vor. Sein Plädoyer, sich nicht mit phrasenhaften Formulierungen zufrieden zu geben, bleibt Aufruf und Kritik zugleich: „Bleibt für Gott da tatsächlich ein Platz? – Oder bleibt die Rede von der Neuevangelisierung nur ein rhetorisches Spiel, um zu verschleiern, dass der Kaiser nackt dasteht?“
Die Wiener Kulturprofessorin Eva Horn sprach davon, dass Katastrophen dazu dienen, dass sich Gesellschaften und die Menschen in ihrer Zeit „enthüllen“. Problematisch wird es dort, wo der Mensch nur mehr zwischen Wolf und Schaf differenziert, wie es zum Beispiel die Filmkultur vor Augen führt.
Das Sinken der Ambiguitätstoleranz
Am Mittwoch, am Festtag des hl. Ignatius von Loyola, sprach der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Münsteraner Islamwissenschaftler Thomas Bauer. Er konnte nachweisen, wie die Ambiguitätstoleranz sinkt, also die Fähigkeit nachlässt, Mehrdeutigkeiten und Widersprüchlichkeiten nicht nur auszuhalten, sondern sie als bereichernd zu empfinden. Sein klarer geschichtlicher Nachweis lag in der Erkenntnis, dass wir geistesgeschichtlich von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt sind. Es ist die Zeit der Verkündigung des päpstlichen Unfehlbarkeitsdogmas, um auch die Katholische Kirche davon mitbestimmt zu wissen. Seit dieser Zeit zielen wir gesellschaftlich auf immer stärkere Eindeutigkeit, welche durch das Internet noch verstärkt wird. Wer nicht einstimmt, wird im Internet mit einem „Shitstorm“ überhäuft. Wie dagegen anzukämpfen sei? Vielleicht dadurch, dass wir in einer durch und durch berechneten Konsumwelt unser Augenmerk auf jene Bereiche in der Erziehung lenken, wo Kreativität gefördert wird.
Parallel dazu entwarf Prof. Claudia Nothelle die mediale Kunstfertigkeit, die Probleme der Welt in 90 Sekunden darzustellen (dies ist die Zeitdauer für ein Thema in der ARD-Tagesschau). Deutlich wurde, dass hoher Journalismus darauf abzielt, komplexe Sachverhalte nicht aufzulösen, sondern in seinen vielen Ebenen zu benennen. Die Gefahr, in Populismus abzugleiten, ist dabei ständiger Warnhinweis. Was der Journalismus unbedingt berücksichtigen müsse, ist die Frage: „Was nun?“, die einen verantworteten medialen Einsatz unterstreicht.
Besondere Form von Begegnung und Dialog
Am Abend wurde dann der diesjährige Theologische Preis für das theologische Lebenswerk an den Tübinger Germanisten und Theologen Prof. Karl-Josef Kuschel (*1948) verliehen, diesmal von der Benediktinerabtei Melk mit 5.000 Euro gestiftet. Die Laudatio hielt einer seiner Doktoranden und nunmehriger Augsburger Professor für Religionspädagogik, Dr. Georg Langenhorst, selbst ein ausgewiesener Kenner von Literatur und Theologie. Im Anschluss an Martin Buber geht es bei Karl-Josef Kuschel immer um eine besondere Form von Dialog, vielleicht sogar um einen Trialog, die eine „Begegnung“ von Gedanken und Wegen gewährleisten anstelle von „Vergegnung“, wie Buber die negative Form benennt. Der Geehrte bedankte sich mit einem vollständigen Dankes-Referat und ließ erkennen, wie sehr sich die Gedankenwelt seit seiner in mehreren Sprachen aufgelegten Dissertation Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts geändert hat. Nunmehr ist ein aufrichtiger Dialog zwischen den Religionen gefordert, insbesondere zwischen Judentum, Christentum und Islam.
Die kommenden Tage standen für eine Adaptierung des Generalthemas in Politik mit der Gefahr des seit den 90er Jahren aufkommenden Populismus (Prof. R. Heinisch, Salzburg), die Frage der Landesverteidigung angesichts immer komplexer werdender Abläufe und hybrider Bedrohungen von Brigadier G. Gustenau und die Frage, wie unsere Psyche mit dieser immer komplexer werdenden Welt umgeht und wie wir selbst mediale Berichte im Inneren verarbeiten. Darüber informierte und lud späterhin zur Diskussion Prof. W. Gaissmaier (Koblenz) ein, der grundsätzlich für eine gute Mischung zwischen Hirn und Bauchgefühl plädierte.
Humanismus aus tiefer Aufmerksamkeit für den Anderen
Den Abschluss am Sonntag bildete nach der festlichen Hl. Messe im Salzburger Dom der Festvortrag von Rektor Prof. Dr. Heinrich Schmidinger unter dem Titel „Humanismus in Zeiten wie diesen“. Der Vortragende, selbst Theologe und Professor für Philosophie, trug selbst zwölf Jahre lang die Agenden der Salzburger Hochschulwochen und wird mit 1. Oktober in Pension gehen. Er hatte sich zuvor mit Publikationen zur Philosophie, zu Person und Toleranz, wie zur Verbindung von Literatur und Theologie einen Namen gemacht und plädierte für einen Humanismus, der aus einer tiefen Aufmerksamkeit für den Anderen seine Kraft entwickelt. Es ist der Mensch als Person, der seine Würde im Anderen gespiegelt erkennt und durch keine einfachen ideologischen Strickmuster auflösen lässt.
Zwischen den Vorträgen gab es eine Menge an Gesprächen, nicht zu verachtende kulinarische und akustische Einladungen (Land und Stadt am Dienstag, die Einladung in den Garten des Erzbischofs mit einer – wie immer – pointierten Festspielintendantin H. Rabl-Stadler und Schauspieler G. Bloeb und einem Salzburger Erzbischof, der die Leichtigkeit des Lebens durch den Faktor Gewöhnung erkennt) und das Flair Salzburgs, das seinen barocken Charme in den Zeiten des 30jährigen Krieges aufblühen ließ.
Geistreicher Austausch zwischen Konzerten, Theateraufführungen und Seitenblicke-Events
Eine Schlussbemerkung: Der Obmann der Salzburger Hochschulwochen, Prof. Martin Dürnberger, erwies sich einmal mehr als das, was er in seiner Hinführung zur Preisverleihung für Karl-Josef Kuschel charakterisierte: Er nannte diesen honorigen Herrn mit einer Metapher aus der Fußballwelt einen „seltenen Schnittstellenspieler“. Genau diese Rolle übernahm auch der Obmann für diese Woche und zog damit mehr als 1000 Hörer zu einem geistreichen Austausch zwischen Konzerten, Aufführungen und Seitenblicke-Events. Ein rundum gelungenes Gespräch, wie es Hölderlin in seiner Friedensfeier wünschte:
„Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander,
Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang.
Und das Zeitbild, das der große Geist entfaltet,
Ein Zeichen liegts vor uns, daß zwischen ihm und andern
Ein Bündnis zwischen ihm und andern Mächten ist.“
(Gedichte, Kapitel 157)
Das kommende Jahr kann kommen und wartet auf interessierte Hörerinnen und Hörer, auf dass wir ein Gespräch sind und hören voneinander.
(Richard Pirker, Stadtpfarrer in Klagenfurt)