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Internetredaktion der Diözese Gurk

Enzyklika “Fratelli tutti”: Papst ruft zu neuer Weltordnung auf

Eindringliches Plädoyer für Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft über alle Grenzen hinweg, um Pandemiefolgen und globale Herausforderungen wie soziale Ungleichheit und Migration zu bewältigen

Vatikanstadt, 04.10.2020 (KAP) Mit einem eindringlichen Plädoyer für Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft über alle Grenzen hinweg hat Papst Franziskus sich an die Menschheit gewandt. In der am Sonntag in acht Sprachen veröffentlichten Sozialenzyklika "Fratelli tutti" mahnt er zu einer Abkehr von Egoismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Nur so ließen sich die Folgen der Corona-Pandemie und globale Herausforderungen wie soziale Ungleichheit und Migration bewältigen.

 Papst Franziskus (foto-mazur-catholicnews-flickr-cc-by-nc-sa-2.0)
Papst Franziskus (Foto: Marzur / catholicnews-flickr) cc-by-nc-sa-2.0

Sein Schreiben, das Züge einer Sozialutopie trägt, richtet der 83-Jährige ausdrücklich an "alle Menschen guten Willens" unabhängig von ihrem Glauben. Die Anregung zu dem Text erhielt Franziskus nach eigenem Bekunden auch durch den ägyptischen Großimam Ahmad Al-Tayyeb, einen führenden Islam-Gelehrten. Als päpstliches Grundsatzdokument hat die Enzyklika hohe Verbindlichkeit für 1,3 Milliarden Katholiken weltweit.

In dem 287 Artikel umfassenden Text wirbt der Papst dafür, nach dem Vorbild des heiligen Franziskus andere Menschen unabhängig von Herkunft oder sozialer Zugehörigkeit in freundschaftlicher Offenheit "anzuerkennen, wertzuschätzen und zu lieben". Wer meine, die globalen Probleme nach der Corona-Krise mit den alten Systemen lösen zu können, sei "auf dem Holzweg". Inspirieren ließ sich der Papst nach eigenen Worten auch von Nichtkatholiken wie dem US-Bürgerrechtler Martin Luther King, dem südafrikanischen Anglikaner Desmond Tutu und Mahatma Gandhi.

Beim Umgang mit Konflikten mahnt der Papst eine Stärkung der Vereinten Nationen an und fordert die Unterordnung nationaler Interessen unter das globale Gemeinwohl. Erneut verurteilt er Krieg und Rüstung als Mittel der Politik. Auch wendet er sich gegen einen zu großen Einfluss der Wirtschaft. Er verlangt die Einbeziehung aller gesellschaftlicher Gruppen, auch der Schwächsten, in Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse. Dabei stellt er sich hinter eine "Option für die Armen" und das Recht auf kulturelle Identität gegen eine globale Gleichmacherei; diese verurteilt er als Kolonialismus.

Zum Thema Migration betont Franziskus, solange in den Herkunftsländern die Bedingungen für ein Leben in Würde fehlten, gelte es "das Recht eines jeden Menschen zu respektieren, einen Ort zu finden, an dem er nicht nur seinen Grundbedürfnissen und denen seiner Familie nachkommen, sondern sich auch als Person voll verwirklichen kann". Jedes Land sei "auch ein Land des Ausländers"; die Güter eines Territoriums dürften "einer bedürftigen Person, die von einem anderen Ort kommt, nicht vorenthalten werden".

Am Samstag war der Papst nach Assisi gereist, um die Enzyklika am Grab des heiligen Franziskus (1181/82-1226) zu unterschreiben. Der mittelalterliche Bettelbruder gilt als Vorbild für eine radikale Zuwendung zu allen Menschen und Geschöpfen. "Fratelli tutti" ist seine dritte Enzyklika und folgt auf "Laudato si" von 2015. Auch dieses Schreiben zu Umwelt und sozialer Gerechtigkeit verwies auf Franz von Assisi.

Gendersensibler Titel


Die dritte Enzyklika von Franziskus richtet sich mit einem gendersensiblen Titel ausdrücklich auch an Frauen. In der deutschen Fassung lautet er "Fratelli tutti - über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft".

Im Vorfeld war es zu Unstimmigkeiten darüber gekommen, wie das italienische Wort "fratellanza" (wörtlich: Brüderlichkeit) am besten zu übersetzen sei. Nicht nur aus Deutschland wurden Stimmen laut, die eine inklusivere Variante forderten - mit Erfolg. Auch im weiteren Verlauf des mehr als 80 Seiten umfassenden Textes hat "Geschwisterlichkeit" die "Brüderlichkeit" an den meisten Stellen verdrängt.

Im Titel des Abu-Dhabi-Dokuments, das der Papst Anfang 2019 mit dem Kairoer Großimam Ahmad Mohammad Al-Tayyeb veröffentlicht hatte, hieß es dagegen noch "über die Brüderlichkeit aller Menschen". In diesem Text kommt das Wort "Geschwisterlichkeit" kein einziges Mal vor.

Mit Blick auf die neue Enzyklika erklärte der päpstliche Mediendirektor Andrea Tornielli kürzlich: "Es wäre absurd zu meinen, die Formulierung des Titels beabsichtige, mehr als die Hälfte der Adressaten auszuschließen." Franziskus wolle sich "an alle Schwestern und Brüder, an alle Männer und Frauen guten Willens" wenden.

Papst warnt vor digitalen Medien


Einen mehrseitigen Abschnitt in seinem Rundschreiben "über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft widmet der Papst den neuen Medien. Er warnt darin vor schädlichen Auswirkungen der weltweiten digitalen Vernetzung. Diese allein "genügt nicht, um Brücken zu bauen", schreibt Franziskus. Sie sei "nicht in der Lage, die Menschheit zu vereinen". In einem weiteren Abschnitt der Enzyklika lobt er zwar das Internet für die Möglichkeiten zur Begegnung, es müsse aber ständig überprüft werden, ob die heutigen Formen der Kommunikation "tatsächlich zu einer großherzigen Begegnung" führt.

Einen Kathpress-Schwerpunkt mit allen Meldungen und Hintergrundberichten zur neuen Papstenzyklika unter www.kathpress.at/FratelliTutti abrufbar.