Heiliges Jahr 2025 - Pilger der Hoffnung
Der Ablass - Gabe und Aufgabe - ein Beitrag von Klaus Einspieler
Zu bestimmten Anlässen, an ausgewählten Orten, besonders in Heiligen Jahren, können Gläubige einen Ablass gewinnen. Der Artikel geht der Frage nach, was darunter zu verstehen ist und welche Herausforderungen für die pastorale Praxis im Umfeld der Feier der Versöhnung damit verbunden sind.
Der Ablass – Gabe und Aufgabe
Zu unterschiedlichen Gelegenheiten, besonders aber in sogenannten Jubiläumsjahren oder „Heiligen Jahren“, gewährt die katholische Kirche ihren Gläubigen einen Ablass. Das Wort ist historisch stark belastet. Immerhin war der Ablasshandel des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit eine der Ursachen für die Reformation. Auch wenn diese Missstände längst überwunden sind, bedarf es doch einer Klärung. Braucht es das überhaupt? Reicht es nicht, wenn man das Sakrament der Versöhnung empfangen hat? Was bewirkt ein Ablass angesichts dessen? Ersetzt er gar die Beichte?
Die Bußpraxis der alten Kirche
Um zu verstehen, was ein Ablass ist und was er bewirkt, lohnt sich ein Blick auf die Bußpraxis in der Frühzeit der Kirche. Damals gab es die Beichte in unserer heutigen Form noch nicht. Man bekannte zu Beginn des Weges der Versöhnung seine Sünden und wurde anschließend im Falle schwerer Vergehen für eine bestimmt Zeit zum Büßer bzw. zur Büßerin. Diese waren vom eucharistischen Mahl ausgeschlossen und mussten folgerichtig die Messfeier vor dem Allgemeinen Gebet (den Fürbitten) und der Gabenbereitung verlassen. Die Schuld hatte das Band der Gemeinschaft beschädigt, nun musste es wieder neu geknüpft werden. Bei sehr schweren Vergehen konnte die Zeit der Buße mehrere Jahre dauern, weil die Wiedergutmachung und Aussöhnung Prozesse sind, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Buße zu tun war also ein öffentlicher Vorgang. Das Bemühen, die Schuld wieder gut zu machen und so zur Gemeinschaft zurückzufinden, von der man sich getrennt hatte, wurde von dieser durch Fasten und Gebet begleitet. Dies fand in einer konkreten Gemeinde mit konkreten Personen statt. Man fühlte sich also mit jenen verbunden, die sich auf den Weg der Umkehr begeben hatten. Man litt darunter, dass sie am Tisch des Herrn fehlten und mitunter auch an den Folgen ihrer Schuld. Den Schlusspunkt bildete die feierliche Wiederaufnahme in die kirchliche Gemeinschaft. Sie fand meist am Gründonnerstagvormittag statt, um das Osterfest wieder mit der Kirche feiern zu können. Wer sich dem Bösen hingegeben hatte, bekam also ausreichend Zeit, um wieder neu zu erlernen, Gutes zu tun.
Die Entwicklung der Beichte im Mittelalter
Die antike Form der Buße geriet im Mittelalter aus vielen Gründen immer mehr aus der Übung. Unter anderem machte man sich Sorgen, was mit jenen Büßern geschieht, die vor der Wiederaufnahme in die Kirche sterben und so vor das göttliche Gericht treten. Daher bürgerte sich allmählich die heutige Form der „Ohrenbeichte“ ein und die Absolution rückte vom Ende an den Beginn. Das Bewusstsein, dass hier noch etwas offen ist, das man ins rechte Lot zu bringen hat, aber blieb. Dies kommt zum Beispiel in den Bußbüchern zum Ausdruck, die in dieser Zeit entstanden sind. Sie waren eine Antwort darauf, dass jede Sünde Folgen hat und es der Buße bedarf, um Wiedergutmachung zu leisten. Bildlich gesprochen hatte man bei der Beichte zunächst einmal die Absolution erhalten, aber den Preis für die Schuld noch nicht beglichen, sondern einen Kredit aufgenommen, den es nun zu tilgen galt. Tatsächlich versuchte man, den Umfang der Bußleistung immer stärker zu quantifizieren. Jeder Sünde entsprach eine Leistung, die noch zu erbringen war. Der Kern der sakramentalen Feier aber war von nun an auf den Priester und den Bußwilligen reduziert. Die Gemeinde war an diesem Geschehen nicht mehr direkt beteiligt. Da sich aber jede Form von Schuld auch gegen die Gemeinschaft richtet, war es weiterhin wichtig, dass diese in das Geschehen der Versöhnung eingebunden blieb. Ihr Eintreten vor Gott für die Sünder verband man jedoch nicht mehr mit konkreten Gesichtern, es wurde nun aus dem allgemeinen Leben und Handeln der Kirche abgeleitet. Dies sollte durch den Ablass zum Ausdruck kommen. Ihm liegt ein stark juristisch geprägtes Bild von Buße zugrunde, das die zwischenmenschliche Dimension, die in der Antike wichtig gewesen ist, stark verallgemeinert und mitunter sogar unkenntlich macht. Mit der Beichte, so der Gedankengang, sind die Sünden vergeben, man wird im Falle des Todes also nicht verdammt. Die Folgen der Schuld – man nennt sie „zeitliche Sündenstrafen“ – aber sind nach der Beichte noch offen. Dafür gilt es nun, Buße zu tun, wenn nicht in diesem Leben, dann im Fegefeuer. Hinzu kommt das fürbittende Gebet der Kirche. Leider erwartete man sich dafür ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Gegenleistung in Form von finanziellen Zuwendungen; das Ablasswesen wurde so immer mehr zu einem Unwesen. Im Grunde aber wurzelt es in der Überzeugung, dass Schuld und Versöhnung auf dem Boden der Gemeinschaft der Kirche stattfinden. In der konkreten Ausprägung war dies freilich bald kaum noch erkennbar.
Der Ablass in der Gegenwart
Zunächst zu den aktuellen Normen. Diese besagen: Personen, „die geläutert durch das Sakrament der Buße und gestärkt durch die Heilige Kommunion, gemäß den Intentionen des Papstes beten, können aus dem Schatz der Kirche einen vollkommenen Ablass, den Erlass und die Vergebung ihrer Sünden erlangen, der den Seelen im Fegefeuer in Form eines Wahlrechts zukommt“ (Über die Gewährung eines Ablasses während des ordentlichen Jubiläums des Jahres 2025). Damit ist deutlich – der Ablass setzt das Sakrament der Versöhnung voraus und ist kein Ersatz für dieses; er darf zudem nicht mit einer Generalabsolution verwechselt werden, wie dies mitunter geschieht. Um ihn von der Sache her fruchtbar zu machen, lohnt es sich, nun die Erkenntnisse des geschichtlichen Rückblicks noch einmal heranzuziehen.
1. Die Krise des Bußsakraments als Chance begreifen.
Wir haben gesehen, dass die Frage des Ablasses in engem Zusammenhang mit dem Sakrament der Versöhnung zu betrachten ist. Dieses wurde bereits 2005 in einem Buchtitel als „Das vergessene Sakrament“ bezeichnet. Damit fehlt unserem Thema in der pastoralen Breite offensichtlich der Boden. Über den Sinn des Ablasses kann man nur sprechen, wenn man den Menschen zuvor den Zusammenhang von Schuld, Umkehr, Vergebung und Versöhnung erschlossen hat. Vielleicht bieten besondere Anlässe wie ein Jubiläumsjahr dafür die Gelegenheit – immerhin hatte das biblische Jubeljahr auch den Sinn, den Neubeginn zu ermöglichen und Menschen aus der (materiellen) Schuld und Sklaverei zu befreien. Dies bietet wertvolle Anknüpfungspunkte, um heute über das Sakrament der Versöhnung zu sprechen: Es ist eine Einladung, sich von den Fesseln der Schuld erlösen zu lassen und in der Freiheit der Söhne und Töchter Gottes zu leben. Zugleich ist es eine Einladung, mit derselben Großherzigkeit den eigenen Schuldnern zu begegnen.
2. Wer ist Gott angesichts von Schuld und Unheil?
Dass sich das Ablasswesen im Mittelalter entwickeln konnte (die Ostkirche ist diesen Weg nicht gegangen), hat auch mit dem Gottesbild dieser Zeit zu tun. Es stellt den richtenden Gott ins Zentrum und warnt auf diesem Hintergrund eindringlich vor der Gefahr des Scheiterns und der damit verbundenen Verdammnis. Mit diesem Gottesbild verbunden bekam auch das Bußsakrament eine eigentümliche Prägung (der Priester als Richter, Festlegung der Bußleistung für jedes einzelne Vergehen wie in modernen Strafkatalogen staatlicher Behörden etc.). Wird das Bild, Gott würde wie ein Krämer oder Polizist unsere Schuld berechnen und dafür eine angemessene Leistung verlangen, seiner Größe tatsächlich noch gerecht? Kann und will man diesem Bild Gottes in unserer Zeit noch folgen? In der Verkündigung treten längst andere Züge Gottes stärker hervor. Papst Franziskus betont zum Beispiel die Barmherzigkeit und hat sie sogar ins Zentrum des letzten Heiligen Jahres gerückt. Freilich musste auch er später einräumen, dass man in manchen Fragen zu voreilig Barmherzigkeit walten ließ und dabei die Gerechtigkeit auf der Strecke geblieben ist. Gerade im Blick auf die Gottesfrage wird deutlich, dass Theologie im Sinne der differenzierten Rede von Gott dringend Not tut!
3. Eine Bußpraxis auf der Höhe der Zeit!
Halten wir dem Mittelalter zugute, dass es wichtige Dimensionen antiker Bußpraxis und damit dessen, was es heißt, umzukehren und sich zu versöhnen, in Erinnerung behalten hat. Erst der Missbrauch des Ablasswesens hat dies verdunkelt. Es liegt an uns, Wege zu finden, die dem Menschen von heute leichter zugänglich sind, um eines der zentralen Themen der Bibel, die Begegnung mit dem vergebenden Gott, mit Leben zu erfüllen. Das erste ist der Gedanke, dass Umkehr und Buße Prozesse sind, dass die fünf Minuten (oder weniger) im Beichtstuhl nicht ausreichen, um dem gerecht zu werden. Es braucht ein Umfeld, eine Zeit der Wiedergutmachung und Einübung in das Gute (die freilich mehr sein muss, als das Vaterunser, das man „zur Buße“ beten soll, als wäre dieses wunderbare Gebet eine Strafe und würde eine Minute beten reichen, um der Schuld von Monaten, wenn nicht sogar Jahren gerecht zu werden). Vielleicht hat die Krise des Bußsakramentes damit zu tun, dass die Menschen hier ein Ungenügen wahrnehmen, dass sie sich in der Tragweite ihrer Schuld nicht ernstgenommen fühlen. Hinzu kommt, dass der Umgang mit Schuld in diesem Zusammenhang immer noch sehr abstrakt und unpersönlich erscheint. Schuldig wird man jedoch immer an konkreten Personen und die Wiedergutmachung muss auch als zwischenmenschliches Geschehen wahrgenommen werden, wenn dies möglich ist. Da die Gemeinschaft der Glaubenden von der Schuld betroffen ist, sollte die Wiedergutmachung zumindest in Ansätzen wieder so gestaltet werden, dass sie den Schwestern und Brüdern in Christus Gutes angedeihen lässt, dass aus dem erfahrenen Unheilszusammenhang ein Heilszusammenhang wird. Die päpstlichen Normen zur Gewinnung eines Ablasses rücken diese Aspekte auch in den Blick. Dazu gehören zum Beispiel gute Werke, der Einsatz für notleidende Menschen, Werke der Barmherzigkeit wie der Besuch von alten und kranken Menschen. Nicht zu vergessen ist, dass auch durch das Pilgern, Fasten und Beten die gemeinschaftliche Tragweite des Glaubens erfahrbar wird, weil hier Gott öffentlich und gemeinschaftlich in den Anliegen der Kirche und Welt (nicht nur in eigener Sache) angerufen wird. Sogar Exerzitien und religiöse Bildungsveranstaltungen werden genannt, weil sie den Gläubigen das Rüstzeug geben, für den Glauben Zeugnis abzulegen und so am Aufbau des Leibes Christi, der Kirche, mitzuwirken. In all diesen Facetten kommt ein wesentlicher Teil des Ablasses zum Ausdruck – die Verbindung mit der Gemeinschaft der Glaubenden.
Umgekehrt aber beinhaltet der Ablass auch den Zuspruch, dass die Gemeinschaft für den Sünder eintritt, für ihn betet. Wir wissen, dass es oft nicht in unserer Hand liegt, wann uns die entscheidende Erkenntnis geschenkt wird, dass wir unserem Leben eine Wendung geben müssen und es manchmal auch an Kraft mangelt, neue Wege zu beschreiten. Der Ablass beinhaltet die Zusage, dass die Kirche diesen Weg mitgeht. Insofern sollte in Jahren und an Orten, wo der Ablass eine große Rolle spielt, auch das öffentliche fürbittende Gebet für jene, die umkehren wollen und nach Versöhnung streben, nicht fehlen. Die Menschen sollten in den Gottesdiensten und Predigten das Gefühl bekommen, auch in ihrem Scheitern in der Kirche aufgehoben zu sein. Kirchen, vor allem Pilgerstätten, sind Orte der Kraft, weil hier für das Heil der gesamten Welt gebetet wird, die das Heil jedes einzelnen miteinschließt. Insofern sind sie Orte der Barmherzigkeit. Der Ablass ist eine Form, dies sichtbar und erfahrbar zu machen, im Blick auf den liebenden und vergebenden Gott, der uns mit offenen Armen empfängt.
Klaus Einspieler