Heilige Pforte – heilige Pförtner?

Gedanken zu einem alten kirchlichen Dienst mit Zukunftspotential von Klaus Einspieler

Das Westportal des Gurker Domes (Foto: Stift Gurk - Peda)
Das Westportal des Gurker Domes (Foto: Stift Gurk - Peda)

Manchmal öffnet sich uns ganz unverhofft eine Tür. Mitunter stehen uns sogar Türen und Tore offen. Andererseits finden wir zu bestimmten Menschen oder Bereichen keinen Zugang. Wir stehen außen vor. Diese und ähnliche Sprachbilder machen deutlich, dass es in unserem Leben sichtbare und unsichtbare Schwellen und Tore gibt. Auf diesem Hintergrund werden in der Liturgie bedeutende Türen bewusst geöffnet, zum Beispiel bei der Weihe einer neuen Kirche. Der Bischof tritt an das Portal heran, klopft mit seinem Stab an die Tür und bittet, dass es geöffnet werde. Besonders einprägsam ist die Öffnung der Heiligen Pforte durch den Papst zum Beginn eines Heiligen Jahres. Solche und ähnliche Anlässe erfahren meist durch den Psalm 24 eine Deutung. Dort wird mit den Worten „Ihr Tore, hebt eure Häupter, hebt euch, ihr uralten Pforten“ (Ps 24,7.9) das Kommen Gottes besungen. Georg Weißel hat dieses Motiv aufgegriffen und an den Beginn des bekannten Adventlieds „Macht hoch die Tür“ (GL 218) gestellt.

Die Tür und ihre Hüter – ein Blick in die Geschichte

Auch im Christentum war man sich schon früh dessen bewusst, dass die Kirchentür ein Ort des Übergangs ist. Daher wurde vermutlich im 3. Jahrhundert das Amt des Ostiariers eingeführt. Ostium ist das lateinische Wort für Tür bzw. Pforte, der Ostiarius wäre also demnach der Türhüter. Er war nicht nur für das Öffnen und Verschließen der Kirche zuständig, sondern hatte auch darauf zu achten, wer die Kirche betrat und wo er Platz nahm. Die Ostiarier waren also Pförtner, Türsteher und Ordner in einer Person. In der Zeit der Christenverfolgung mussten sie die Gemeinde zudem vor Gefahren warnen, als sich später die Kirchenglocken einbürgerten, gehörte auch das Läuten zu ihren Aufgaben. Bald wurden die Ostiarier zum niederen Klerus gezählt, die Einführung in ihr Amt galt als „niedere Weihe“. Der Bischof segnete sie und überreichte ihnen einen Kirchenschlüssel. Bald verlor dieses Amt jedoch an Bedeutung. In einer Gesellschaft, die nun fast zur Gänze christlich geworden war, musste die Schwelle zum Kirchenraum nicht mehr geschützt werden. Den Schlüsseldienst und das Läuten übernahmen die Mesner. Zu Ostariern wurden nur noch junge Männer am Beginn des Weges zum priesterlichen Dienst bestellt, ohne dass damit eine konkrete Aufgabe verbunden war. Daher wurden die niederen Weihen und damit auch das Amt des Ostiariers von Papst Paul VI. 1973 abgeschafft.

Die Pforten und Türen unserer Zeit

Warum also dieser Beitrag? Als Abgesang auf etwas Vergangenes? Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass die Aufgaben, die man einst dem Ostiarier übertragen hat, keinesfalls überholt sind. Beginnen wir jenseits der Kirchenmauern. Türsteher gibt es heute vor Lokalen, Geschäften und vielen anderen Einrichtungen, in Ländern wie England sogar viel häufiger als bei uns. Ordnerdienste braucht es bei jeder größeren Veranstaltung, auch das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit nimmt wieder zu. Größere Gebäude haben eine Rezeption oder einen Empfang. Der erste Kontakt mit der Einrichtung findet also über die Rezeptionistin statt. Diese Aufgabe scheint klassisch weiblich zu sein. Längst hat man erkannt, dass die Frage, wer diesen Platz einnimmt, für das Erscheinungsbild des Hauses von entscheidender Bedeutung ist. Der Eindruck, den man in den ersten Sekunden von einer Person oder Institution gewinnt, lässt sich nämlich kaum noch korrigieren. Wer also auf das Wohlwollen seiner Kundinnen und Kunden angewiesen ist, wäre gut beraten, für den Eingangsbereich ein zuvorkommendes und freundliches Wesen zu gewinnen.

Auch in größeren kirchlichen Einrichtungen gibt es mitunter noch eine Pforte, nehmen wir die Klosterpforte als Beispiel. Sie ist das Tor zu einer anderen Welt. Früher bekamen Arme hier zu essen. Mitunter hat der Abt den Gästen sogar die Füße gewaschen, um sie willkommen zu heißen. So wurde die Pforte zu einem Ort der Begegnung mit Christus. Andererseits wurden jene, die dauerhaft in ein Kloster eintreten wollten, hier mancherorts zunächst abgewiesen, um die Ernsthaftigkeit des Ansinnens auf die Probe zu stellen.

Ein offenes Ohr für die Anliegen und Nöte der Menschen haben. (Foto: Referat für Bibel und Liturgie)
Ein offenes Ohr für die Anliegen und Nöte der Menschen haben. (Foto: Referat für Bibel und Liturgie)

Dass man als Pförtner oder Pförtnerin viel Gutes tun kann, beweist das Beispiel des Heiligen Konrad von Parzham (1818-1894). Er versah im Kapuzinerkloster in Altötting mehr als vierzig Jahre diesen Dienst, hatte ein offenes Ohr für die Anliegen und Nöte der Menschen, betete für sie und war beim Volk so beliebt, dass er nach dem Tod verehrt und schließlich heiliggesprochen wurde. Er hatte als Pförtner offenbar mehr bewirkt als die Prediger in seinem Umfeld.

An der Tür zu unseren Pfarren

Was könnte dies für unsere Pfarrgemeinden bedeuten? Zunächst einige Feststellungen: Wir leben in einer Zeit, in der sich selbst im ländlich geprägten Kärnten immer weniger Menschen zur Katholischen Kirche bekennen (Anfang 2024 waren es 58% der Bevölkerung, im Jahr 2000 noch 78%). Der Zusammenhalt unter den Menschen bröckelt auch in ländlichen Gegenden, Anonymität und Vereinsamung sind nicht nur für den städtischen Bereich typisch. Die Zahl jener, die regelmäßig am sonntäglichen Gottesdienst teilnehmen, hat in vielen Gegenden einen bedrohlichen Tiefstand erreicht. Obwohl am Ort wohnhaft, fühlen sich mittlerweile viele Menschen in ihrer eigenen Pfarrkirche fremd, weil sie nur selten am liturgischen Leben teilnehmen. Zudem ist in manchen städtischen Pfarren zu beobachten, dass sich Menschen „ihre Kirche“ bewusst aussuchen und kaum noch an die eigene Pfarre gebunden fühlen.

In den USA gibt es daher auch in katholischen Pfarren schon längere Zeit den Dienst der Ushers (Platzanweiser). Sie begrüßen die Gläubigen am Eingang der Kirche, wechseln einige Worte mit ihnen, weisen ihnen gegebenenfalls einen Platz an. Man kümmert sich auch um die Gäste, macht sich ein Bild, ob ihr Besuch nur einmalig ist oder ob sie auf der Suche nach kirchlicher Beheimatung sind und knüpft erste Kontakte. Offensichtlich hat man erkannt, dass es nicht mehr genügt, die Kirchentüren offenzuhalten. Wenn die Kirche missionarisch sein will, braucht es eine kirchliche Willkommenskultur. Das gilt nicht nur für die Gottesdienste, sondern für die kirchlichen Häuser im Allgemeinen. Wer empfängt die Menschen? Welcher Eindruck wird vermittelt? Nimmt man der Gemeinde ab, was in Predigten immer wieder zu hören ist – dass uns Gott mit offenen Armen empfängt?

Der Ostiarier des 21. Jahrhunderts – nennen wir ihn weiterhin so, bis ein besserer Name gefunden wird – ist also kein grimmiger Türsteher. Wir haben schon gesehen, dass er in den meisten Fällen wohl weiblich sein wird. Bei der Auswahl wird man nicht das Anforderungsprofil einer Wach- und Schließgesellschaft, sondern jenes für das Empfangsservice einer Gaststätte heranziehen. Die entscheidenden Fragen für die Auswahl könnten lauten: Welchem Menschen wollen wir an der Kirchentür begegnen? Freut er sich ohne Hintergedanken, dass wir da sind? Fühlen wir uns willkommen und zum Mitfeiern eingeladen? Hat er ein Gespür für unsere Bedürfnisse? Kann er zuhören? Steht er für Christus ein, der spricht: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken“ (Mt 11,28)?

Gründe, ein Empfangsservice dieser Art einzurichten, gibt es viele. Auch am Land werden die Menschen immer einsamer. Für einige Menschen wäre der Ostiarier, dem sie am Sonntag am Kircheneingang begegnen, wohl eine der wenigen Personen, mit der sie noch einige Worte wechseln können. Jene, die nur selten zum Gottesdienst kommen (weil zum Beispiel an diesem Tag ihrer Verwandten oder Bekannten gedacht wird), fühlten sich von der Kirche deutlicher wahrgenommen und angenommen. Es käme deutlicher zum Ausdruck, dass der Glaube und damit auch der Gottesdienst ein Beziehungsgeschehen ist (und würde sich hoffentlich auch wohltuend auf die Feierkultur in der Kirche auswirken). Die kurzen Momente der Begegnung vor der Kirchentür böten schon die Gelegenheit zu erkennen, mit welchen Bedürfnissen die Menschen kommen und wo man später in der Seelsorge anknüpfen könnte, zum Beispiel durch einen Besuch.

Ein Amt des Zuhörens und der Begleitung

Papst Franziskus hat in diesem Zusammenhang mehrfach auf die Bedeutung des Zuhörens hingewiesen. Im Schlussdokument der XVI. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode (Nr. 78) ist sogar von einem kirchlichen Amt die Rede, das die geistliche Begleitung miteinschließt: „Es wurde (…) vorgeschlagen, dass ein mögliches „Amt des Zuhörens und der Begleitung“ sich besonders auf diejenigen ausrichten sollte, die am Rande der kirchlichen Gemeinschaft stehen, auf diejenigen, die zurückkehren, nachdem sie sich entfernt haben, und auf diejenigen, die nach der Wahrheit suchen und sich wünschen, dass ihnen dabei geholfen wird, dem Herrn zu begegnen. (…) Die lokalen Kontexte, in denen dieser Bedarf stärker empfunden wird, sollen mögliche Ansätze versuchsweise erproben und mögliche Modelle ausarbeiten, die dann zu beurteilen sind.“ Das Dokument verrät, dass man hier noch auf der Suche ist. Das bisher Genannte könnte ein erster Ansatzpunkt sein. Da in vielen Berufen ein freundliches Auftreten unverzichtbar ist, gibt es viele Menschen, die hier reiche Erfahrungen einbringen könnten, von der Kassiererin im Supermarkt hin zur Rezeptionistin oder jenen, die in Sozialberufen tätig sind. Diese Charismen und Talente geistlich zu vertiefen und für das kirchliche Leben fruchtbar zu machen, wäre eine schöne Aufgabe.

Eine andere Form des Zuhörens und der Begegnung bedarf einer intensiveren Ausbildung. Einiges gibt es schon und soll neu ins Bewusstsein gerufen werden. Dazu gehört zum Beispiel die Telefonseelsorge. Für viele Menschen ist das Telefon die Heilige Pforte, an der sie in schweren Situationen des Lebens Trost und Kraft erfahren. Hinzu kommt die geistliche Begleitung. Wenn das vielzitierte Wort von Karl Rahner stimmt, dass der Christ der Zukunft ein Mystiker sein wird, einer der Gott erfahren hat, dann braucht es auch Menschen, die dabei helfen, diese geistlichen Erfahrungen zu deuten und mit dem Leben zu verbinden. Dafür wird man in der theologischen Ausbildung nicht ausreichend vorbereitet. Und dennoch ist dieser Dienst wichtiger als jemals zuvor. Geistliche Begleiterinnen und Begleiter sind Türsteher an jener Heiligen Pforte, die zum Raum führt, wo der Mensch in das Gespräch mit Gott über das Geheimnis seines Lebens eintritt. Die Kirche wird in Zukunft mehr denn je auf ihren Dienst angewiesen sein.

Warum ich diese Zeilen geschrieben habe?

Bei einer Zusammenkunft habe ich zu Beginn halb scherzhaft eingeworfen, dass es unseren Pfarren an „Ostiariern“ fehlt. Nach einigen Nachfragen habe ich zu meinem Erstaunen gemerkt, dass ich damit völlig unbeabsichtigt einen Nerv getroffen hatte. Nur mit großer Mühe konnten wir uns dem eigentlichen Sitzungsthema widmen, das „Ostiariervirus“ hatte alle erfasst. Diesen Anstoß gebe ich nun in Form dieses Beitrags weiter, bewusst nicht als fertiges Konzept, sondern als grobe Skizze. Wenn Sie sich angesprochen fühlen und die Idee weiterentwickeln wollen, können Sie mir gerne schreiben: klaus.einspieler@kath-kirche-kaernten.at.