Zurück ins Leben: Therapiezentrum Weidenhof in Grafenstein
Waltraut Kompein-Chimani, psychotherapeutische Leiterin des Zentrums, zu Therapiemöglichkeiten bei Essstörungen
Was ist das Konzept und die Geschichte des Weidenhofes?
Das Konzept ist nicht neu, denn Freud hat schon gesagt, dass Menschen eine gesunde Umwelt brauchen, um wieder genesen zu können. Wenn ich davon ausgehe, dass das soziale Umfeld den Menschen psychisch krank macht, ist es nur die logische Folge, dass ich den Menschen aus diesem krankmachenden Umfeld herauslöse, ihn in eine „gesunde“ Umgebung stelle und er so gesund werden kann.
In der Natur und mit der Natur leben ist eines unserer Prinzipien. Wir haben hier Pferde, Hunde, Katzen, zwei Kamele, Hühner, Enten und Schweine und arbeiten sehr viel mit ihnen, da der Umgang mit Tieren für die Patientinnen sehr heilsam ist. Die Mädchen betreuen auch die Gemüsegärten selber und können so erleben, wie wir von der Natur leben. Wir leben und arbeiten gemeinsam und tragen alle zusammen die Verantwortung für das, was wir besitzen. Und das entspricht unserem Motto „Miteinander – Füreinander“. Wir wollen unsere Patienten begleiten: Von der Depression in die Lebensfreude, von der Destruktion in die Kreativität, aus dem Leben etwas machen; lernen, es so zu gestalten, dass es ihnen wieder Sinn und Freude macht. Toleranz und Integration werden hier gelebt.
Die meisten Patienten (Anm. im Moment sind nur Mädchen im Therapiezentrum) sind in eher schlechtem Zustand, sie kommen gerade aus den Krankenhäusern. Der Aufenthalt im Weidenhof dauert dann zwischen 6 Monaten und 6 Jahren.
Wie kann man sich den Tagesablauf hier vorstellen?
Wir haben eine klare Struktur. Struktur gibt Halt und Stütze, und nachdem wir hier auch einige depressive Patientinnen haben, ist dies sehr wichtig. Es gibt einen Jahres-, Monats-, Wochen- und Tagesplan. Es gibt fixe Highlights, die wir jedes Jahr wiederholen, wie z.B. einen einwöchigen Ölmalereikurs oder Kurse für Arbeiten mit Holz, Ton und Gips. Es ist ganz wichtig, die Techniken zu vermitteln, da es sehr frustrierend sein kann, wenn man sich künstlerisch ausdrücken will, es aber nicht kann. Sehr gerne haben die Patienten die Arbeit mit Tieren. Bauchtanz, Meditation, Klangschalen werden auch sehr gut angenommen, ebenso die Musiktherapie.
Am Weidenhof sind zwei Institutionen untergebracht, die räumlich getrennt sind. Das eine ist das „Zentrum für Psychosoziale Rehabilitation“ (ZPSR) für Patienten ab 18 Jahren, und zum anderen eine Einrichtung der Jugendwohlfahrt für Menschen von 13-18 Jahren.
Für die zurzeit 8 Jugendlichen beginnt der Tag um 6 Uhr morgens, es wird gemeinsam gefrühstückt, dann fahren sie mit dem Zug nach Klagenfurt zur Schule. Am Nachmittag absolvieren sie ihr Therapieprogramm bzw. sind in einer Lerngruppe und verbringen dann mit ihrem jeweiligen Sozialpädagogen den Rest des Tages.
Für die Erwachsenen beginnt der Tag um 7 Uhr mit dem Frühstück, im Anschluss gibt es eine Morgenrunde, in der verschiedene Themen gemeinsam besprochen werden (Verantwortung, Miteinander-Füreinander, Sexualität, Rolle der Frau…).
Danach wird der Tag geplant, es gibt eine Haushaltsgruppe und eine Stallgruppe. Die Gruppen bleiben jeweils für eine Woche zusammen, damit die Mädchen auch lernen, sich im Team zu organisieren und Verantwortung zu übernehmen. Dabei können sie erkennen, wo ihre Qualitäten liegen und was sie noch weiterentwickeln können.
Parallel sind die Mädchen bei der Einzeltherapie oder beim klinischen Psychologen. Zusätzlich zu den drei Hauptmahlzeiten gibt es noch zwei Zwischenmahlzeiten. Es wird immer gemeinsam gegessen. Wichtig ist es, dass alle zusammenkommen, sich austauschen und Themen „auf den Tisch legen“. Das kann auch zu hitzigen Diskussionen führen.
Jeder hat seinen angepassten Speiseplan. Als Therapeut muss man immer versuchen in der Ruhe, Geduld und Liebe zu bleiben und vor allem zu motivieren, sodass es zu einer ausgewogenen Nahrungssaufname kommt.
Nach dem Essen geht man gemeinsam zur Köpertherapie. Es ist sehr wichtig, dass die Mädchen durch verschiedene Methoden ein positives Körpergefühl erfahren.
Gibt es eine Nachbetreuung?
Wir haben hier ein Mehrstufenprogramm.
Nach der ersten intensiven Therapiephase am Hof kommt das betreute Innenwohnen. Die Mädchen versorgen sich selber, leben aber am Hof. Dann gibt es die Außenwohnung in Klagenfurt, in die der Betreuer jeden Abend kommt. Die Mädchen müssen sich selber kochen, ihre Wäsche waschen und haben ein Wirtschaftsgeld, mit dem sie auskommen müssen. Sie kommen teilweise zum Reiten und zu Einzelgesprächen am Weidenhof. Jede Patientin weiß aber, dass sie immer kommen kann, wenn sie etwas braucht.
Wann sollten Eltern hellhörig werden?
Meistens beginnt es mit einem sozialen Rückzug. Ausreden wie: Ich habe schon bei einer Freundin gegessen, mir ist schlecht oder ich habe Kopfweh, kommen immer öfter. Die Lieblingslektüre wird das Kochbuch, und aller werden bekocht und dann beim Essen beobachtet. Für die betroffenen Mädchen ist es eine Genugtuung sich über die anderen zu stellen, die Botschaft zu vermitteln: Ich habe Kontrolle über mich und meine Triebe, ihr aber nicht … Dann kommen meistens der soziale Rückzug von den Freunden und ein hoher Leistungswille in der Schule.
Was können die Eltern tun?
Sie sollten ihr Kind und das Problem ansprechen. Dann rate ich unbedingt zum Arztbesuch. Die Eltern sollten aber auch ihr eigenes Verhalten anschauen und sich fragen: Was habe ich für Schönheitsideale in der Familie? Wohin treibe ich mein Kind? Welchen Ehrgeiz habe ich als Mutter oder Vater für mein Kind? Ich persönlich finde die Bücher des israelischen Psychologen Haim Omer sehr hilfreich, seine Ausführungen über die natürliche Autorität und wie sich das Kind gesehen und angenommen fühlen kann.
Kann ich als Elternteil vorbeugen?
Der generalisierte Schönheitswahn unserer heutigen Zeit hindert den Menschen in Würde zu altern, in unserer Gesellschaft muss alles normiert sein – all das übt einen enormen Druck auf die jungen Mädchen aus.
Es ist ganz wichtig, zu Hause ein gesundes Klima zu schaffen. Ein Klima, in dem sich das Kind geliebt und angenommen fühlt, so wie es ist, und wo alles offen angesprochen werden kann. Prävention durch Aufklärung über die Krankheit ist schwierig und gelingt meistens nicht. Der junge Mensch will durch seine Essstörung fast immer etwas ausdrücken. Ich muss hinschauen, was ihm fehlt, und sein Selbstbewusstsein stärken. Das ist die beste Prävention.
Das Interview führte Monika Orsini-Rosenberg.
Zur Person:
Waltraut Kompein-Chimani ist psychotherapeutische Leiterin des Therapiezentrums Weidenhof, ein altes Gut bei Klagenfurt, das sie seit fünfzehn Jahren als Sozialpädagogisch-Therapeutische und Psychotherapeutische Wohngemeinschaft für Menschen mit Essstörungen und anderen psychischen Problemen führt.